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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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nach langem Widerstreben kaum zur Hälfte und unter Aufreibung der Kräfte des
leitenden Staatsmannes durchgesetzt. Eine ganze große Partei opfert mit offnem
Hohne die Interessen des Vaterlandes den Herrschaftsgelüsteu der römischen Kirche
und folgt blindlings einem Führer, der erster Ratgeber eines mit dem Reiche im
Kriegszustande befindlichen und mit der polnischen Revolutionspropaganda ver¬
bündeten Fürsten ist. Fürwahr, das ist ein trostloses Bild, welches die Volks¬
vertretung im dritten Lustrum des unter so vielem Sehnen und Kämpfen,
mit so teuern Opfern erstnudeuen neuen Reiches bietet. Es scheint, als ob
die Geschichte uur dazu da sei, um nichts aus ihr zu lernen, und als ob
das Volk in Selbstverblendung dem gähnenden Abgrunde entgegeneilen wolle.
Wer sein Vaterland wirklich liebt, soll niemals an dessen Geschick verzweifeln;
aber es bedarf einer großen Zuversicht, wenn der deutsche Patriot nnter den
gegenwärtigen Zuständen nicht alle Hoffnung verlieren soll.

Das Studium des Taineschen Buches fordert zur Einkehr uns. Möchten
doch im neuen Jahre die Einsichtigen sich um das Banner des hohenzvllernschen
Königtums zusammenscharen und unter Führung des Reichskanzlers - Banner-
triigers die Wohlfahrt unserm Vaterlande erhalten und die deutsche und mensch¬
liche Zivilisation nicht zur Beute weniger Verblendeten und Fanatiker werden
lassen. Das walte der deutsche Gott!




Friedrich Hebbels Tagebücher.

och kurz vor Jahresschluß hat die Literatur der Gegenwart in
dem ersten Bande der dnrch den deutschen Generalkonsul in
Genua Felix Bamberg veröffentlichten Tagebücher Friedrich
Hebbels") ein Geschenk erhalten, welches ein bedeutendes und
doch in mehr als einem Sinne ein bedenkliches genannt werden
muß. Der erste Eindruck, den wir davon empfangen, ist allerdings der,
welchen der Herausgeber in seinem Vorwort davon erwartet. Die Tage¬
bücher zeigen gegenüber der bedeutenden und doch so mcmnichfcich peinlichen
Biographie Hebbels von Emil Kuh "das Bild des Dichters in vollerem und
freundlicherem Lichte, als dies irgendeiner mit zerstreuten Gliedern und Farben
gearbeiteten Biographie möglich war." Der zweite Eindruck aber war der, daß



Friedrich Hebbels Tagebücher. Mit einem Vorwort herausgegeben von Felix
Bamberg. Mit einem Porträt Hebbels nach Rahl und einer Abbildung seiner Toten¬
maske. Berlin, Grotesche Verlagsbuchhandlung, 1834.

nach langem Widerstreben kaum zur Hälfte und unter Aufreibung der Kräfte des
leitenden Staatsmannes durchgesetzt. Eine ganze große Partei opfert mit offnem
Hohne die Interessen des Vaterlandes den Herrschaftsgelüsteu der römischen Kirche
und folgt blindlings einem Führer, der erster Ratgeber eines mit dem Reiche im
Kriegszustande befindlichen und mit der polnischen Revolutionspropaganda ver¬
bündeten Fürsten ist. Fürwahr, das ist ein trostloses Bild, welches die Volks¬
vertretung im dritten Lustrum des unter so vielem Sehnen und Kämpfen,
mit so teuern Opfern erstnudeuen neuen Reiches bietet. Es scheint, als ob
die Geschichte uur dazu da sei, um nichts aus ihr zu lernen, und als ob
das Volk in Selbstverblendung dem gähnenden Abgrunde entgegeneilen wolle.
Wer sein Vaterland wirklich liebt, soll niemals an dessen Geschick verzweifeln;
aber es bedarf einer großen Zuversicht, wenn der deutsche Patriot nnter den
gegenwärtigen Zuständen nicht alle Hoffnung verlieren soll.

Das Studium des Taineschen Buches fordert zur Einkehr uns. Möchten
doch im neuen Jahre die Einsichtigen sich um das Banner des hohenzvllernschen
Königtums zusammenscharen und unter Führung des Reichskanzlers - Banner-
triigers die Wohlfahrt unserm Vaterlande erhalten und die deutsche und mensch¬
liche Zivilisation nicht zur Beute weniger Verblendeten und Fanatiker werden
lassen. Das walte der deutsche Gott!




Friedrich Hebbels Tagebücher.

och kurz vor Jahresschluß hat die Literatur der Gegenwart in
dem ersten Bande der dnrch den deutschen Generalkonsul in
Genua Felix Bamberg veröffentlichten Tagebücher Friedrich
Hebbels") ein Geschenk erhalten, welches ein bedeutendes und
doch in mehr als einem Sinne ein bedenkliches genannt werden
muß. Der erste Eindruck, den wir davon empfangen, ist allerdings der,
welchen der Herausgeber in seinem Vorwort davon erwartet. Die Tage¬
bücher zeigen gegenüber der bedeutenden und doch so mcmnichfcich peinlichen
Biographie Hebbels von Emil Kuh „das Bild des Dichters in vollerem und
freundlicherem Lichte, als dies irgendeiner mit zerstreuten Gliedern und Farben
gearbeiteten Biographie möglich war." Der zweite Eindruck aber war der, daß



Friedrich Hebbels Tagebücher. Mit einem Vorwort herausgegeben von Felix
Bamberg. Mit einem Porträt Hebbels nach Rahl und einer Abbildung seiner Toten¬
maske. Berlin, Grotesche Verlagsbuchhandlung, 1834.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/34>, abgerufen am 12.11.2024.