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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Die Kommilitonen.

Weil er meinte, sie werde so im Kreise der Studirten, unter denen er einem
ehrenvollen Jahrgange angehörte, am besten mit ihren Vorzügen zur Geltung
kommen.

Der saloumäßigen Verbeugung, mit welcher Barbara sich dann verab¬
schiedete, schloß sich die Frau Superintendent an. Eben aber, als beide Damen,
denen der mit Sporen klirrende und mit dem Schläger rasselnde Student auf
dem Fuße folgte, das Zimmer verlassen wollten, erschien in demselben -- der
"blasse Heinrich," indem er beinahe an die Abgehenden anprallte.

Da ist er ja, der berühmte Redner, den Sie so gern sehen wollten, Fräu¬
lein Barbara! rief Kautschuk, und es gewährte ihm ein besondres Vergnügen,
die vorher abgespielte Verlegcnhcitsszene wieder aufzunehmen.

Betroffen standen Rhetor und Grazie einander gegenüber; ihm fehlte das
Wort, ihr die Bewegung, Die praktische Pastorsfrau aber nahm das Mädchen
an der Hand und sagte: Kommen Sie, liebste Barbara, hier ziehts gefährlich!
und damit schloß sie die Thür, und die Herren waren allein.




6.

Wie kann man diese attische Anmut Barbara benamsen? begann der Theo¬
loge. Das ist doch zu barbarisch, Pipin! Gabs denn keinen entsprechenderen
Taufnamen im ganzen Kalender?

Archimedes flüsterte zu Kautschuk, indem er sich mit seinem Wortwitz nicht
vorwagte, weil er dessen Güte mißtraute: Helena wäre das richtige!

Natürlich! rief Kautschuk schrill hinein, Helena, Helena wäre der richtige
Name für diese attische Anmut.

Auf das: Wieso? Pipins meinte der "blasse Heinrich": Das war ein
Geistesblitz Kautschuks! Helena mußte sie heißen! verstehst du uns denn nicht,
du kundiger Thebaner? Dabei drückte er dein Schauspieler herzlich die Hand.

Ich war eben, Kinder, fuhr er fort, ganz perplex; ich wollte gerade mein
Kleid wechseln, da stoße ich auf ein paar feine Damen (er hatte eben den Frack auf-
und den Rock angezogen). Nun, jetzt bin ich wieder schlichter Mensch, jetzt laßt
uns plaudern! Aber was für ein Qualm hier! Er machte ein Fenster auf, und
frische Luft drang herein, das merkten sie äußerlich und innerlich. Cohn noch
nicht da? Bin doch entschuldigt?

Ja ja! hieß es, und man nahm Platz um ihn herum. Jedem gab er die
Hand, und jedem sah er in die Augen.

Nur Kautschuk, der sehr unruhig geworden, hatte sich dem entzogen. Er
überlegte, ob er nicht lieber dem "Kraftmenschen" ausweichen sollte. Aber seine
Äußerungen über ihn waren ja klugerweise alle uur als Möglichkeiten hin¬
gestellt worden. Er mußte bleiben, um das Feld zu behaupte!?, zunächst mit


Die Kommilitonen.

Weil er meinte, sie werde so im Kreise der Studirten, unter denen er einem
ehrenvollen Jahrgange angehörte, am besten mit ihren Vorzügen zur Geltung
kommen.

Der saloumäßigen Verbeugung, mit welcher Barbara sich dann verab¬
schiedete, schloß sich die Frau Superintendent an. Eben aber, als beide Damen,
denen der mit Sporen klirrende und mit dem Schläger rasselnde Student auf
dem Fuße folgte, das Zimmer verlassen wollten, erschien in demselben — der
„blasse Heinrich," indem er beinahe an die Abgehenden anprallte.

Da ist er ja, der berühmte Redner, den Sie so gern sehen wollten, Fräu¬
lein Barbara! rief Kautschuk, und es gewährte ihm ein besondres Vergnügen,
die vorher abgespielte Verlegcnhcitsszene wieder aufzunehmen.

Betroffen standen Rhetor und Grazie einander gegenüber; ihm fehlte das
Wort, ihr die Bewegung, Die praktische Pastorsfrau aber nahm das Mädchen
an der Hand und sagte: Kommen Sie, liebste Barbara, hier ziehts gefährlich!
und damit schloß sie die Thür, und die Herren waren allein.




6.

Wie kann man diese attische Anmut Barbara benamsen? begann der Theo¬
loge. Das ist doch zu barbarisch, Pipin! Gabs denn keinen entsprechenderen
Taufnamen im ganzen Kalender?

Archimedes flüsterte zu Kautschuk, indem er sich mit seinem Wortwitz nicht
vorwagte, weil er dessen Güte mißtraute: Helena wäre das richtige!

Natürlich! rief Kautschuk schrill hinein, Helena, Helena wäre der richtige
Name für diese attische Anmut.

Auf das: Wieso? Pipins meinte der „blasse Heinrich": Das war ein
Geistesblitz Kautschuks! Helena mußte sie heißen! verstehst du uns denn nicht,
du kundiger Thebaner? Dabei drückte er dein Schauspieler herzlich die Hand.

Ich war eben, Kinder, fuhr er fort, ganz perplex; ich wollte gerade mein
Kleid wechseln, da stoße ich auf ein paar feine Damen (er hatte eben den Frack auf-
und den Rock angezogen). Nun, jetzt bin ich wieder schlichter Mensch, jetzt laßt
uns plaudern! Aber was für ein Qualm hier! Er machte ein Fenster auf, und
frische Luft drang herein, das merkten sie äußerlich und innerlich. Cohn noch
nicht da? Bin doch entschuldigt?

Ja ja! hieß es, und man nahm Platz um ihn herum. Jedem gab er die
Hand, und jedem sah er in die Augen.

Nur Kautschuk, der sehr unruhig geworden, hatte sich dem entzogen. Er
überlegte, ob er nicht lieber dem „Kraftmenschen" ausweichen sollte. Aber seine
Äußerungen über ihn waren ja klugerweise alle uur als Möglichkeiten hin¬
gestellt worden. Er mußte bleiben, um das Feld zu behaupte!?, zunächst mit


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[0267] Die Kommilitonen. Weil er meinte, sie werde so im Kreise der Studirten, unter denen er einem ehrenvollen Jahrgange angehörte, am besten mit ihren Vorzügen zur Geltung kommen. Der saloumäßigen Verbeugung, mit welcher Barbara sich dann verab¬ schiedete, schloß sich die Frau Superintendent an. Eben aber, als beide Damen, denen der mit Sporen klirrende und mit dem Schläger rasselnde Student auf dem Fuße folgte, das Zimmer verlassen wollten, erschien in demselben — der „blasse Heinrich," indem er beinahe an die Abgehenden anprallte. Da ist er ja, der berühmte Redner, den Sie so gern sehen wollten, Fräu¬ lein Barbara! rief Kautschuk, und es gewährte ihm ein besondres Vergnügen, die vorher abgespielte Verlegcnhcitsszene wieder aufzunehmen. Betroffen standen Rhetor und Grazie einander gegenüber; ihm fehlte das Wort, ihr die Bewegung, Die praktische Pastorsfrau aber nahm das Mädchen an der Hand und sagte: Kommen Sie, liebste Barbara, hier ziehts gefährlich! und damit schloß sie die Thür, und die Herren waren allein. 6. Wie kann man diese attische Anmut Barbara benamsen? begann der Theo¬ loge. Das ist doch zu barbarisch, Pipin! Gabs denn keinen entsprechenderen Taufnamen im ganzen Kalender? Archimedes flüsterte zu Kautschuk, indem er sich mit seinem Wortwitz nicht vorwagte, weil er dessen Güte mißtraute: Helena wäre das richtige! Natürlich! rief Kautschuk schrill hinein, Helena, Helena wäre der richtige Name für diese attische Anmut. Auf das: Wieso? Pipins meinte der „blasse Heinrich": Das war ein Geistesblitz Kautschuks! Helena mußte sie heißen! verstehst du uns denn nicht, du kundiger Thebaner? Dabei drückte er dein Schauspieler herzlich die Hand. Ich war eben, Kinder, fuhr er fort, ganz perplex; ich wollte gerade mein Kleid wechseln, da stoße ich auf ein paar feine Damen (er hatte eben den Frack auf- und den Rock angezogen). Nun, jetzt bin ich wieder schlichter Mensch, jetzt laßt uns plaudern! Aber was für ein Qualm hier! Er machte ein Fenster auf, und frische Luft drang herein, das merkten sie äußerlich und innerlich. Cohn noch nicht da? Bin doch entschuldigt? Ja ja! hieß es, und man nahm Platz um ihn herum. Jedem gab er die Hand, und jedem sah er in die Augen. Nur Kautschuk, der sehr unruhig geworden, hatte sich dem entzogen. Er überlegte, ob er nicht lieber dem „Kraftmenschen" ausweichen sollte. Aber seine Äußerungen über ihn waren ja klugerweise alle uur als Möglichkeiten hin¬ gestellt worden. Er mußte bleiben, um das Feld zu behaupte!?, zunächst mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/267>, abgerufen am 12.11.2024.