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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Literatur.

er zuerst hat die in der französischen Geschichtschreibung ganz vernachlässigte innere
Geschichte zu ihrer Geltung gebracht und die unheilvolle, zerstörende Wirkung der
Gewaltthaten der Revolution auf das gesamte Leben, auf Persönliche Sicherheit,
Eigentum, auf Wohlstand. Gesittung, Recht, Religion aufgezeigt. Sybel selbst sagt
i" einer Besprechung eines der früheren Bände des Taineschen Buches in der
Historischen Zeitschrift (vergl. Kleine historische Schriften, 3. Band, S, 2K3): "Vor
mehr als zwanzig Jahren habe ich in meiner "Geschichte der Revolutionszeit" diese
Verhältnisse uach authentischen Materialien dargestellt und damit bei dem franzö¬
sischen Publikum vielfachen Anstoß gegeben. Umso größere Befriedigung darf ich
jetzt empfinden, wenn ein so bedeutender Forscher wie Taine nach Heranziehung
zahlloser Dokumente der Pariser Archive ganz und gar zu demselben Ergebnisse
gelangt." Taine hat jetzt zahllose Einzelheiten, urkundlich belegt, mit bienenhaftem
Fleiße gesammelt, welche alle die längst von der deutschen Geschichtschreibung auf¬
gestellten großen Gesichtspunkte bestätigen. Das "unsterbliche Verdienst" gebührt
sonach nicht Taine, sondern dem Deutschen. Daß gleichwohl Taiues Forschungen,
daß sein Mut, den Landsleute.it die Wahrheit zu sagen, eine That ersten Ranges
sind, ist selbstverständlich. Wir aber wollen die Verdienste unsrer großen Ge¬
schichtschreiber nicht herabsetzen lassen. --

Wie wenig es die Absicht der Greuzvoteu gewesen ist, durch den Abdruck des
Aufsatzes "Aus der französischen Revolution" die deutsche Wissenschaft "herabzusetzen,"
möge der "Schwäbische Merkur" daraus entnehmen, daß wir seine Bemerkungen
hier unverkürzt wiedergeben.




Literatur.
Geschichte des deutschen Nolkes in Staat, Religion, Literatur und Kunst von der
ältesten Zeit bis zur Gegenwart, Vou Georg Hvyns. Erster Band. Bis zur Regierung
Ottos des Große". Leipzig, F. A. Brockhaus. 1884.

Das vorliegende Werk will die Entwicklung des deutschen Volkes "von jenem
breitern Kreise der Betrachtung aus zur Darstellung bringen, den die deutsche Ge¬
schichtschreibung in allen Teilen der Kultur gewonnen hat," und zwar nicht mir
für den engen Kreis der Gelehrten, sondern für alle Gebildeten. Neue Resultate
eigner Forschung zu bringen, darauf verzichtet der Verfasser, er ist vielmehr bestrebt,
an der Hemd der hervorrcigeudsten Werke in den einzelnen Gebieten die gesicherten
Ergebnisse kurz und übersichtlich in ein Gesamtbild zusammenzufassen. Ob es ihm
dabei gelungen ist, aus der unendlichen Fülle des Stoffes immer nnr das für dus
Verständnis durchaus Notwendige herauszuheben, möchtet: wir bezweifeln; einzelne
Abschnitte, wie das Kapitel über Konstantin den Großen, hätten entschieden kürzer
gefaßt werden können. Mit den neuen Forschungen scheint der Verfasser hinreichend
vertraut zu sein, doch kann man hie und da andrer Meinung sein, wie z. B. in
der Auffassung Ludwigs des Frommen und Karls des Kahlen. Die Ansicht Rankes,
daß die sogenannte" Annalen Einhards offiziösen Ursprunges seien, ist nicht mehr
aufrecht zu erhalten. Am besten gelungen siud dem Verfasser die ersten Kapitel,
die Anfänge der deutschen Geschichte; hier hat er auch ziemlich selbständig gearbeitet,
doch ist er bei der Darstellung der Religion der alten Deutschen, so anziehend auch
gerade dieser Abschnitt geschrieben ist, in der Benutzung der nordgermanischen
Quellen nach unsrer Meinung zu weit gegangen. Am schwächsten sind die kunst-
geschichtlichen Stücke des Buches. Es ist selbstverständlich, daß der Verfasser in


Literatur.

er zuerst hat die in der französischen Geschichtschreibung ganz vernachlässigte innere
Geschichte zu ihrer Geltung gebracht und die unheilvolle, zerstörende Wirkung der
Gewaltthaten der Revolution auf das gesamte Leben, auf Persönliche Sicherheit,
Eigentum, auf Wohlstand. Gesittung, Recht, Religion aufgezeigt. Sybel selbst sagt
i« einer Besprechung eines der früheren Bände des Taineschen Buches in der
Historischen Zeitschrift (vergl. Kleine historische Schriften, 3. Band, S, 2K3): „Vor
mehr als zwanzig Jahren habe ich in meiner »Geschichte der Revolutionszeit« diese
Verhältnisse uach authentischen Materialien dargestellt und damit bei dem franzö¬
sischen Publikum vielfachen Anstoß gegeben. Umso größere Befriedigung darf ich
jetzt empfinden, wenn ein so bedeutender Forscher wie Taine nach Heranziehung
zahlloser Dokumente der Pariser Archive ganz und gar zu demselben Ergebnisse
gelangt." Taine hat jetzt zahllose Einzelheiten, urkundlich belegt, mit bienenhaftem
Fleiße gesammelt, welche alle die längst von der deutschen Geschichtschreibung auf¬
gestellten großen Gesichtspunkte bestätigen. Das „unsterbliche Verdienst" gebührt
sonach nicht Taine, sondern dem Deutschen. Daß gleichwohl Taiues Forschungen,
daß sein Mut, den Landsleute.it die Wahrheit zu sagen, eine That ersten Ranges
sind, ist selbstverständlich. Wir aber wollen die Verdienste unsrer großen Ge¬
schichtschreiber nicht herabsetzen lassen. —

Wie wenig es die Absicht der Greuzvoteu gewesen ist, durch den Abdruck des
Aufsatzes „Aus der französischen Revolution" die deutsche Wissenschaft „herabzusetzen,"
möge der „Schwäbische Merkur" daraus entnehmen, daß wir seine Bemerkungen
hier unverkürzt wiedergeben.




Literatur.
Geschichte des deutschen Nolkes in Staat, Religion, Literatur und Kunst von der
ältesten Zeit bis zur Gegenwart, Vou Georg Hvyns. Erster Band. Bis zur Regierung
Ottos des Große». Leipzig, F. A. Brockhaus. 1884.

Das vorliegende Werk will die Entwicklung des deutschen Volkes „von jenem
breitern Kreise der Betrachtung aus zur Darstellung bringen, den die deutsche Ge¬
schichtschreibung in allen Teilen der Kultur gewonnen hat," und zwar nicht mir
für den engen Kreis der Gelehrten, sondern für alle Gebildeten. Neue Resultate
eigner Forschung zu bringen, darauf verzichtet der Verfasser, er ist vielmehr bestrebt,
an der Hemd der hervorrcigeudsten Werke in den einzelnen Gebieten die gesicherten
Ergebnisse kurz und übersichtlich in ein Gesamtbild zusammenzufassen. Ob es ihm
dabei gelungen ist, aus der unendlichen Fülle des Stoffes immer nnr das für dus
Verständnis durchaus Notwendige herauszuheben, möchtet: wir bezweifeln; einzelne
Abschnitte, wie das Kapitel über Konstantin den Großen, hätten entschieden kürzer
gefaßt werden können. Mit den neuen Forschungen scheint der Verfasser hinreichend
vertraut zu sein, doch kann man hie und da andrer Meinung sein, wie z. B. in
der Auffassung Ludwigs des Frommen und Karls des Kahlen. Die Ansicht Rankes,
daß die sogenannte» Annalen Einhards offiziösen Ursprunges seien, ist nicht mehr
aufrecht zu erhalten. Am besten gelungen siud dem Verfasser die ersten Kapitel,
die Anfänge der deutschen Geschichte; hier hat er auch ziemlich selbständig gearbeitet,
doch ist er bei der Darstellung der Religion der alten Deutschen, so anziehend auch
gerade dieser Abschnitt geschrieben ist, in der Benutzung der nordgermanischen
Quellen nach unsrer Meinung zu weit gegangen. Am schwächsten sind die kunst-
geschichtlichen Stücke des Buches. Es ist selbstverständlich, daß der Verfasser in


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[0218] Literatur. er zuerst hat die in der französischen Geschichtschreibung ganz vernachlässigte innere Geschichte zu ihrer Geltung gebracht und die unheilvolle, zerstörende Wirkung der Gewaltthaten der Revolution auf das gesamte Leben, auf Persönliche Sicherheit, Eigentum, auf Wohlstand. Gesittung, Recht, Religion aufgezeigt. Sybel selbst sagt i« einer Besprechung eines der früheren Bände des Taineschen Buches in der Historischen Zeitschrift (vergl. Kleine historische Schriften, 3. Band, S, 2K3): „Vor mehr als zwanzig Jahren habe ich in meiner »Geschichte der Revolutionszeit« diese Verhältnisse uach authentischen Materialien dargestellt und damit bei dem franzö¬ sischen Publikum vielfachen Anstoß gegeben. Umso größere Befriedigung darf ich jetzt empfinden, wenn ein so bedeutender Forscher wie Taine nach Heranziehung zahlloser Dokumente der Pariser Archive ganz und gar zu demselben Ergebnisse gelangt." Taine hat jetzt zahllose Einzelheiten, urkundlich belegt, mit bienenhaftem Fleiße gesammelt, welche alle die längst von der deutschen Geschichtschreibung auf¬ gestellten großen Gesichtspunkte bestätigen. Das „unsterbliche Verdienst" gebührt sonach nicht Taine, sondern dem Deutschen. Daß gleichwohl Taiues Forschungen, daß sein Mut, den Landsleute.it die Wahrheit zu sagen, eine That ersten Ranges sind, ist selbstverständlich. Wir aber wollen die Verdienste unsrer großen Ge¬ schichtschreiber nicht herabsetzen lassen. — Wie wenig es die Absicht der Greuzvoteu gewesen ist, durch den Abdruck des Aufsatzes „Aus der französischen Revolution" die deutsche Wissenschaft „herabzusetzen," möge der „Schwäbische Merkur" daraus entnehmen, daß wir seine Bemerkungen hier unverkürzt wiedergeben. Literatur. Geschichte des deutschen Nolkes in Staat, Religion, Literatur und Kunst von der ältesten Zeit bis zur Gegenwart, Vou Georg Hvyns. Erster Band. Bis zur Regierung Ottos des Große». Leipzig, F. A. Brockhaus. 1884. Das vorliegende Werk will die Entwicklung des deutschen Volkes „von jenem breitern Kreise der Betrachtung aus zur Darstellung bringen, den die deutsche Ge¬ schichtschreibung in allen Teilen der Kultur gewonnen hat," und zwar nicht mir für den engen Kreis der Gelehrten, sondern für alle Gebildeten. Neue Resultate eigner Forschung zu bringen, darauf verzichtet der Verfasser, er ist vielmehr bestrebt, an der Hemd der hervorrcigeudsten Werke in den einzelnen Gebieten die gesicherten Ergebnisse kurz und übersichtlich in ein Gesamtbild zusammenzufassen. Ob es ihm dabei gelungen ist, aus der unendlichen Fülle des Stoffes immer nnr das für dus Verständnis durchaus Notwendige herauszuheben, möchtet: wir bezweifeln; einzelne Abschnitte, wie das Kapitel über Konstantin den Großen, hätten entschieden kürzer gefaßt werden können. Mit den neuen Forschungen scheint der Verfasser hinreichend vertraut zu sein, doch kann man hie und da andrer Meinung sein, wie z. B. in der Auffassung Ludwigs des Frommen und Karls des Kahlen. Die Ansicht Rankes, daß die sogenannte» Annalen Einhards offiziösen Ursprunges seien, ist nicht mehr aufrecht zu erhalten. Am besten gelungen siud dem Verfasser die ersten Kapitel, die Anfänge der deutschen Geschichte; hier hat er auch ziemlich selbständig gearbeitet, doch ist er bei der Darstellung der Religion der alten Deutschen, so anziehend auch gerade dieser Abschnitt geschrieben ist, in der Benutzung der nordgermanischen Quellen nach unsrer Meinung zu weit gegangen. Am schwächsten sind die kunst- geschichtlichen Stücke des Buches. Es ist selbstverständlich, daß der Verfasser in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/218>, abgerufen am 12.11.2024.