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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Das letzte log Kautschuk.

Was hat er denn eigentlich für ein Geschäft, fragten einige. Keiner, wie
sich herausstellte, hatte mit ihm darüber gesprochen.

Pensionat, glaube ich, hieß es, oder Kindergarten, hoffentlich keine .Wipp-
schule, sagte Kautschuk mit dem Ausdruck reinsten Mitgefühls.

So? Ooch! hörte man ringsum. Der mare anch besser an einem andern
Platze.

Ja, fuhr Kautschuk fort, Jugeudthorheiteu höre ich sagen -- die Leute
übertreibe" offenbar -- aber (er schlug seinen Witzmacherton an) wie heißt es
doch? erst Champagner, dann Grünebcrger Schattenseite. Er mird wohl jetzt
den Verhältnissen Rechnung tragen müssen, dn heißes freilich, sich bücken vor
dem Mammon.

Jetzt verstehe ich sein auffällig artiges Wesen den Stadtleuten gegenüber,
schnarrte der Offizier, es hat mich fatal berührt.

Niemand sagte etwas dagegen. Kautschuk hatte gewonnen.




5.

Geuserich sah ärgerlich uach der Uhr und wollte nicht länger warten; der
Robber Whist war beendet, man rückte am großen Svfatisch zusammen und
trat in die Tagesordnung ein.

Archimedes, dein die Karten immer hold waren, hatte Nummer eins ge¬
zogen. Er begann denn auch mit seiner vita, die aus einer Reihe Zeitangaben
nach Tag, Monat und Jahr bestand, alles schüchtern und stockend hererzählt.

Kautschuk, der Witzige, dessen gute Laune förmlich mit den Flügeln arbeitete,
foppte den Sprecher durch Zwischenbemerkungen und brachte ihn so zu immer
ausführlicheren Zeitangaben; die andern konnten kaum ihr Lachen verbergen.

Hierauf war Kautschuk an der Reihe. Er wußte die Gunst der Zuhörer
gleich dadurch zu geminnen, daß er versprach, sich kurz zu fassen. Sein Leben,
sagte er, sei arm an erzühlbaren Ereignissen, reich an fortgesetzter Arbeit, die
in der Stube und im Amtslokal verborgen bleibe. Von seiner politischen
Thätigkeit schwieg er im Hinblick ans den gegenüber sitzenden Mirbl, der nur
darauf zu lauern schien, ihm hierbei in die Parade zu fahren. Schließlich er¬
zählte er einen verzwickten Mordprozeß, den er als Vorsitzender ins Reine
gebracht hatte, und rief aufgeräumt: Fidueit, ihr Brüder!

Nummer drei wurde von Genserich zu Ehren gebracht. In anschaulicher
Weise gab er zum besten, wie es ihm geglückt sei, sich bei Königgrätz und dann
wieder im Kriege 1870 hervorzuthun. Es waren wirkliche Lichtpunkte seines
Lebens, die er schilderte, alles jubelte ihm zu, die beim Fidneit des Vorredners
gebrachten Sektflaschen wurden eben entkorkt lind gaben die Freudensnlve
dazu ab.

(Fortsetzung folgt,)


Das letzte log Kautschuk.

Was hat er denn eigentlich für ein Geschäft, fragten einige. Keiner, wie
sich herausstellte, hatte mit ihm darüber gesprochen.

Pensionat, glaube ich, hieß es, oder Kindergarten, hoffentlich keine .Wipp-
schule, sagte Kautschuk mit dem Ausdruck reinsten Mitgefühls.

So? Ooch! hörte man ringsum. Der mare anch besser an einem andern
Platze.

Ja, fuhr Kautschuk fort, Jugeudthorheiteu höre ich sagen — die Leute
übertreibe» offenbar — aber (er schlug seinen Witzmacherton an) wie heißt es
doch? erst Champagner, dann Grünebcrger Schattenseite. Er mird wohl jetzt
den Verhältnissen Rechnung tragen müssen, dn heißes freilich, sich bücken vor
dem Mammon.

Jetzt verstehe ich sein auffällig artiges Wesen den Stadtleuten gegenüber,
schnarrte der Offizier, es hat mich fatal berührt.

Niemand sagte etwas dagegen. Kautschuk hatte gewonnen.




5.

Geuserich sah ärgerlich uach der Uhr und wollte nicht länger warten; der
Robber Whist war beendet, man rückte am großen Svfatisch zusammen und
trat in die Tagesordnung ein.

Archimedes, dein die Karten immer hold waren, hatte Nummer eins ge¬
zogen. Er begann denn auch mit seiner vita, die aus einer Reihe Zeitangaben
nach Tag, Monat und Jahr bestand, alles schüchtern und stockend hererzählt.

Kautschuk, der Witzige, dessen gute Laune förmlich mit den Flügeln arbeitete,
foppte den Sprecher durch Zwischenbemerkungen und brachte ihn so zu immer
ausführlicheren Zeitangaben; die andern konnten kaum ihr Lachen verbergen.

Hierauf war Kautschuk an der Reihe. Er wußte die Gunst der Zuhörer
gleich dadurch zu geminnen, daß er versprach, sich kurz zu fassen. Sein Leben,
sagte er, sei arm an erzühlbaren Ereignissen, reich an fortgesetzter Arbeit, die
in der Stube und im Amtslokal verborgen bleibe. Von seiner politischen
Thätigkeit schwieg er im Hinblick ans den gegenüber sitzenden Mirbl, der nur
darauf zu lauern schien, ihm hierbei in die Parade zu fahren. Schließlich er¬
zählte er einen verzwickten Mordprozeß, den er als Vorsitzender ins Reine
gebracht hatte, und rief aufgeräumt: Fidueit, ihr Brüder!

Nummer drei wurde von Genserich zu Ehren gebracht. In anschaulicher
Weise gab er zum besten, wie es ihm geglückt sei, sich bei Königgrätz und dann
wieder im Kriege 1870 hervorzuthun. Es waren wirkliche Lichtpunkte seines
Lebens, die er schilderte, alles jubelte ihm zu, die beim Fidneit des Vorredners
gebrachten Sektflaschen wurden eben entkorkt lind gaben die Freudensnlve
dazu ab.

(Fortsetzung folgt,)


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/214>, abgerufen am 12.11.2024.