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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Ungehaltene Reben eines NichtgewLhlten.

manchmal übermüthig, wenn er glaubte, daß ihm die Arbeit gelungen wäre, und in
solchen Augenblicken meinte er Wohl, daß die Decke kaum seiner Wände werth sei.
Dann tanzte er, sang und sprang wie ein Knabe, belauschte die Frösche (die Grün-
hösler, wie er sie nannte) an dem Bassin im Garten: oder er machte dort den
Neptun, wie er sagte: das bestand darin, daß er mit seinen Füßen sich auf ein
Brett stellte, das mit drei Vierteilen auf dem Wasser lag, mit einem Vierteile auf
dem Rande des Bassins ruhte: durch heftiges Treten brachte er dies Brett so in
Bewegung, daß es heftig auf das Wasser schlug, große Wellen hervorbrachte, die
über den Rand des Wasserbehälters auf das Trockene stürzten. Solche Uebungen
schlössen sich gewöhnlich an die Ruhestunde um, die wir bei Gelegenheit des zweiten
Frühstücks hielten. (Fortsetzung folgt.)




Ungehaltene Reden eines Nichtgewählten.

es muß mein tiefes Bedauern darüber aussprechen, daß die höchsten
Staatsbeamten nicht Deutsch verstehen. Die Reden, welche am
12. Januar gegen die Verkümmerung eines Grundrechtes, der
Wirtshausbesuchsfreiheit, gehalten wurden, waren ja doch deutlich
genug. Äußerste Freunde des Vaterlandes wollen dieses Vaterland
sobald als möglich von der großen Militärlast befreien; als ein sicheres Mittel
dazu erscheint ihnen die Belehrung der Soldaten über die Verderblichkeit der
Disziplin, über die Nichtigkeit des Fahneneides u. dergl. in. Man kann hier¬
über vielleicht verschiedner Ansicht sein, aber die Wissenschaft und ihre Lehre
sind frei! Der Staat ist bisher seiner Verpflichtung, Lehrstühle für die Wissen¬
schaft der Anarchie einzurichten, nicht nachgekommen, daher muß sie durch Privat¬
dozenten in den Wirtshäusern vorgetragen werden; und anstatt dankbar dafür
Zu sein, daß edle Männer sich so uneigennützig der Fortbildung der Soldaten
widmen wollen, legen die Militärbehörden der Wißbegier Fesseln an- Es
handelt sich also um eine eklatante Verletzung der Lehr- und Lernfreiheit, das
schien der Herr Kriegsminister aber garnicht zu begreifen. Daneben fällt die
Beeinträchtigung der Gastwirte wenig ins Gewicht, auch können sie ja Schaden¬
ersatz verlangen, der ihnen ohne Zweifel zugesprochen werden wird. Allein, wie
will Herr Bronsart von Schellendvrff vor Mit- und Nachwelt verantworten, wenn
das möglicherweise in einem Musketier schlummernde Talent zu einem Barri¬
kadenhelden oder Petroleur durch Schuld des Ministers ungeweckt bleibt? Wie
sollen die weltbeglückenden Ideen eines Stellmacher, Reinsdorf und Konsorten
Sur Herrschaft kommen, so lange sich ihnen die brutale Gewalt von Menschen
entgegenstellt, welche dem Befehl des Vorgesetzten Folge leisten? Wie herrlich


Grenzboten I. 1885. 2K
Ungehaltene Reben eines NichtgewLhlten.

manchmal übermüthig, wenn er glaubte, daß ihm die Arbeit gelungen wäre, und in
solchen Augenblicken meinte er Wohl, daß die Decke kaum seiner Wände werth sei.
Dann tanzte er, sang und sprang wie ein Knabe, belauschte die Frösche (die Grün-
hösler, wie er sie nannte) an dem Bassin im Garten: oder er machte dort den
Neptun, wie er sagte: das bestand darin, daß er mit seinen Füßen sich auf ein
Brett stellte, das mit drei Vierteilen auf dem Wasser lag, mit einem Vierteile auf
dem Rande des Bassins ruhte: durch heftiges Treten brachte er dies Brett so in
Bewegung, daß es heftig auf das Wasser schlug, große Wellen hervorbrachte, die
über den Rand des Wasserbehälters auf das Trockene stürzten. Solche Uebungen
schlössen sich gewöhnlich an die Ruhestunde um, die wir bei Gelegenheit des zweiten
Frühstücks hielten. (Fortsetzung folgt.)




Ungehaltene Reden eines Nichtgewählten.

es muß mein tiefes Bedauern darüber aussprechen, daß die höchsten
Staatsbeamten nicht Deutsch verstehen. Die Reden, welche am
12. Januar gegen die Verkümmerung eines Grundrechtes, der
Wirtshausbesuchsfreiheit, gehalten wurden, waren ja doch deutlich
genug. Äußerste Freunde des Vaterlandes wollen dieses Vaterland
sobald als möglich von der großen Militärlast befreien; als ein sicheres Mittel
dazu erscheint ihnen die Belehrung der Soldaten über die Verderblichkeit der
Disziplin, über die Nichtigkeit des Fahneneides u. dergl. in. Man kann hier¬
über vielleicht verschiedner Ansicht sein, aber die Wissenschaft und ihre Lehre
sind frei! Der Staat ist bisher seiner Verpflichtung, Lehrstühle für die Wissen¬
schaft der Anarchie einzurichten, nicht nachgekommen, daher muß sie durch Privat¬
dozenten in den Wirtshäusern vorgetragen werden; und anstatt dankbar dafür
Zu sein, daß edle Männer sich so uneigennützig der Fortbildung der Soldaten
widmen wollen, legen die Militärbehörden der Wißbegier Fesseln an- Es
handelt sich also um eine eklatante Verletzung der Lehr- und Lernfreiheit, das
schien der Herr Kriegsminister aber garnicht zu begreifen. Daneben fällt die
Beeinträchtigung der Gastwirte wenig ins Gewicht, auch können sie ja Schaden¬
ersatz verlangen, der ihnen ohne Zweifel zugesprochen werden wird. Allein, wie
will Herr Bronsart von Schellendvrff vor Mit- und Nachwelt verantworten, wenn
das möglicherweise in einem Musketier schlummernde Talent zu einem Barri¬
kadenhelden oder Petroleur durch Schuld des Ministers ungeweckt bleibt? Wie
sollen die weltbeglückenden Ideen eines Stellmacher, Reinsdorf und Konsorten
Sur Herrschaft kommen, so lange sich ihnen die brutale Gewalt von Menschen
entgegenstellt, welche dem Befehl des Vorgesetzten Folge leisten? Wie herrlich


Grenzboten I. 1885. 2K
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/205>, abgerufen am 12.11.2024.