Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.Hat die deutsche Renaissance eine Zukunft? von Adolf Rosenberg. 2. ir haben gesehen, daß die Architektur unsers Jahrhunderts in Und doch war auch in Deutschland das Wort "Renaissance" und der damit ver¬ Grenzboten I. 18?ö, 12
Hat die deutsche Renaissance eine Zukunft? von Adolf Rosenberg. 2. ir haben gesehen, daß die Architektur unsers Jahrhunderts in Und doch war auch in Deutschland das Wort „Renaissance" und der damit ver¬ Grenzboten I. 18?ö, 12
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0101" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/194777"/> </div> <div n="1"> <head> Hat die deutsche Renaissance eine Zukunft?<lb/><note type="byline"> von Adolf Rosenberg.</note> 2.</head><lb/> <p xml:id="ID_274"> ir haben gesehen, daß die Architektur unsers Jahrhunderts in<lb/> sechzig Jahren von dem strengen Hellenismus Schinkels, unbeirrt<lb/> dnrch die antagonistischen Bestrebungen der Vertreter romanischer<lb/> und gothischer Baukunst, bis zur italienischen, deutscheu und fran¬<lb/> zösischen Renaissance hindurchgedrungen ist. Man könnte also<lb/> daraus schließen, daß die Renaissance, in welcher Erscheinungsform sie auch auf¬<lb/> treten möge, derjenige Stil sei, welcher der Geschmacksrichtung unsers Jahr¬<lb/> hunderts am meisten sympathisch ist. Wir sind sogar berechtigt, dieser Meinung<lb/> eine sehr gewichtige Grundlage dadurch zu geben, daß selbst die Franzosen den<lb/> Begriff Renaissance, der ihnen in dem von uns Deutschen angewendeten Sinne<lb/> bis vor kurzem vollkommen fremd oder doch nicht geläufig war, seit vier oder<lb/> fünf Jahren adoptirt haben. Wenn wir Belgien und Holland, die einzigen<lb/> Länder, in welchen — abgesehen von Deutschland und Frankreich — noch nach<lb/> historischer Überlieferung gebaut wird, hinzurechnen, so scheint in der That die<lb/> Renaissance des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts zu einer souveränen<lb/> Macht geworden zu sein, welche alle Bestrebungen niederkämpft, die zu einem<lb/> baukünstlerischen Ausdruck moderner Gedanken führen wollen. Wohin wir blicken,<lb/> überall tritt uns die helle Begeisterung für die Renaissance entgegen, am leiden¬<lb/> schaftlichsten freilich in den drei Ländern der europäischen Mitte, in Deutsch¬<lb/> land, Holland und Belgien, weil in Frankreich die historische Überlieferung<lb/> durch die herrschende Mode niemals soweit unterdrückt worden ist, daß jene<lb/> völlig in Vergessenheit geriet, und weil in Italien wenigstens die materiell er¬<lb/> gebnisreichsten Zweige der Kleinkunst stets im Anschluß an die Hcmdwcrkstra-<lb/> ditivn geblüht haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_275" next="#ID_276"> Und doch war auch in Deutschland das Wort „Renaissance" und der damit ver¬<lb/> bundene Begriff vor einem Menschenalter noch so unbekannt, daß ein geistvoller und<lb/> kenntnisreicher Mann wie Karl Bötticher, der Verfasser der „Tektonik der Hellenen,"<lb/> in einer im Jahre 1846 am Schinkelsche des Berliner Architektenvereins gehaltenen<lb/> Rede garnicht an die Möglichkeit dachte, der damals anscheinend unerschütterlich<lb/> festbegründete Baustil des Hellenismus könnte jemals durch italienische oder gar<lb/> deutsche „Renaissance" verdrängt werden. Unter Renaissance verstand man damals</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I. 18?ö, 12</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0101]
Hat die deutsche Renaissance eine Zukunft?
von Adolf Rosenberg. 2.
ir haben gesehen, daß die Architektur unsers Jahrhunderts in
sechzig Jahren von dem strengen Hellenismus Schinkels, unbeirrt
dnrch die antagonistischen Bestrebungen der Vertreter romanischer
und gothischer Baukunst, bis zur italienischen, deutscheu und fran¬
zösischen Renaissance hindurchgedrungen ist. Man könnte also
daraus schließen, daß die Renaissance, in welcher Erscheinungsform sie auch auf¬
treten möge, derjenige Stil sei, welcher der Geschmacksrichtung unsers Jahr¬
hunderts am meisten sympathisch ist. Wir sind sogar berechtigt, dieser Meinung
eine sehr gewichtige Grundlage dadurch zu geben, daß selbst die Franzosen den
Begriff Renaissance, der ihnen in dem von uns Deutschen angewendeten Sinne
bis vor kurzem vollkommen fremd oder doch nicht geläufig war, seit vier oder
fünf Jahren adoptirt haben. Wenn wir Belgien und Holland, die einzigen
Länder, in welchen — abgesehen von Deutschland und Frankreich — noch nach
historischer Überlieferung gebaut wird, hinzurechnen, so scheint in der That die
Renaissance des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts zu einer souveränen
Macht geworden zu sein, welche alle Bestrebungen niederkämpft, die zu einem
baukünstlerischen Ausdruck moderner Gedanken führen wollen. Wohin wir blicken,
überall tritt uns die helle Begeisterung für die Renaissance entgegen, am leiden¬
schaftlichsten freilich in den drei Ländern der europäischen Mitte, in Deutsch¬
land, Holland und Belgien, weil in Frankreich die historische Überlieferung
durch die herrschende Mode niemals soweit unterdrückt worden ist, daß jene
völlig in Vergessenheit geriet, und weil in Italien wenigstens die materiell er¬
gebnisreichsten Zweige der Kleinkunst stets im Anschluß an die Hcmdwcrkstra-
ditivn geblüht haben.
Und doch war auch in Deutschland das Wort „Renaissance" und der damit ver¬
bundene Begriff vor einem Menschenalter noch so unbekannt, daß ein geistvoller und
kenntnisreicher Mann wie Karl Bötticher, der Verfasser der „Tektonik der Hellenen,"
in einer im Jahre 1846 am Schinkelsche des Berliner Architektenvereins gehaltenen
Rede garnicht an die Möglichkeit dachte, der damals anscheinend unerschütterlich
festbegründete Baustil des Hellenismus könnte jemals durch italienische oder gar
deutsche „Renaissance" verdrängt werden. Unter Renaissance verstand man damals
Grenzboten I. 18?ö, 12
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