Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.Uhlcnhans. Die Strafgefangenen sollen sich nicht "Wohlbefinden." sonst wäre es über¬ Man sieht: was heutzutage mit dem Namen "Humanität" im Strafrecht be¬ Uhlenhans. mer Bnchkritik stehen zwei Wege offen. Sie kann den Leser auf Uhlcnhans. Die Strafgefangenen sollen sich nicht „Wohlbefinden." sonst wäre es über¬ Man sieht: was heutzutage mit dem Namen „Humanität" im Strafrecht be¬ Uhlenhans. mer Bnchkritik stehen zwei Wege offen. Sie kann den Leser auf <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0613" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/155496"/> <fw type="header" place="top"> Uhlcnhans.</fw><lb/> <p xml:id="ID_2461"> Die Strafgefangenen sollen sich nicht „Wohlbefinden." sonst wäre es über¬<lb/> flüssig, ihnen das Übel einer Freiheitsstrafe zuzufügen. Andrerseits sollen aber<lb/> auch ehrliche freie Arbeiter nicht geschädigt werden dadurch, daß ihnen Straf-<lb/> arbeitcr den Verdienst schmälern und sie gezwungen sind, zu Beschäftigungen<lb/> ihre Zuflucht zu nehmen, bei denen sie zu Grunde gehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2462"> Man sieht: was heutzutage mit dem Namen „Humanität" im Strafrecht be¬<lb/> zeichnet wird, ist teils ein Mittel, durch welches der Egoismus mit einem schönen<lb/> Firnis überzogen werden soll, teils ein Mitleid, welches aus geistiger Kurz¬<lb/> sichtigkeit am unrechten Platze zum Ausdruck gelangt und daher nur schädlich<lb/> wirkt. Mitleid in diesem Sinne ist der Feind der wahren Humanität.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Uhlenhans.</head><lb/> <p xml:id="ID_2463"> mer Bnchkritik stehen zwei Wege offen. Sie kann den Leser auf<lb/> die Lektüre des Werkes vorbereiten, ihn in Stimmung versetzen,<lb/> sein Urteil klären, sein ästhetisches Gewissen wachrufen, oder sie<lb/> kann ihm nachträglich zu Hilfe kommen, ihm die Orientirung<lb/> über das bereits Gelesene erleichtern, den konkreten Einzelfall an<lb/> der abstrakten Theorie messend, die Grundlagen zu einer sichern und bleibenden<lb/> Beurteilung errichten. Der Autor wird an beiden gleichviel auszusetzen haben;<lb/> er wird am ersten die Erweckung von Vorurteilen, am zweiten die Störung<lb/> des unbefangenen Genusses, die Beeinträchtigung der unmittelbaren und leben¬<lb/> digen Wirkung tadeln, die er zu beiderseitigen Gewinn auf das Publikum aus¬<lb/> zuüben strebt. Dem Kritiker ist es immer nur um eines zu thun: wie er dem<lb/> ästhetischen Ideal, dessen Anwalt er ist, und wie er dem Dichter, der dasselbe<lb/> in einer Nachbildung wirklichen Lebens in oonorsto darzustellen suchte, gleicher¬<lb/> maßen gerecht werden möge. Freilich, einem Autor gegenüber, dessen Bedeutung<lb/> anerkannt und dessen Talent ein ungewöhnlich hervorragendes ist, wird er sich<lb/> gern bescheiden, wird die Betonung allgemeiner Theoreme vor der Würdigung<lb/> des Individuellen, Gegebenen zurücktreten lassen, seine Kritik zu einer Ausdeutung<lb/> des vorliegenden Kunstwerks gestalten und dann erst untersuchen, ob das Ge¬<lb/> fundene sich vor den ewig giltigen Regeln poetischen Schaffens rechtfertigen<lb/> lasse. Darin liegt nicht eine indirekte Rücksichtslosigkeit gegen andre, jüngere<lb/> und kleinere Talente, sondern das ehrliche Geständnis, daß ein Meister poetischen<lb/> Schaffens jenen Regeln praktisch ans mannichfachere Weise und tiefsinniger gerecht<lb/> zu werden versteht, als der Kritiker theoretisch ermessen kann.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0613]
Uhlcnhans.
Die Strafgefangenen sollen sich nicht „Wohlbefinden." sonst wäre es über¬
flüssig, ihnen das Übel einer Freiheitsstrafe zuzufügen. Andrerseits sollen aber
auch ehrliche freie Arbeiter nicht geschädigt werden dadurch, daß ihnen Straf-
arbeitcr den Verdienst schmälern und sie gezwungen sind, zu Beschäftigungen
ihre Zuflucht zu nehmen, bei denen sie zu Grunde gehen.
Man sieht: was heutzutage mit dem Namen „Humanität" im Strafrecht be¬
zeichnet wird, ist teils ein Mittel, durch welches der Egoismus mit einem schönen
Firnis überzogen werden soll, teils ein Mitleid, welches aus geistiger Kurz¬
sichtigkeit am unrechten Platze zum Ausdruck gelangt und daher nur schädlich
wirkt. Mitleid in diesem Sinne ist der Feind der wahren Humanität.
Uhlenhans.
mer Bnchkritik stehen zwei Wege offen. Sie kann den Leser auf
die Lektüre des Werkes vorbereiten, ihn in Stimmung versetzen,
sein Urteil klären, sein ästhetisches Gewissen wachrufen, oder sie
kann ihm nachträglich zu Hilfe kommen, ihm die Orientirung
über das bereits Gelesene erleichtern, den konkreten Einzelfall an
der abstrakten Theorie messend, die Grundlagen zu einer sichern und bleibenden
Beurteilung errichten. Der Autor wird an beiden gleichviel auszusetzen haben;
er wird am ersten die Erweckung von Vorurteilen, am zweiten die Störung
des unbefangenen Genusses, die Beeinträchtigung der unmittelbaren und leben¬
digen Wirkung tadeln, die er zu beiderseitigen Gewinn auf das Publikum aus¬
zuüben strebt. Dem Kritiker ist es immer nur um eines zu thun: wie er dem
ästhetischen Ideal, dessen Anwalt er ist, und wie er dem Dichter, der dasselbe
in einer Nachbildung wirklichen Lebens in oonorsto darzustellen suchte, gleicher¬
maßen gerecht werden möge. Freilich, einem Autor gegenüber, dessen Bedeutung
anerkannt und dessen Talent ein ungewöhnlich hervorragendes ist, wird er sich
gern bescheiden, wird die Betonung allgemeiner Theoreme vor der Würdigung
des Individuellen, Gegebenen zurücktreten lassen, seine Kritik zu einer Ausdeutung
des vorliegenden Kunstwerks gestalten und dann erst untersuchen, ob das Ge¬
fundene sich vor den ewig giltigen Regeln poetischen Schaffens rechtfertigen
lasse. Darin liegt nicht eine indirekte Rücksichtslosigkeit gegen andre, jüngere
und kleinere Talente, sondern das ehrliche Geständnis, daß ein Meister poetischen
Schaffens jenen Regeln praktisch ans mannichfachere Weise und tiefsinniger gerecht
zu werden versteht, als der Kritiker theoretisch ermessen kann.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |