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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Notiz

daß ich dich immer noch vor Schluß der Stunde lebendig zu schinden imstande
bin. Die Stadt' und Bäume --

Und während Studiosus A. A. Asche am Tischrande die Faust im Kreise
dreht, als drehe er den Griff einer Straßenorgcl, leiere ich her:


Die sellde' und Bäume auf ein us
Man weiblich nur gebrauchen muß.
Von andern Wörtern merke man
Sich s,Ions, oolns, Iramus, vannus an.
Die Wörter virus, xsl^Aus
Sind einzig Neutra auf ein us,
Und ont^us ist daneben auch
Als Neutrum meistens im Gebrauch --

Hurrah! Wieder hinein in den Vulgus und zwar als möglichst komplettes
Neutrum! (Fortsetzung folgt.)




Notiz.

Zufällige Umstände. Die politische Phraseologie ist um ein hübsches Wort
bereichert worden. Der glückliche Erfinder desselben ist Herr Albert Träger, be¬
kanntlich ein hervorragendes Mitglied der Fortschrittstruppe und bisher Vertreter
der niedrigen Komik. Wir sagen: bisher, denn er scheint zu einem andern Fache
übergehen zu wollen, vielleicht, weil er den Beruf zu etwas Höheren in sich ent¬
deckt hat, vielleicht, weil er einsieht, daß der Herr Direktor es doch noch besser
versteht, das Galeriepublikum zu entzücken. Doch mag auch Not an Mann sein,
wie das bei solchen Gesellschaften Wohl vorkommt, wo dann ein Künstler zur Rolle
des Schneider Jctter noch den Herzog Alba übernehmen muß. Wie dem auch sei,
genug, er hat neulich in einer Berliner Wählerversammlung als Held debütirt,
welcher die verfolgte Unschuld in seinen Schutz nimmt. sothane Unschuld nennt
sich Ludwig Löwe. Für ein erstes Auftreten auf einem neuen Gebiete war das
allerdings- keine glückliche Wahl. Auch einem bewährten Kämpen in Rittersticfeln
würde es schwer geworden sein, die Zuhörerschaft in feierlicher Stimmung zu er¬
halten, und nun jemand, bei dessen bloßem Erscheinen sich gewohnheitsgemäß die
Mundwinkel verziehen! Der Jammer eines Clown, welcher mit dem Tod im Herzen
Possen reißen muß und dessen Schmerzgrimassen als ungewöhnlich drollig belacht
werden, ist bereits oft geschildert worden; für die Unglücklichen aber, deren Pathos
für Karikatur genommen wird, haben die wenigsten ein Herz. Unter so erschwe¬
renden Umständen leistete Herr Träger wirklich das Mögliche. Der Haupttrumpf
war dieser: "Man beschuldigt den armen Löwe des Judentums, aber das ist ja
nur ein ganz zufälliger Umstand." Kann ein Verteidiger geistreicher sein? Das
wahre Kolumbusei! Jedermann wußte, daß Herr Löwe an seinem Judentum so
unschuldig ist wie Herr Träger an seinem Deutschtum, abgesehen davon, daß letzterer
sich gewiß ebensogut, vielleicht sogar noch besser, zum jüdischen Mann schicken würde.
Jedermann wußte, daß ein Staarmatz nichts dafür kann, daß er weder ein Adler,
noch eine Nachtigall, noch eine Martinsgans geworden ist. Aber auf die Nutzan¬
wendung war bisher niemand verfallen. Vorurteilsvoll, wie wir sind, glaubten
wir bisher, daß Chinesen, Juden, Polen, Deutsche, Spanier u. s. w. sich durch ge¬
wisse Charaktereigenschaften, Vorzüge und Fehler von einander unterscheiden, daß
die eine Nation in dieser, die andre in jener Richtung sich hervorthue oder doch


Notiz

daß ich dich immer noch vor Schluß der Stunde lebendig zu schinden imstande
bin. Die Stadt' und Bäume —

Und während Studiosus A. A. Asche am Tischrande die Faust im Kreise
dreht, als drehe er den Griff einer Straßenorgcl, leiere ich her:


Die sellde' und Bäume auf ein us
Man weiblich nur gebrauchen muß.
Von andern Wörtern merke man
Sich s,Ions, oolns, Iramus, vannus an.
Die Wörter virus, xsl^Aus
Sind einzig Neutra auf ein us,
Und ont^us ist daneben auch
Als Neutrum meistens im Gebrauch —

Hurrah! Wieder hinein in den Vulgus und zwar als möglichst komplettes
Neutrum! (Fortsetzung folgt.)




Notiz.

Zufällige Umstände. Die politische Phraseologie ist um ein hübsches Wort
bereichert worden. Der glückliche Erfinder desselben ist Herr Albert Träger, be¬
kanntlich ein hervorragendes Mitglied der Fortschrittstruppe und bisher Vertreter
der niedrigen Komik. Wir sagen: bisher, denn er scheint zu einem andern Fache
übergehen zu wollen, vielleicht, weil er den Beruf zu etwas Höheren in sich ent¬
deckt hat, vielleicht, weil er einsieht, daß der Herr Direktor es doch noch besser
versteht, das Galeriepublikum zu entzücken. Doch mag auch Not an Mann sein,
wie das bei solchen Gesellschaften Wohl vorkommt, wo dann ein Künstler zur Rolle
des Schneider Jctter noch den Herzog Alba übernehmen muß. Wie dem auch sei,
genug, er hat neulich in einer Berliner Wählerversammlung als Held debütirt,
welcher die verfolgte Unschuld in seinen Schutz nimmt. sothane Unschuld nennt
sich Ludwig Löwe. Für ein erstes Auftreten auf einem neuen Gebiete war das
allerdings- keine glückliche Wahl. Auch einem bewährten Kämpen in Rittersticfeln
würde es schwer geworden sein, die Zuhörerschaft in feierlicher Stimmung zu er¬
halten, und nun jemand, bei dessen bloßem Erscheinen sich gewohnheitsgemäß die
Mundwinkel verziehen! Der Jammer eines Clown, welcher mit dem Tod im Herzen
Possen reißen muß und dessen Schmerzgrimassen als ungewöhnlich drollig belacht
werden, ist bereits oft geschildert worden; für die Unglücklichen aber, deren Pathos
für Karikatur genommen wird, haben die wenigsten ein Herz. Unter so erschwe¬
renden Umständen leistete Herr Träger wirklich das Mögliche. Der Haupttrumpf
war dieser: „Man beschuldigt den armen Löwe des Judentums, aber das ist ja
nur ein ganz zufälliger Umstand." Kann ein Verteidiger geistreicher sein? Das
wahre Kolumbusei! Jedermann wußte, daß Herr Löwe an seinem Judentum so
unschuldig ist wie Herr Träger an seinem Deutschtum, abgesehen davon, daß letzterer
sich gewiß ebensogut, vielleicht sogar noch besser, zum jüdischen Mann schicken würde.
Jedermann wußte, daß ein Staarmatz nichts dafür kann, daß er weder ein Adler,
noch eine Nachtigall, noch eine Martinsgans geworden ist. Aber auf die Nutzan¬
wendung war bisher niemand verfallen. Vorurteilsvoll, wie wir sind, glaubten
wir bisher, daß Chinesen, Juden, Polen, Deutsche, Spanier u. s. w. sich durch ge¬
wisse Charaktereigenschaften, Vorzüge und Fehler von einander unterscheiden, daß
die eine Nation in dieser, die andre in jener Richtung sich hervorthue oder doch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/60>, abgerufen am 27.12.2024.