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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Gin Roman ans den dreißiger Jahren.

klar denken lernen und erkennen, wo diese Klarheit aufhört? Wir haben es
im Eingange dieser Zeilen schon gesagt: es ist uns bange zu Mute, ob die
Einwände verständigen Denkens jemals klar und anziehend genug dargestellt
werden, um dem starken Zauber naturwissenschaftlicher Märchenbücher die Spitze
bieten zu können. Bei der heutigen Strömung des Geistes wirken selbst be¬
sonnene und maßvolle naturwissenschaftliche Darstellungen vielfach wie ein nar¬
kotisches Gift. Die Rettung läge darin, daß die Autoren selbst freimütig die
notwendige Grenze zögen, daß sie lieber auf jede Weiterführung ihrer Ideen
über die Darlegung der Prinzipien hinaus verzichteten, als Anlaß zu falschen
Weiterführungen zu geben. Hoffnungsloser Wunsch! Selbst in Büchern wie dem
vorliegenden von Helmholtz, dem sicher kein Mensch Unwissenschaftlichkeit oder
Mangel an Vornehmheit der Gesinnung nachsagen wird: selbst in ihm finden
wir jene Herabwürdigung der Metaphysik, deren Anerkennung der erste Schritt
zur Besserung sein würde.

Da ist es denn übel bestellt um unsre gefährdeten Güter. Aber warnen
wollen wir doch, und über die naturwissenschaftlich-mechanische Hochflut unsrer
Tage rufen wir ein ernstes: Viclsant <zon8u1of.




Ein Roman aus den dreißiger Jahren.

it großem Trommellärm und dazwischen erklingenden schmetternden
Trompetenstößen wird in gewissen Zeitungen ein neuer Roman
von dem beliebten und in seiner Weise (wie wir gleich voraus¬
schicken wollen) in der That vortrefflichen Erzähler Otto Müller
unter dem etwas leihbiblivthckenmäßig klingenden, übrigens dem
Inhalt entsprechenden Titel Altar und Kerker angekündigt.") Dabei fällt
auf, daß die Besprechungen nicht sowohl das poetische Verdienst der Erzählung,
das doch zunächst in Frage kommt, hervorheben -- sie verbreiten sich nur flüchtig
über Erfindung und Gestaltcnschöpfung, über Leben und Stimmung des
Romans --, sondern über die dem Roman zu gründe liegenden Thatsachen leit-
artikeln. Diese Thatsachen sind im wesentlichen die Geschichte und das unselige
Ende, welches der Pfarrer Weidig von Obergleen, der frühere Rektor von Butz-
bach, im Jahre 1837 im Kerker zu Darmstadt gefunden hat.



Altar und Kerker. Ein Roman aus den dreißiger Jahren. Den Manen Weidigs
gewidmet von Otto Müller. Stuttgart, Adolf Bonz und Comp,, 1884.
Gin Roman ans den dreißiger Jahren.

klar denken lernen und erkennen, wo diese Klarheit aufhört? Wir haben es
im Eingange dieser Zeilen schon gesagt: es ist uns bange zu Mute, ob die
Einwände verständigen Denkens jemals klar und anziehend genug dargestellt
werden, um dem starken Zauber naturwissenschaftlicher Märchenbücher die Spitze
bieten zu können. Bei der heutigen Strömung des Geistes wirken selbst be¬
sonnene und maßvolle naturwissenschaftliche Darstellungen vielfach wie ein nar¬
kotisches Gift. Die Rettung läge darin, daß die Autoren selbst freimütig die
notwendige Grenze zögen, daß sie lieber auf jede Weiterführung ihrer Ideen
über die Darlegung der Prinzipien hinaus verzichteten, als Anlaß zu falschen
Weiterführungen zu geben. Hoffnungsloser Wunsch! Selbst in Büchern wie dem
vorliegenden von Helmholtz, dem sicher kein Mensch Unwissenschaftlichkeit oder
Mangel an Vornehmheit der Gesinnung nachsagen wird: selbst in ihm finden
wir jene Herabwürdigung der Metaphysik, deren Anerkennung der erste Schritt
zur Besserung sein würde.

Da ist es denn übel bestellt um unsre gefährdeten Güter. Aber warnen
wollen wir doch, und über die naturwissenschaftlich-mechanische Hochflut unsrer
Tage rufen wir ein ernstes: Viclsant <zon8u1of.




Ein Roman aus den dreißiger Jahren.

it großem Trommellärm und dazwischen erklingenden schmetternden
Trompetenstößen wird in gewissen Zeitungen ein neuer Roman
von dem beliebten und in seiner Weise (wie wir gleich voraus¬
schicken wollen) in der That vortrefflichen Erzähler Otto Müller
unter dem etwas leihbiblivthckenmäßig klingenden, übrigens dem
Inhalt entsprechenden Titel Altar und Kerker angekündigt.") Dabei fällt
auf, daß die Besprechungen nicht sowohl das poetische Verdienst der Erzählung,
das doch zunächst in Frage kommt, hervorheben — sie verbreiten sich nur flüchtig
über Erfindung und Gestaltcnschöpfung, über Leben und Stimmung des
Romans —, sondern über die dem Roman zu gründe liegenden Thatsachen leit-
artikeln. Diese Thatsachen sind im wesentlichen die Geschichte und das unselige
Ende, welches der Pfarrer Weidig von Obergleen, der frühere Rektor von Butz-
bach, im Jahre 1837 im Kerker zu Darmstadt gefunden hat.



Altar und Kerker. Ein Roman aus den dreißiger Jahren. Den Manen Weidigs
gewidmet von Otto Müller. Stuttgart, Adolf Bonz und Comp,, 1884.
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[0586] Gin Roman ans den dreißiger Jahren. klar denken lernen und erkennen, wo diese Klarheit aufhört? Wir haben es im Eingange dieser Zeilen schon gesagt: es ist uns bange zu Mute, ob die Einwände verständigen Denkens jemals klar und anziehend genug dargestellt werden, um dem starken Zauber naturwissenschaftlicher Märchenbücher die Spitze bieten zu können. Bei der heutigen Strömung des Geistes wirken selbst be¬ sonnene und maßvolle naturwissenschaftliche Darstellungen vielfach wie ein nar¬ kotisches Gift. Die Rettung läge darin, daß die Autoren selbst freimütig die notwendige Grenze zögen, daß sie lieber auf jede Weiterführung ihrer Ideen über die Darlegung der Prinzipien hinaus verzichteten, als Anlaß zu falschen Weiterführungen zu geben. Hoffnungsloser Wunsch! Selbst in Büchern wie dem vorliegenden von Helmholtz, dem sicher kein Mensch Unwissenschaftlichkeit oder Mangel an Vornehmheit der Gesinnung nachsagen wird: selbst in ihm finden wir jene Herabwürdigung der Metaphysik, deren Anerkennung der erste Schritt zur Besserung sein würde. Da ist es denn übel bestellt um unsre gefährdeten Güter. Aber warnen wollen wir doch, und über die naturwissenschaftlich-mechanische Hochflut unsrer Tage rufen wir ein ernstes: Viclsant <zon8u1of. Ein Roman aus den dreißiger Jahren. it großem Trommellärm und dazwischen erklingenden schmetternden Trompetenstößen wird in gewissen Zeitungen ein neuer Roman von dem beliebten und in seiner Weise (wie wir gleich voraus¬ schicken wollen) in der That vortrefflichen Erzähler Otto Müller unter dem etwas leihbiblivthckenmäßig klingenden, übrigens dem Inhalt entsprechenden Titel Altar und Kerker angekündigt.") Dabei fällt auf, daß die Besprechungen nicht sowohl das poetische Verdienst der Erzählung, das doch zunächst in Frage kommt, hervorheben — sie verbreiten sich nur flüchtig über Erfindung und Gestaltcnschöpfung, über Leben und Stimmung des Romans —, sondern über die dem Roman zu gründe liegenden Thatsachen leit- artikeln. Diese Thatsachen sind im wesentlichen die Geschichte und das unselige Ende, welches der Pfarrer Weidig von Obergleen, der frühere Rektor von Butz- bach, im Jahre 1837 im Kerker zu Darmstadt gefunden hat. Altar und Kerker. Ein Roman aus den dreißiger Jahren. Den Manen Weidigs gewidmet von Otto Müller. Stuttgart, Adolf Bonz und Comp,, 1884.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/586>, abgerufen am 27.12.2024.