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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Pfisters Mühle.

einen mehr oder weniger vergnüglichen kleinen Rausch an diesen Gartentischen
gezeugt; aber kein guter Trunk hat so einen aus Licht und Schatten und Er¬
innerung gewebten, wie er mich in diesen Tagen gefangen hält, einem andern
Gast zuwege gebracht.

, Wie Tarsus in der Wüste ist sie, meine Mühle, Kind! hatte ich noch
neulich im Eisenbahnwagen zu Emmy geseufzt. Sie hat den Namen, daß sie
lebet, und ist tot!

O Gott, dann weiß ich doch nicht, ob es trotz allem nicht besser gewesen
wäre, wenn wir wo anders zu unsrer Erholung hingegangen wären, hatte die
Kleine unter dem Eindruck des lugubem, biblisch-gelehrten Zitats ängstlich er¬
wiedert und -- nun gab es nichts lebendigeres für sie und für mich als
Pfisters Mühle.

Für sie war es ein neues, liebliches, ungewohntes -- unbekanntes Leben;
für mich ein konzentrirtestes Dasein alles dessen, was an Bekanntschaft und
Gewohnheit gewesen war, von Kindheit an, durch wundervollste Jünglingsjahre
bis hinein ins früheste, grünendste Mannesalter.

Alles um mich herum, bei gutem und schlechtem Wetter, bei Sonnen¬
schein und Regen, hatte in den Tagen und Nächten dieser seltsamen Sommer¬
frische nicht bloß den Namen, daß es lebte, sondern es lebte wirklich. Und wie
hätte vor allem der letzte wirkliche Herr und Wirt des guten Ortes sich in
Nebel und Nichts auflösen können, während sein letzter Stammgast noch seinen
Platz auf der Bank und am Tische festhielt?




Viertes Blatt.
Herein von der Gänseweide.

Einen Augenblick, meine Herren, es wird frisch angestochen! Ich höre den
jovialen Ruf, wie einer der durstigen Gäste im Garten, und ich bin zugleich
auf der kühlen, gewölbten Flur mit dabei als flachsköpfiger, dreitüsehvher Ein¬
geborener und beobachte deu Borgang mit stets sich gleich bleibendem Interesse.
Das geleerte Faß darf ich deu Abhang hinter dem Hause hinab, in den Schuppen
zu den übrigen rollen, und das 6g.uäsiZ.iun8 igiwr aus der großen Laube ist
mir wie ein Gesang von der Wiege her. Seit Väterzeiteu keimen wir, alle Pfister
in der Mühle, das Kommersbuch auswendig, wenn ich gleich in neuester Zeit
der Einzige bin, der auch in andern Lauben, Gärten, Schenken und Mühlen
mit Schankgerechtsame Gebrauch davon gemacht hat mit der Verbindungsmützc
auf dem närrischen, heißen Kopfe und dem Schläger in der Faust.

Er setzte etwas auf seinen und seines Hauses und Gartens Ruf in der
Welt, mein Vater! Fast alle unsere Wände waren mit den Verbindungsbildern,
Silhouetten und Photographien seiner akademischen Freunde bedeckt, und für
mein eignes Leben sind seine Neigungen zu dem jungen gelehrten Volk und allem,


Pfisters Mühle.

einen mehr oder weniger vergnüglichen kleinen Rausch an diesen Gartentischen
gezeugt; aber kein guter Trunk hat so einen aus Licht und Schatten und Er¬
innerung gewebten, wie er mich in diesen Tagen gefangen hält, einem andern
Gast zuwege gebracht.

, Wie Tarsus in der Wüste ist sie, meine Mühle, Kind! hatte ich noch
neulich im Eisenbahnwagen zu Emmy geseufzt. Sie hat den Namen, daß sie
lebet, und ist tot!

O Gott, dann weiß ich doch nicht, ob es trotz allem nicht besser gewesen
wäre, wenn wir wo anders zu unsrer Erholung hingegangen wären, hatte die
Kleine unter dem Eindruck des lugubem, biblisch-gelehrten Zitats ängstlich er¬
wiedert und — nun gab es nichts lebendigeres für sie und für mich als
Pfisters Mühle.

Für sie war es ein neues, liebliches, ungewohntes — unbekanntes Leben;
für mich ein konzentrirtestes Dasein alles dessen, was an Bekanntschaft und
Gewohnheit gewesen war, von Kindheit an, durch wundervollste Jünglingsjahre
bis hinein ins früheste, grünendste Mannesalter.

Alles um mich herum, bei gutem und schlechtem Wetter, bei Sonnen¬
schein und Regen, hatte in den Tagen und Nächten dieser seltsamen Sommer¬
frische nicht bloß den Namen, daß es lebte, sondern es lebte wirklich. Und wie
hätte vor allem der letzte wirkliche Herr und Wirt des guten Ortes sich in
Nebel und Nichts auflösen können, während sein letzter Stammgast noch seinen
Platz auf der Bank und am Tische festhielt?




Viertes Blatt.
Herein von der Gänseweide.

Einen Augenblick, meine Herren, es wird frisch angestochen! Ich höre den
jovialen Ruf, wie einer der durstigen Gäste im Garten, und ich bin zugleich
auf der kühlen, gewölbten Flur mit dabei als flachsköpfiger, dreitüsehvher Ein¬
geborener und beobachte deu Borgang mit stets sich gleich bleibendem Interesse.
Das geleerte Faß darf ich deu Abhang hinter dem Hause hinab, in den Schuppen
zu den übrigen rollen, und das 6g.uäsiZ.iun8 igiwr aus der großen Laube ist
mir wie ein Gesang von der Wiege her. Seit Väterzeiteu keimen wir, alle Pfister
in der Mühle, das Kommersbuch auswendig, wenn ich gleich in neuester Zeit
der Einzige bin, der auch in andern Lauben, Gärten, Schenken und Mühlen
mit Schankgerechtsame Gebrauch davon gemacht hat mit der Verbindungsmützc
auf dem närrischen, heißen Kopfe und dem Schläger in der Faust.

Er setzte etwas auf seinen und seines Hauses und Gartens Ruf in der
Welt, mein Vater! Fast alle unsere Wände waren mit den Verbindungsbildern,
Silhouetten und Photographien seiner akademischen Freunde bedeckt, und für
mein eignes Leben sind seine Neigungen zu dem jungen gelehrten Volk und allem,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/55>, abgerufen am 27.12.2024.