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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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jDfisters Mühle.
Wilhelm Raabe. Lin Sommerferienheft von
(Fortsetzung.)

le alte Christine hatte nichts weiter in der Welt gehabt und
kannte weiter nichts als die Mühle, und so hatte sie nun, da es
bitterer, blutiger Ernst anch mit ihrem Abschiednehmen wurde, so
ziemlich alles verloren, und wenn ein Mensch in der Wüste um
sie her sanft und vorsichtig mit ihr umgehen mußte, so war ich
das -- ich, Ebert Pfister, meines verstorbenen Vaters Sohn und Erbe.

Nun waren die Tage, wo ich sie hier und da sitzend fand, zusammengekauert
auf einer Treppenstufe, in einer Bodenkammer, am leeren Mühlkasten oder am
Fluß, trotz des warmen Sommers fröstelnd, die beschäftigungslosen Hände in
die Schürze gewickelt. So manches Jahr durch hatte sie die lustigen Bänke
und Tische unter den Kastanien ihres Meisters fröhlichen Gästen überlassen:
jetzt hatte sie dieselben für sich allein, und so fand ich sie eben wieder auf einem
der Sitze in einer der Lauben am Bach, während der linde Sommerschauer leise
auf das dichte Blätterdach niederrieselte.

Und den schweren alten Kopf mit beiden Händen fassend und den Ober¬
körper in Angst und Ruhelosigkeit hin und her wiegend, schluchzte sie, als ich zu
ihr trat:

O Ebert, daß ich das auszustehen habe! daß ich dieses erleben muß! . . .


Da öffnet sich ein Fensterlein,
Das einzige noch ganze,
Ein schönes, bleiches Mägdelein
Zeigt sich im Mondenglanze,
Und ruft vernehmlich durchs Gebraus
Mit süßer Stimme Klang hinaus:
Nun habt ihr doch, ihr Leute,
Genug des Mehls für heute!



jDfisters Mühle.
Wilhelm Raabe. Lin Sommerferienheft von
(Fortsetzung.)

le alte Christine hatte nichts weiter in der Welt gehabt und
kannte weiter nichts als die Mühle, und so hatte sie nun, da es
bitterer, blutiger Ernst anch mit ihrem Abschiednehmen wurde, so
ziemlich alles verloren, und wenn ein Mensch in der Wüste um
sie her sanft und vorsichtig mit ihr umgehen mußte, so war ich
das — ich, Ebert Pfister, meines verstorbenen Vaters Sohn und Erbe.

Nun waren die Tage, wo ich sie hier und da sitzend fand, zusammengekauert
auf einer Treppenstufe, in einer Bodenkammer, am leeren Mühlkasten oder am
Fluß, trotz des warmen Sommers fröstelnd, die beschäftigungslosen Hände in
die Schürze gewickelt. So manches Jahr durch hatte sie die lustigen Bänke
und Tische unter den Kastanien ihres Meisters fröhlichen Gästen überlassen:
jetzt hatte sie dieselben für sich allein, und so fand ich sie eben wieder auf einem
der Sitze in einer der Lauben am Bach, während der linde Sommerschauer leise
auf das dichte Blätterdach niederrieselte.

Und den schweren alten Kopf mit beiden Händen fassend und den Ober¬
körper in Angst und Ruhelosigkeit hin und her wiegend, schluchzte sie, als ich zu
ihr trat:

O Ebert, daß ich das auszustehen habe! daß ich dieses erleben muß! . . .


Da öffnet sich ein Fensterlein,
Das einzige noch ganze,
Ein schönes, bleiches Mägdelein
Zeigt sich im Mondenglanze,
Und ruft vernehmlich durchs Gebraus
Mit süßer Stimme Klang hinaus:
Nun habt ihr doch, ihr Leute,
Genug des Mehls für heute!

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[0541] [Abbildung] jDfisters Mühle. Wilhelm Raabe. Lin Sommerferienheft von (Fortsetzung.) le alte Christine hatte nichts weiter in der Welt gehabt und kannte weiter nichts als die Mühle, und so hatte sie nun, da es bitterer, blutiger Ernst anch mit ihrem Abschiednehmen wurde, so ziemlich alles verloren, und wenn ein Mensch in der Wüste um sie her sanft und vorsichtig mit ihr umgehen mußte, so war ich das — ich, Ebert Pfister, meines verstorbenen Vaters Sohn und Erbe. Nun waren die Tage, wo ich sie hier und da sitzend fand, zusammengekauert auf einer Treppenstufe, in einer Bodenkammer, am leeren Mühlkasten oder am Fluß, trotz des warmen Sommers fröstelnd, die beschäftigungslosen Hände in die Schürze gewickelt. So manches Jahr durch hatte sie die lustigen Bänke und Tische unter den Kastanien ihres Meisters fröhlichen Gästen überlassen: jetzt hatte sie dieselben für sich allein, und so fand ich sie eben wieder auf einem der Sitze in einer der Lauben am Bach, während der linde Sommerschauer leise auf das dichte Blätterdach niederrieselte. Und den schweren alten Kopf mit beiden Händen fassend und den Ober¬ körper in Angst und Ruhelosigkeit hin und her wiegend, schluchzte sie, als ich zu ihr trat: O Ebert, daß ich das auszustehen habe! daß ich dieses erleben muß! . . . Da öffnet sich ein Fensterlein, Das einzige noch ganze, Ein schönes, bleiches Mägdelein Zeigt sich im Mondenglanze, Und ruft vernehmlich durchs Gebraus Mit süßer Stimme Klang hinaus: Nun habt ihr doch, ihr Leute, Genug des Mehls für heute!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/541>, abgerufen am 27.12.2024.