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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Die Zunahme des ^ozialismus.

^^^^^^el den letzten Reichstagswahlen hat sich eine bedenkliche Zunahme
der sozialistischen Stimmen gezeigt. Es sind im ganzen deutschen
Reiche etwa 530 000 Stimmen für die Kandidaten der soziali¬
stischen Partei abgegeben worden; speziell in Berlin ist die Zahl
der sozialistischen Stimmen, nachdem sie von 67 im Jahre 1867
bis zum Jahre 1378 auf 56147 gewachsen, im Jahre 1881 auf 30871 ge¬
fallen war, jetzt wieder auf 68582 gestiegen. Man mag als den tieferen Grund
dieses Anwachsens ansehen, was man will: die Thatsache steht jedenfalls fest,
daß die soziale Frage eine Bedeutung erlangt hat, über welche sich keine Partei
weiteren Illusionen hingeben kann, und ebenso kann nicht bestritten werden, daß
mit dem Beginn der Herrschaft des Liberalismus und seiner Wirtschaftsgesetz¬
gebung die Sozialdemokratie entstanden und fortwährend gewachsen ist. Die
neuesten Wahlen sind ein lautes Zeugnis gegen die wirtschaftlichen Errungen¬
schaften des manchesterlichen Liberalismus und bekunden die Notwendigkeit, die
von der Regierung geplante Reform der sozialen Zustände allerseits mit grö¬
ßerer Bereitwilligkeit als bisher zu unterstützen. Diese Einsicht scheint sich auch
in den Reihen der liberalen Politiker geltend zu machen, welche bisher in ihrer
Bornirtheit alle darauf bezüglichen Bestrebungen der Regierung für wertlose
idealistische Phantasien und auf Vermehrung der Abhängigkeit der Arbeiter ge¬
richtete Maßregeln erklären zu dürfen glaubten; denn einzelne Preßorgane der
freisinnigen Partei plädiren bereits für die Aufstellung von Entwürfen (Alters¬
versorgung u. s. w. betreffend) von feiten dieser Partei selbst, wenn sie auch
in ihrer Dünkelhaftigkeit diesen Vorschlag damit einleiten, daß man nicht warten
dürfe, "bis die Regierung irgendeinen verfehlten (!) Entwurf vorlege." Die
Verblendung, als ob die sozialen Aufgaben auf dem Wege der schrankenlosen


Grenzboten IV. 1834. 62


Die Zunahme des ^ozialismus.

^^^^^^el den letzten Reichstagswahlen hat sich eine bedenkliche Zunahme
der sozialistischen Stimmen gezeigt. Es sind im ganzen deutschen
Reiche etwa 530 000 Stimmen für die Kandidaten der soziali¬
stischen Partei abgegeben worden; speziell in Berlin ist die Zahl
der sozialistischen Stimmen, nachdem sie von 67 im Jahre 1867
bis zum Jahre 1378 auf 56147 gewachsen, im Jahre 1881 auf 30871 ge¬
fallen war, jetzt wieder auf 68582 gestiegen. Man mag als den tieferen Grund
dieses Anwachsens ansehen, was man will: die Thatsache steht jedenfalls fest,
daß die soziale Frage eine Bedeutung erlangt hat, über welche sich keine Partei
weiteren Illusionen hingeben kann, und ebenso kann nicht bestritten werden, daß
mit dem Beginn der Herrschaft des Liberalismus und seiner Wirtschaftsgesetz¬
gebung die Sozialdemokratie entstanden und fortwährend gewachsen ist. Die
neuesten Wahlen sind ein lautes Zeugnis gegen die wirtschaftlichen Errungen¬
schaften des manchesterlichen Liberalismus und bekunden die Notwendigkeit, die
von der Regierung geplante Reform der sozialen Zustände allerseits mit grö¬
ßerer Bereitwilligkeit als bisher zu unterstützen. Diese Einsicht scheint sich auch
in den Reihen der liberalen Politiker geltend zu machen, welche bisher in ihrer
Bornirtheit alle darauf bezüglichen Bestrebungen der Regierung für wertlose
idealistische Phantasien und auf Vermehrung der Abhängigkeit der Arbeiter ge¬
richtete Maßregeln erklären zu dürfen glaubten; denn einzelne Preßorgane der
freisinnigen Partei plädiren bereits für die Aufstellung von Entwürfen (Alters¬
versorgung u. s. w. betreffend) von feiten dieser Partei selbst, wenn sie auch
in ihrer Dünkelhaftigkeit diesen Vorschlag damit einleiten, daß man nicht warten
dürfe, „bis die Regierung irgendeinen verfehlten (!) Entwurf vorlege." Die
Verblendung, als ob die sozialen Aufgaben auf dem Wege der schrankenlosen


Grenzboten IV. 1834. 62
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[0497] [Abbildung] Die Zunahme des ^ozialismus. ^^^^^^el den letzten Reichstagswahlen hat sich eine bedenkliche Zunahme der sozialistischen Stimmen gezeigt. Es sind im ganzen deutschen Reiche etwa 530 000 Stimmen für die Kandidaten der soziali¬ stischen Partei abgegeben worden; speziell in Berlin ist die Zahl der sozialistischen Stimmen, nachdem sie von 67 im Jahre 1867 bis zum Jahre 1378 auf 56147 gewachsen, im Jahre 1881 auf 30871 ge¬ fallen war, jetzt wieder auf 68582 gestiegen. Man mag als den tieferen Grund dieses Anwachsens ansehen, was man will: die Thatsache steht jedenfalls fest, daß die soziale Frage eine Bedeutung erlangt hat, über welche sich keine Partei weiteren Illusionen hingeben kann, und ebenso kann nicht bestritten werden, daß mit dem Beginn der Herrschaft des Liberalismus und seiner Wirtschaftsgesetz¬ gebung die Sozialdemokratie entstanden und fortwährend gewachsen ist. Die neuesten Wahlen sind ein lautes Zeugnis gegen die wirtschaftlichen Errungen¬ schaften des manchesterlichen Liberalismus und bekunden die Notwendigkeit, die von der Regierung geplante Reform der sozialen Zustände allerseits mit grö¬ ßerer Bereitwilligkeit als bisher zu unterstützen. Diese Einsicht scheint sich auch in den Reihen der liberalen Politiker geltend zu machen, welche bisher in ihrer Bornirtheit alle darauf bezüglichen Bestrebungen der Regierung für wertlose idealistische Phantasien und auf Vermehrung der Abhängigkeit der Arbeiter ge¬ richtete Maßregeln erklären zu dürfen glaubten; denn einzelne Preßorgane der freisinnigen Partei plädiren bereits für die Aufstellung von Entwürfen (Alters¬ versorgung u. s. w. betreffend) von feiten dieser Partei selbst, wenn sie auch in ihrer Dünkelhaftigkeit diesen Vorschlag damit einleiten, daß man nicht warten dürfe, „bis die Regierung irgendeinen verfehlten (!) Entwurf vorlege." Die Verblendung, als ob die sozialen Aufgaben auf dem Wege der schrankenlosen Grenzboten IV. 1834. 62

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/497>, abgerufen am 27.12.2024.