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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Literatur.

Vorliegende Handbuch sucht daher einem Bedürfnis abzuhelfen. Selbstverständlich
konnte uicht ein Einzelner das Ganze geben, der korporative Gedanke, den Holtzen-
dorff auf das gelehrte Schriftstellertum zum erstenmale und nicht ohne erhebliche
Anfeindung verpflanzt hat, ist immer mehr zur Geltung gelangt. Der Herausgeber
hat es verstanden, sich mit hervorragenden Kräften des In- und Auslandes in
Verbindung zu setzen und hat je einem einzelnen Kenner des betreffenden Staats¬
rechtes die Darstellung desselben übertragen.


Eine deutsche Stadt vor sechzig Jahren. Kulturgeschichtliche Skizze von Dr. Otto
Bahr. Leipzig, Fr. Wilh. Grunow, 1834.

In diesem Büchlein ist eine sehr glückliche Idee in der ansprechendsten Weise
durchgeführt. Der Verfasser schildert den Umschwung, der sich in den wirtschaft¬
lichen und gesellschaftlichen Verhältnissen Deutschlands in den letzten sechzig Jahren
vollzogen hat. Wir sagen absichtlich: in den letzten sechzig Jahren, wiewohl dies
dem Titel des Buches zu widersprechen scheint. Aber thatsächlich zeichnet der
Verfasser nicht bloß ein abgeschlossenes Bild der Zustände, wie sie vor zwei
Menschenaltern waren, sondern unwillkürlich verfolgt er, wie es seitdem allmählich
anders geworden, und dies führt ihn nicht selten geradezu bis dicht vor die
Gegenwart. Der Stoff ist bequem und übersichtlich in achtzehn Kapitel geteilt.
Zuerst werden die Preisverhältnisse und die Lebensmittel behandelt; dann folgt
das Haus und seine Einrichtungen, der Anzug, das Leben im Hause, der Garten,
das gesellige Leben außerhalb des Hauses; die nächsten Kapitel besprechen die
Verkehrsmittel, das Reisen, Industrie und Handel, städtische Einrichtungen und
Sitten; hieran reihen sich die Sprache, die Schule und der Buchhandel, die Lite¬
ratur, die Musik und die bildenden Künste; den Beschluß machen das öffentliche
Leben und die Stände. Zum Ausgangspunkte der Betrachtung ist "das Leben
einer mäßig begüterten Familie der gebildeten Stände" genommen. Die deutsche
Stadt, deren Verhältnisse der Schilderung zunächst zur Grundlage dienen, ist --
Kassel; doch treten die spezifisch lokalgeschichtlichen Beziehungen im Rahmen des
ganzen so wenig in den Vordergrund, daß die Schilderung in der Hauptsache wohl
für ganz Deutschland zutreffen wird.

Alles, was der Verfasser giebt, giebt er aus der Erinnerung; nur gelegentlich
ist hie und da einmal auf ein gedrucktes Zeugnis zurückgegriffen. Einzelnes hätte
sich, wenn er in ausgedehnteren: Maße ältere Bücher und Zeitungen zu Hilfe
genommen hätte, vielleicht noch gründlicher anfassen, noch richtiger und bestimmter
zeichnen lassen; im wesentlichen sind aber die Bilder sicherlich getreu. Der Verfasser
dieser Anzeige hat einmal über das andre voll Vergnügen ausgerufen: Ja, so
war's, genau so! und dann mit Pfister wehmütig hinzugefügt: Wo bleiben alle
die Bilder?

Ein besondrer Vorzug des Büchelchens ist es, daß es ganz objektiv verfährt
und sich aller überflüssigen Reflexionen enthält. Begegnet auch hie und da ein
Wort des Bedauerns, so ist der Verfasser doch kein lÄnäator tomxoris avei. Im
Gegenteil, er geht eher darauf aus, zu zeigen: einmal, daß Deutschland in den
letzten Jahrzehnten aus einem armen zu einem wohlhabenden Lande geworden sei;
sodann, daß unser Volk in vielen Beziehungen garnicht wisse, wie gut es ihm
heute geht. So kann man das Büchlein Jung und Alt aus vollem Herzen
empfehlen.




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.
Verlag von F. L. Hcrbig in Leipzig, -- Druck von Carl Marquart in Raudnitz-Leipzig.
Literatur.

Vorliegende Handbuch sucht daher einem Bedürfnis abzuhelfen. Selbstverständlich
konnte uicht ein Einzelner das Ganze geben, der korporative Gedanke, den Holtzen-
dorff auf das gelehrte Schriftstellertum zum erstenmale und nicht ohne erhebliche
Anfeindung verpflanzt hat, ist immer mehr zur Geltung gelangt. Der Herausgeber
hat es verstanden, sich mit hervorragenden Kräften des In- und Auslandes in
Verbindung zu setzen und hat je einem einzelnen Kenner des betreffenden Staats¬
rechtes die Darstellung desselben übertragen.


Eine deutsche Stadt vor sechzig Jahren. Kulturgeschichtliche Skizze von Dr. Otto
Bahr. Leipzig, Fr. Wilh. Grunow, 1834.

In diesem Büchlein ist eine sehr glückliche Idee in der ansprechendsten Weise
durchgeführt. Der Verfasser schildert den Umschwung, der sich in den wirtschaft¬
lichen und gesellschaftlichen Verhältnissen Deutschlands in den letzten sechzig Jahren
vollzogen hat. Wir sagen absichtlich: in den letzten sechzig Jahren, wiewohl dies
dem Titel des Buches zu widersprechen scheint. Aber thatsächlich zeichnet der
Verfasser nicht bloß ein abgeschlossenes Bild der Zustände, wie sie vor zwei
Menschenaltern waren, sondern unwillkürlich verfolgt er, wie es seitdem allmählich
anders geworden, und dies führt ihn nicht selten geradezu bis dicht vor die
Gegenwart. Der Stoff ist bequem und übersichtlich in achtzehn Kapitel geteilt.
Zuerst werden die Preisverhältnisse und die Lebensmittel behandelt; dann folgt
das Haus und seine Einrichtungen, der Anzug, das Leben im Hause, der Garten,
das gesellige Leben außerhalb des Hauses; die nächsten Kapitel besprechen die
Verkehrsmittel, das Reisen, Industrie und Handel, städtische Einrichtungen und
Sitten; hieran reihen sich die Sprache, die Schule und der Buchhandel, die Lite¬
ratur, die Musik und die bildenden Künste; den Beschluß machen das öffentliche
Leben und die Stände. Zum Ausgangspunkte der Betrachtung ist „das Leben
einer mäßig begüterten Familie der gebildeten Stände" genommen. Die deutsche
Stadt, deren Verhältnisse der Schilderung zunächst zur Grundlage dienen, ist —
Kassel; doch treten die spezifisch lokalgeschichtlichen Beziehungen im Rahmen des
ganzen so wenig in den Vordergrund, daß die Schilderung in der Hauptsache wohl
für ganz Deutschland zutreffen wird.

Alles, was der Verfasser giebt, giebt er aus der Erinnerung; nur gelegentlich
ist hie und da einmal auf ein gedrucktes Zeugnis zurückgegriffen. Einzelnes hätte
sich, wenn er in ausgedehnteren: Maße ältere Bücher und Zeitungen zu Hilfe
genommen hätte, vielleicht noch gründlicher anfassen, noch richtiger und bestimmter
zeichnen lassen; im wesentlichen sind aber die Bilder sicherlich getreu. Der Verfasser
dieser Anzeige hat einmal über das andre voll Vergnügen ausgerufen: Ja, so
war's, genau so! und dann mit Pfister wehmütig hinzugefügt: Wo bleiben alle
die Bilder?

Ein besondrer Vorzug des Büchelchens ist es, daß es ganz objektiv verfährt
und sich aller überflüssigen Reflexionen enthält. Begegnet auch hie und da ein
Wort des Bedauerns, so ist der Verfasser doch kein lÄnäator tomxoris avei. Im
Gegenteil, er geht eher darauf aus, zu zeigen: einmal, daß Deutschland in den
letzten Jahrzehnten aus einem armen zu einem wohlhabenden Lande geworden sei;
sodann, daß unser Volk in vielen Beziehungen garnicht wisse, wie gut es ihm
heute geht. So kann man das Büchlein Jung und Alt aus vollem Herzen
empfehlen.




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.
Verlag von F. L. Hcrbig in Leipzig, — Druck von Carl Marquart in Raudnitz-Leipzig.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/304>, abgerufen am 27.12.2024.