Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Pfisters^. Mühle.

wollen wir unsern freudigen Dank dem guten Gotte bringen, der uns in einem
Lande geboren werden ließ, wo wir unter gesitteten, uns liebenden und helfenden
Menschen leben und nichts von wilden Unmenschen zu befürchten haben.

Lieber Himmel, was soll denn das nun wieder bedeuten? rief Emmy näher
rückend und ganz bänglich nach allen Seiten in die nicht vom Monde erhellten
Gebüsche des verlassenen Gartens von Pfisters Mühle scheue Blicke werfend.
Meinst du wirklich nicht, daß es hier, und vorzüglich bei Nacht, doch ein bißchen
zu einsam und zu weit entlegen vom Dorf und von andern Leuten sei?

Nichts meine ich, als daß morgen wieder ein schöner Tag wird, und daß,
da Uns die Tage auf Pfisters Mühle nur zu genau zugezählt sind, wir uns
die letzten nicht durch den Nachtthau und den öfters darauf folgenden Schnupfen
verderben lassen wollen.

Jawohl, meinte Christine, die seit einiger Zeit nach vollbrachten Haus¬
geschäften am Tische gesessen hatte, jawohl, ich denke auch, daß es allmählich
Zeit wird, zu Bette zu gehen, obgleich ich für meinen Teil Sie in alle Ewig¬
keit so erzählen hören könnte, Herr Ebert. Es wird einem immer ganz kurios
dabei, und je näher die Zeit zum Abzug kommt, immer wehmütiger. Und wissen
möchte ich gerade in diesem Augenblick, wie es saufe geht, und ob er nicht
bei diesem Mondenschein nach Pfisters Mühle zurückdenkt! Ach Gott, ach liebster
Herrgott, und wie wird's mir sein, wenn auch ich in den allernächsten Tagen
schon hierher nur noch zurückdenken kann, und alles ist, als ob es niemals ge¬
wesen wäre?




Achtes Blatt.
Wie es anfing übel zu riechen in Pfisters Mühle.

Es ist Schnee in der Luft! sagten die Leute und hatten ausnahmsweise
einmal vollkommen Recht. Es war Schnee in der^ Luft, und bald nach Mittag
kam er sogar in einzelnen Flocken herunter und zeigte sich zum erstenmal im
Jahre unserm Stück Erde, und die Leute darauf thaten sich einiges darob zu
gute und fragten einander: Haben wir es nicht gesagt?

Es war kurz vor den Weihnachtsferien im letzten Semester meines Schüler¬
lebens, und nie hatte mich der erste Schnee eines Winters in gleich träume¬
rischer Stimmung, ihn zu würdigen, zu empfinden gefunden wie das Mal. In
gemütlicher Faulheit mit dem Kinn auf beiden Fäusten in der Fensterbank zu
liegen und in die trübe Luft und auf die verschleierten Dächer zu starren und
an dem Schulrat Pottgießer, Pfisters Mühle und dem demnächstigen?ir ju?sin8
und Studiosus der Philosophie Ebert Pfister bei diesem ersten Schnee zu gleicher
Zeit sein Behagen haben zu können, das war etwas, was bis jetzt noch nicht
dagewesen war, und ich genoß es ganz und gar, und zu allem übrigen einge¬
hüllt in ein Gewölk billigsten Knasters.


Pfisters^. Mühle.

wollen wir unsern freudigen Dank dem guten Gotte bringen, der uns in einem
Lande geboren werden ließ, wo wir unter gesitteten, uns liebenden und helfenden
Menschen leben und nichts von wilden Unmenschen zu befürchten haben.

Lieber Himmel, was soll denn das nun wieder bedeuten? rief Emmy näher
rückend und ganz bänglich nach allen Seiten in die nicht vom Monde erhellten
Gebüsche des verlassenen Gartens von Pfisters Mühle scheue Blicke werfend.
Meinst du wirklich nicht, daß es hier, und vorzüglich bei Nacht, doch ein bißchen
zu einsam und zu weit entlegen vom Dorf und von andern Leuten sei?

Nichts meine ich, als daß morgen wieder ein schöner Tag wird, und daß,
da Uns die Tage auf Pfisters Mühle nur zu genau zugezählt sind, wir uns
die letzten nicht durch den Nachtthau und den öfters darauf folgenden Schnupfen
verderben lassen wollen.

Jawohl, meinte Christine, die seit einiger Zeit nach vollbrachten Haus¬
geschäften am Tische gesessen hatte, jawohl, ich denke auch, daß es allmählich
Zeit wird, zu Bette zu gehen, obgleich ich für meinen Teil Sie in alle Ewig¬
keit so erzählen hören könnte, Herr Ebert. Es wird einem immer ganz kurios
dabei, und je näher die Zeit zum Abzug kommt, immer wehmütiger. Und wissen
möchte ich gerade in diesem Augenblick, wie es saufe geht, und ob er nicht
bei diesem Mondenschein nach Pfisters Mühle zurückdenkt! Ach Gott, ach liebster
Herrgott, und wie wird's mir sein, wenn auch ich in den allernächsten Tagen
schon hierher nur noch zurückdenken kann, und alles ist, als ob es niemals ge¬
wesen wäre?




Achtes Blatt.
Wie es anfing übel zu riechen in Pfisters Mühle.

Es ist Schnee in der Luft! sagten die Leute und hatten ausnahmsweise
einmal vollkommen Recht. Es war Schnee in der^ Luft, und bald nach Mittag
kam er sogar in einzelnen Flocken herunter und zeigte sich zum erstenmal im
Jahre unserm Stück Erde, und die Leute darauf thaten sich einiges darob zu
gute und fragten einander: Haben wir es nicht gesagt?

Es war kurz vor den Weihnachtsferien im letzten Semester meines Schüler¬
lebens, und nie hatte mich der erste Schnee eines Winters in gleich träume¬
rischer Stimmung, ihn zu würdigen, zu empfinden gefunden wie das Mal. In
gemütlicher Faulheit mit dem Kinn auf beiden Fäusten in der Fensterbank zu
liegen und in die trübe Luft und auf die verschleierten Dächer zu starren und
an dem Schulrat Pottgießer, Pfisters Mühle und dem demnächstigen?ir ju?sin8
und Studiosus der Philosophie Ebert Pfister bei diesem ersten Schnee zu gleicher
Zeit sein Behagen haben zu können, das war etwas, was bis jetzt noch nicht
dagewesen war, und ich genoß es ganz und gar, und zu allem übrigen einge¬
hüllt in ein Gewölk billigsten Knasters.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0146" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/157071"/>
          <fw type="header" place="top"> Pfisters^. Mühle.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_461" prev="#ID_460"> wollen wir unsern freudigen Dank dem guten Gotte bringen, der uns in einem<lb/>
Lande geboren werden ließ, wo wir unter gesitteten, uns liebenden und helfenden<lb/>
Menschen leben und nichts von wilden Unmenschen zu befürchten haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_462"> Lieber Himmel, was soll denn das nun wieder bedeuten? rief Emmy näher<lb/>
rückend und ganz bänglich nach allen Seiten in die nicht vom Monde erhellten<lb/>
Gebüsche des verlassenen Gartens von Pfisters Mühle scheue Blicke werfend.<lb/>
Meinst du wirklich nicht, daß es hier, und vorzüglich bei Nacht, doch ein bißchen<lb/>
zu einsam und zu weit entlegen vom Dorf und von andern Leuten sei?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_463"> Nichts meine ich, als daß morgen wieder ein schöner Tag wird, und daß,<lb/>
da Uns die Tage auf Pfisters Mühle nur zu genau zugezählt sind, wir uns<lb/>
die letzten nicht durch den Nachtthau und den öfters darauf folgenden Schnupfen<lb/>
verderben lassen wollen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_464"> Jawohl, meinte Christine, die seit einiger Zeit nach vollbrachten Haus¬<lb/>
geschäften am Tische gesessen hatte, jawohl, ich denke auch, daß es allmählich<lb/>
Zeit wird, zu Bette zu gehen, obgleich ich für meinen Teil Sie in alle Ewig¬<lb/>
keit so erzählen hören könnte, Herr Ebert. Es wird einem immer ganz kurios<lb/>
dabei, und je näher die Zeit zum Abzug kommt, immer wehmütiger. Und wissen<lb/>
möchte ich gerade in diesem Augenblick, wie es saufe geht, und ob er nicht<lb/>
bei diesem Mondenschein nach Pfisters Mühle zurückdenkt! Ach Gott, ach liebster<lb/>
Herrgott, und wie wird's mir sein, wenn auch ich in den allernächsten Tagen<lb/>
schon hierher nur noch zurückdenken kann, und alles ist, als ob es niemals ge¬<lb/>
wesen wäre?</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <div n="2">
            <head> Achtes Blatt.<lb/>
Wie es anfing übel zu riechen in Pfisters Mühle.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_465"> Es ist Schnee in der Luft! sagten die Leute und hatten ausnahmsweise<lb/>
einmal vollkommen Recht. Es war Schnee in der^ Luft, und bald nach Mittag<lb/>
kam er sogar in einzelnen Flocken herunter und zeigte sich zum erstenmal im<lb/>
Jahre unserm Stück Erde, und die Leute darauf thaten sich einiges darob zu<lb/>
gute und fragten einander: Haben wir es nicht gesagt?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_466"> Es war kurz vor den Weihnachtsferien im letzten Semester meines Schüler¬<lb/>
lebens, und nie hatte mich der erste Schnee eines Winters in gleich träume¬<lb/>
rischer Stimmung, ihn zu würdigen, zu empfinden gefunden wie das Mal. In<lb/>
gemütlicher Faulheit mit dem Kinn auf beiden Fäusten in der Fensterbank zu<lb/>
liegen und in die trübe Luft und auf die verschleierten Dächer zu starren und<lb/>
an dem Schulrat Pottgießer, Pfisters Mühle und dem demnächstigen?ir ju?sin8<lb/>
und Studiosus der Philosophie Ebert Pfister bei diesem ersten Schnee zu gleicher<lb/>
Zeit sein Behagen haben zu können, das war etwas, was bis jetzt noch nicht<lb/>
dagewesen war, und ich genoß es ganz und gar, und zu allem übrigen einge¬<lb/>
hüllt in ein Gewölk billigsten Knasters.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0146] Pfisters^. Mühle. wollen wir unsern freudigen Dank dem guten Gotte bringen, der uns in einem Lande geboren werden ließ, wo wir unter gesitteten, uns liebenden und helfenden Menschen leben und nichts von wilden Unmenschen zu befürchten haben. Lieber Himmel, was soll denn das nun wieder bedeuten? rief Emmy näher rückend und ganz bänglich nach allen Seiten in die nicht vom Monde erhellten Gebüsche des verlassenen Gartens von Pfisters Mühle scheue Blicke werfend. Meinst du wirklich nicht, daß es hier, und vorzüglich bei Nacht, doch ein bißchen zu einsam und zu weit entlegen vom Dorf und von andern Leuten sei? Nichts meine ich, als daß morgen wieder ein schöner Tag wird, und daß, da Uns die Tage auf Pfisters Mühle nur zu genau zugezählt sind, wir uns die letzten nicht durch den Nachtthau und den öfters darauf folgenden Schnupfen verderben lassen wollen. Jawohl, meinte Christine, die seit einiger Zeit nach vollbrachten Haus¬ geschäften am Tische gesessen hatte, jawohl, ich denke auch, daß es allmählich Zeit wird, zu Bette zu gehen, obgleich ich für meinen Teil Sie in alle Ewig¬ keit so erzählen hören könnte, Herr Ebert. Es wird einem immer ganz kurios dabei, und je näher die Zeit zum Abzug kommt, immer wehmütiger. Und wissen möchte ich gerade in diesem Augenblick, wie es saufe geht, und ob er nicht bei diesem Mondenschein nach Pfisters Mühle zurückdenkt! Ach Gott, ach liebster Herrgott, und wie wird's mir sein, wenn auch ich in den allernächsten Tagen schon hierher nur noch zurückdenken kann, und alles ist, als ob es niemals ge¬ wesen wäre? Achtes Blatt. Wie es anfing übel zu riechen in Pfisters Mühle. Es ist Schnee in der Luft! sagten die Leute und hatten ausnahmsweise einmal vollkommen Recht. Es war Schnee in der^ Luft, und bald nach Mittag kam er sogar in einzelnen Flocken herunter und zeigte sich zum erstenmal im Jahre unserm Stück Erde, und die Leute darauf thaten sich einiges darob zu gute und fragten einander: Haben wir es nicht gesagt? Es war kurz vor den Weihnachtsferien im letzten Semester meines Schüler¬ lebens, und nie hatte mich der erste Schnee eines Winters in gleich träume¬ rischer Stimmung, ihn zu würdigen, zu empfinden gefunden wie das Mal. In gemütlicher Faulheit mit dem Kinn auf beiden Fäusten in der Fensterbank zu liegen und in die trübe Luft und auf die verschleierten Dächer zu starren und an dem Schulrat Pottgießer, Pfisters Mühle und dem demnächstigen?ir ju?sin8 und Studiosus der Philosophie Ebert Pfister bei diesem ersten Schnee zu gleicher Zeit sein Behagen haben zu können, das war etwas, was bis jetzt noch nicht dagewesen war, und ich genoß es ganz und gar, und zu allem übrigen einge¬ hüllt in ein Gewölk billigsten Knasters.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/146
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/146>, abgerufen am 27.12.2024.