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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Literatur.

schiebt. An den gefällten Urteilen zeigt der Verfasser mit schneidiger Schärfe, zu
welch beklagenswerten Ergebnissen eine solche Praxis führen muß, und gleichzeitig
giebt er die Wege an, wie sich das mündliche Verfahren mit einer verständigen
Schriftlichkeit auch auf Grund unsrer Zivilprozeßordnung vereinigen läßt.

Hoffen wir, daß die Bemerkungen des Verfassers, die von so objektiven: und
wissenschaftlichen! Geiste getragen sind, nicht auf unfruchtbaren Boden fallen. Das
Ansehen des Reichsgerichts kann nur gewinnen, wenn es einen Kritiker wie Bühr
beachtet. Hoffen wir deshalb auch, daß diese Besprechungen nnr den Eröffnnngs-
band einer nachfolgenden Reihe bilden.


Gedichte von I. G. Fischer. Dritte, vermehrte Auflage. Stuttgart, Cottci, 1883.

Um ein Buch zu besprechen, welches der Verfasser selbst als das abschließende
Material zu seinem Gesamtbilde angesehen wissen möchte und welches er deshalb
aus den verschiednen seiner früheren dichterischen Sammlungen vervollständigt hat,
wird man die Frage vorausschicken dürfen: Braucht der Verfasser denn schon von
seiner Muse Abschied zu nehmen? Blicken wir auf das Schlußgedicht des Buches,
so glauben wir die Frage verneinen zu dürfen, denn obgleich es von dem Gedanken
an das Ende aller Dinge eingegeben ist, läßt es doch keine Abnahme der poetischen
Kraft erkennen. Hier ist es.


Schicksal.
Es ist nur eine kleine Weile,
So liegst auch du, wo alles liegt,
Was nach des Lebens Hast und Eile
Zum langen Schlafe sich geschmiegt. Nach jedem seligstell Geschicke
Hast du gerungen und gestrebt,
Du Hast's erjagt auf Augenblicke,
Doch im Besitze nie gelebt. Und was man für das Beste achtet,
Das hast du in dem besten Licht
Zu zeigen deiner Zeit getrachtet,
Doch überzeugt hast du sie nicht. Und wenn die Woge dich erfaßte
Und trug dem großen Meer dich zu,
Liegst du bei Tausenden zu Gaste,
Die auch vergessen sind wie du. Nur da und dorten rettet Einen
Auf hohen Fluten seine Zeit;
Der leuchtet wie die Sterne scheinen,
Ein Gott in seiner Einsamkeit.

Wir würden dieses Schwauenlied noch höher schätzen, könnten wir den dritten
Vers aus ihm tilgen, der offenbar den Gedanken des Dichters nur unvollkommen
ausdrückt; denn was "mau," also "jedermann," schon für das Beste achtet, brauchte
der Dichter ja nicht erst im besten Lichte zu zeigen, und dn, nachdem er es gethan,
er seine Zeit doch nicht überzeugt zu haben glaubt, so ist es klar, daß er gerade
das von der Allgemeinheit nicht als das Beste erkannte und geachtete zu Ehren
bringen wollte, also das Besitztheil erlesener Geister, zu dessen Hochhaltung die
große Menge allerdings schwer zu bekehren ist. Dies ist auch die Fährte, die,
wenn man das Buch nach mußevoller Lektüre sinnend aus der Hand legt, beim


Literatur.

schiebt. An den gefällten Urteilen zeigt der Verfasser mit schneidiger Schärfe, zu
welch beklagenswerten Ergebnissen eine solche Praxis führen muß, und gleichzeitig
giebt er die Wege an, wie sich das mündliche Verfahren mit einer verständigen
Schriftlichkeit auch auf Grund unsrer Zivilprozeßordnung vereinigen läßt.

Hoffen wir, daß die Bemerkungen des Verfassers, die von so objektiven: und
wissenschaftlichen! Geiste getragen sind, nicht auf unfruchtbaren Boden fallen. Das
Ansehen des Reichsgerichts kann nur gewinnen, wenn es einen Kritiker wie Bühr
beachtet. Hoffen wir deshalb auch, daß diese Besprechungen nnr den Eröffnnngs-
band einer nachfolgenden Reihe bilden.


Gedichte von I. G. Fischer. Dritte, vermehrte Auflage. Stuttgart, Cottci, 1883.

Um ein Buch zu besprechen, welches der Verfasser selbst als das abschließende
Material zu seinem Gesamtbilde angesehen wissen möchte und welches er deshalb
aus den verschiednen seiner früheren dichterischen Sammlungen vervollständigt hat,
wird man die Frage vorausschicken dürfen: Braucht der Verfasser denn schon von
seiner Muse Abschied zu nehmen? Blicken wir auf das Schlußgedicht des Buches,
so glauben wir die Frage verneinen zu dürfen, denn obgleich es von dem Gedanken
an das Ende aller Dinge eingegeben ist, läßt es doch keine Abnahme der poetischen
Kraft erkennen. Hier ist es.


Schicksal.
Es ist nur eine kleine Weile,
So liegst auch du, wo alles liegt,
Was nach des Lebens Hast und Eile
Zum langen Schlafe sich geschmiegt. Nach jedem seligstell Geschicke
Hast du gerungen und gestrebt,
Du Hast's erjagt auf Augenblicke,
Doch im Besitze nie gelebt. Und was man für das Beste achtet,
Das hast du in dem besten Licht
Zu zeigen deiner Zeit getrachtet,
Doch überzeugt hast du sie nicht. Und wenn die Woge dich erfaßte
Und trug dem großen Meer dich zu,
Liegst du bei Tausenden zu Gaste,
Die auch vergessen sind wie du. Nur da und dorten rettet Einen
Auf hohen Fluten seine Zeit;
Der leuchtet wie die Sterne scheinen,
Ein Gott in seiner Einsamkeit.

Wir würden dieses Schwauenlied noch höher schätzen, könnten wir den dritten
Vers aus ihm tilgen, der offenbar den Gedanken des Dichters nur unvollkommen
ausdrückt; denn was „mau," also „jedermann," schon für das Beste achtet, brauchte
der Dichter ja nicht erst im besten Lichte zu zeigen, und dn, nachdem er es gethan,
er seine Zeit doch nicht überzeugt zu haben glaubt, so ist es klar, daß er gerade
das von der Allgemeinheit nicht als das Beste erkannte und geachtete zu Ehren
bringen wollte, also das Besitztheil erlesener Geister, zu dessen Hochhaltung die
große Menge allerdings schwer zu bekehren ist. Dies ist auch die Fährte, die,
wenn man das Buch nach mußevoller Lektüre sinnend aus der Hand legt, beim


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/432>, abgerufen am 13.11.2024.