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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Zum Tutherfeste.

tung fähige Männer sich nicht vorfinden. Das ist eine bewußte Unwahrheit,
die auch das Wesen des Kanzlers verkennt, der gewiß nicht der Mann ist, um
sich von seinen Gehilfen an der Nase herumführen zu lassen. Schon mehrfach
hat die norddeutsche Allgemeine Zeitung sich zu der Erklärung veranlaßt ge¬
sehen, daß der Entwurf nicht von einem Manne einer einseitigen Parteirichtung
-- wenn überhaupt von einer solchen im Schoße der Reichsregierung die Rede
sein könnte -- bearbeitet ist, sondern daß an dem Entwurf verschiedne Verfasser,
selbstverständlich mit verschiednen Richtungen, ihren Anteil haben. Es ist not¬
wendig, dies hervorzuheben, denn schon will es den Anschein gewinnen, als ob
das Bestreben vorhanden sei, gerade bei denjenigen den Entwurf zu verdächtigen,
welche zu den Freunden des Kanzlers gehören und seine Politik unterstützen.
Sie mögen sich beruhigen und objektiv prüfen und getrost sein, daß die Ver¬
tretung des Entwurfs Händen anvertraut ist, welche kein andres Ziel kennen,
als den wirtschaftlich gesunden, bereits bewährten und durch Kampf zum Sieg
gelangten Anschauungen des Kanzlers einen neuen, übcrzeugungsvvllcn Ausdruck
zu verleihen.




ZUM Lutherfeste.
von Max Allihn.

le die Erdoberfläche, so ist anch das Geschlecht der Menschen, das
auf ihr wohnt, in steter Umbildung begriffen. Doch vollzieht
sich dieser Prozeß notwendigerweise weder in der Richtung des
Fortschrittes, noch in der des Rückschrittes, noch auch in gleich¬
mäßiger und gleichförmiger Bewegung. Es treten Stockungen
ein, es entstehen Spannungen; die günstigste Lösung derselben ist die Reform,
die Reformation; doch gehört dazu nicht allei" das Reformbedürfnis, sondern
auch der Mann, der Reformator.

Jene Periode, die wir das Mittelalter nennen, hinterließ bei ihrem Ende
eine ganze Reihe von Probleme", eine hochgradige Spannung, das allgemeine
Bewußtsein: so kanns nicht weiter gehen. Es gab nicht allein eine religiöse,
eine kirchliche Frage, sondern auch eine politische, soziale, kommerzielle und wissen¬
schaftliche. Auf allen Gebieten hatte sich der Lebensinhalt geändert und wollte
in die alten Formen nicht mehr hineinpassen, andrerseits waren diese Formen
selbst verschoben, verderbt und heillos geworden und drohten das gesunde Leben
des Volkes zu ersticken.


Zum Tutherfeste.

tung fähige Männer sich nicht vorfinden. Das ist eine bewußte Unwahrheit,
die auch das Wesen des Kanzlers verkennt, der gewiß nicht der Mann ist, um
sich von seinen Gehilfen an der Nase herumführen zu lassen. Schon mehrfach
hat die norddeutsche Allgemeine Zeitung sich zu der Erklärung veranlaßt ge¬
sehen, daß der Entwurf nicht von einem Manne einer einseitigen Parteirichtung
— wenn überhaupt von einer solchen im Schoße der Reichsregierung die Rede
sein könnte — bearbeitet ist, sondern daß an dem Entwurf verschiedne Verfasser,
selbstverständlich mit verschiednen Richtungen, ihren Anteil haben. Es ist not¬
wendig, dies hervorzuheben, denn schon will es den Anschein gewinnen, als ob
das Bestreben vorhanden sei, gerade bei denjenigen den Entwurf zu verdächtigen,
welche zu den Freunden des Kanzlers gehören und seine Politik unterstützen.
Sie mögen sich beruhigen und objektiv prüfen und getrost sein, daß die Ver¬
tretung des Entwurfs Händen anvertraut ist, welche kein andres Ziel kennen,
als den wirtschaftlich gesunden, bereits bewährten und durch Kampf zum Sieg
gelangten Anschauungen des Kanzlers einen neuen, übcrzeugungsvvllcn Ausdruck
zu verleihen.




ZUM Lutherfeste.
von Max Allihn.

le die Erdoberfläche, so ist anch das Geschlecht der Menschen, das
auf ihr wohnt, in steter Umbildung begriffen. Doch vollzieht
sich dieser Prozeß notwendigerweise weder in der Richtung des
Fortschrittes, noch in der des Rückschrittes, noch auch in gleich¬
mäßiger und gleichförmiger Bewegung. Es treten Stockungen
ein, es entstehen Spannungen; die günstigste Lösung derselben ist die Reform,
die Reformation; doch gehört dazu nicht allei» das Reformbedürfnis, sondern
auch der Mann, der Reformator.

Jene Periode, die wir das Mittelalter nennen, hinterließ bei ihrem Ende
eine ganze Reihe von Probleme», eine hochgradige Spannung, das allgemeine
Bewußtsein: so kanns nicht weiter gehen. Es gab nicht allein eine religiöse,
eine kirchliche Frage, sondern auch eine politische, soziale, kommerzielle und wissen¬
schaftliche. Auf allen Gebieten hatte sich der Lebensinhalt geändert und wollte
in die alten Formen nicht mehr hineinpassen, andrerseits waren diese Formen
selbst verschoben, verderbt und heillos geworden und drohten das gesunde Leben
des Volkes zu ersticken.


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[0357] Zum Tutherfeste. tung fähige Männer sich nicht vorfinden. Das ist eine bewußte Unwahrheit, die auch das Wesen des Kanzlers verkennt, der gewiß nicht der Mann ist, um sich von seinen Gehilfen an der Nase herumführen zu lassen. Schon mehrfach hat die norddeutsche Allgemeine Zeitung sich zu der Erklärung veranlaßt ge¬ sehen, daß der Entwurf nicht von einem Manne einer einseitigen Parteirichtung — wenn überhaupt von einer solchen im Schoße der Reichsregierung die Rede sein könnte — bearbeitet ist, sondern daß an dem Entwurf verschiedne Verfasser, selbstverständlich mit verschiednen Richtungen, ihren Anteil haben. Es ist not¬ wendig, dies hervorzuheben, denn schon will es den Anschein gewinnen, als ob das Bestreben vorhanden sei, gerade bei denjenigen den Entwurf zu verdächtigen, welche zu den Freunden des Kanzlers gehören und seine Politik unterstützen. Sie mögen sich beruhigen und objektiv prüfen und getrost sein, daß die Ver¬ tretung des Entwurfs Händen anvertraut ist, welche kein andres Ziel kennen, als den wirtschaftlich gesunden, bereits bewährten und durch Kampf zum Sieg gelangten Anschauungen des Kanzlers einen neuen, übcrzeugungsvvllcn Ausdruck zu verleihen. ZUM Lutherfeste. von Max Allihn. le die Erdoberfläche, so ist anch das Geschlecht der Menschen, das auf ihr wohnt, in steter Umbildung begriffen. Doch vollzieht sich dieser Prozeß notwendigerweise weder in der Richtung des Fortschrittes, noch in der des Rückschrittes, noch auch in gleich¬ mäßiger und gleichförmiger Bewegung. Es treten Stockungen ein, es entstehen Spannungen; die günstigste Lösung derselben ist die Reform, die Reformation; doch gehört dazu nicht allei» das Reformbedürfnis, sondern auch der Mann, der Reformator. Jene Periode, die wir das Mittelalter nennen, hinterließ bei ihrem Ende eine ganze Reihe von Probleme», eine hochgradige Spannung, das allgemeine Bewußtsein: so kanns nicht weiter gehen. Es gab nicht allein eine religiöse, eine kirchliche Frage, sondern auch eine politische, soziale, kommerzielle und wissen¬ schaftliche. Auf allen Gebieten hatte sich der Lebensinhalt geändert und wollte in die alten Formen nicht mehr hineinpassen, andrerseits waren diese Formen selbst verschoben, verderbt und heillos geworden und drohten das gesunde Leben des Volkes zu ersticken.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/357>, abgerufen am 13.11.2024.