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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Das neue Aktiengesetz.

trägt! zu haften haben wird. Andrerseits wird durch diese Vorschriften der Allein¬
herrschaft und dem Mißbrauch von Koterien vorgebeugt werden. Bei dem Antrag
auf Revision läßt aber die Mitwirkung des Handelsgerichts jede Befürchtung,
daß dieses für den Kredit höchst gefährliche Recht in übeln Sinne angewendet
werden könnte, unbegründet erscheinen. Freilich ist es nicht ausgeschlossen, daß
der Richter allzusehr das fvrmaljnristische Prinzip hervorkehren wird, wo mehr
wirtschaftliche Gesichtspunkte maßgebend sein müssen, und ebendeshalb wäre es
zu wünschen, daß hier der Richter nicht allein entscheide, sondern etwa die Kammer
für Handelssachen einschreite. Der Entwurf bestimmt nicht, wer der Handels¬
richter sei, überläßt also dessen Festsetzung der Landesgesetzgebung, und nach
dieser ist es meist der das Handelsregister führende Richter. Einem Einzelrichter
ohne ein Recht der Beschwerde so weitreichende Befugnisse zu erteilen, erscheint
mißlich. Der moderne Zug der Zeit, wenigstens bei uns, geht zwar auf die
Omnipotenz des Amtsrichters, allein wir möchten doch bezweifeln, ob dies den
Sachen immer zum Vorteil gereicht. In Bagatellstreitigkeitcn mag diese Regelung
mit Rücksicht auf die Staatsfinanzen und die Steuerpflicht gerechtfertigt werden
können, allein vorliegcndenfcills handelt es sich um sehr erhebliche Interessen
und um das Wohl und Wehe von einer Menge von Staatsbürgern. Man denke
nur daran, daß große Aktiengesellschaften mit ihren Etablissements oft ihren
Sitz an ganz kleinen Orten haben, wo dem Richter eine Erfahrung in schwierigen
wirtschaftlichen Fragen abgeht und er nicht einmal in der Lage' ist, sich bei
andern oder aus Büchern Rat zu holen. Wenn man nicht von dem Dogma
ausgeht, daß der Amtsrichter unfehlbar ist -- und bisher hat unsers Wissens
dieses Dogma weder bei Laien noch bei den Berufsgenossen des Amtsrichters
Anerkennmig gefunden --, muß hier Wandel geschafft werden.


8.

Mit deu Strafbestimmungen, welche der Entwurf für die Verfehlungen
auf dem vorliegenden Gebiete aufstellt, ist er ebenfalls der öffentlichen Meinung
und der verletzten öffentlichen Moral entgegengekommen. Man kann es kaum
begreifen, wie die Novelle von 1870 die gröbsten Ausschreitungen, an denen
tausende von Existenzen zu Grunde gingen, teils gänzlich übersehen, teils mit
lächerlich geringfügige" Strafe" belegen konnte. Diesen Mängeln wird hier
Abhilfe geschafft. Jede Zeit bildet auch ein charakteristisches Verbrechen aus;
in der Renaissance hat der Giftmord eine große Rolle gespielt, im vorigen
Jahrhundert waren Testamentsverfälschungen und Erbschleichereien an der Tages¬
ordnung, das Merkmal unsrer Tage ist der Betrug. Das Gefühl für Wahr¬
heit kommt immer mehr in Abnahme und es ist nicht zu verwundern, daß im
Handel und Verkehr, wo die Reklame und die Aiiuouccnjagd sich immer breiter
und breiter machen, die Worte nicht auf die Wagschale gelegt werdeu. Diesem
Umstände muß leider auch der Gesetzgeber Rechnung tragen, u"d so haben wir


Das neue Aktiengesetz.

trägt! zu haften haben wird. Andrerseits wird durch diese Vorschriften der Allein¬
herrschaft und dem Mißbrauch von Koterien vorgebeugt werden. Bei dem Antrag
auf Revision läßt aber die Mitwirkung des Handelsgerichts jede Befürchtung,
daß dieses für den Kredit höchst gefährliche Recht in übeln Sinne angewendet
werden könnte, unbegründet erscheinen. Freilich ist es nicht ausgeschlossen, daß
der Richter allzusehr das fvrmaljnristische Prinzip hervorkehren wird, wo mehr
wirtschaftliche Gesichtspunkte maßgebend sein müssen, und ebendeshalb wäre es
zu wünschen, daß hier der Richter nicht allein entscheide, sondern etwa die Kammer
für Handelssachen einschreite. Der Entwurf bestimmt nicht, wer der Handels¬
richter sei, überläßt also dessen Festsetzung der Landesgesetzgebung, und nach
dieser ist es meist der das Handelsregister führende Richter. Einem Einzelrichter
ohne ein Recht der Beschwerde so weitreichende Befugnisse zu erteilen, erscheint
mißlich. Der moderne Zug der Zeit, wenigstens bei uns, geht zwar auf die
Omnipotenz des Amtsrichters, allein wir möchten doch bezweifeln, ob dies den
Sachen immer zum Vorteil gereicht. In Bagatellstreitigkeitcn mag diese Regelung
mit Rücksicht auf die Staatsfinanzen und die Steuerpflicht gerechtfertigt werden
können, allein vorliegcndenfcills handelt es sich um sehr erhebliche Interessen
und um das Wohl und Wehe von einer Menge von Staatsbürgern. Man denke
nur daran, daß große Aktiengesellschaften mit ihren Etablissements oft ihren
Sitz an ganz kleinen Orten haben, wo dem Richter eine Erfahrung in schwierigen
wirtschaftlichen Fragen abgeht und er nicht einmal in der Lage' ist, sich bei
andern oder aus Büchern Rat zu holen. Wenn man nicht von dem Dogma
ausgeht, daß der Amtsrichter unfehlbar ist — und bisher hat unsers Wissens
dieses Dogma weder bei Laien noch bei den Berufsgenossen des Amtsrichters
Anerkennmig gefunden —, muß hier Wandel geschafft werden.


8.

Mit deu Strafbestimmungen, welche der Entwurf für die Verfehlungen
auf dem vorliegenden Gebiete aufstellt, ist er ebenfalls der öffentlichen Meinung
und der verletzten öffentlichen Moral entgegengekommen. Man kann es kaum
begreifen, wie die Novelle von 1870 die gröbsten Ausschreitungen, an denen
tausende von Existenzen zu Grunde gingen, teils gänzlich übersehen, teils mit
lächerlich geringfügige» Strafe» belegen konnte. Diesen Mängeln wird hier
Abhilfe geschafft. Jede Zeit bildet auch ein charakteristisches Verbrechen aus;
in der Renaissance hat der Giftmord eine große Rolle gespielt, im vorigen
Jahrhundert waren Testamentsverfälschungen und Erbschleichereien an der Tages¬
ordnung, das Merkmal unsrer Tage ist der Betrug. Das Gefühl für Wahr¬
heit kommt immer mehr in Abnahme und es ist nicht zu verwundern, daß im
Handel und Verkehr, wo die Reklame und die Aiiuouccnjagd sich immer breiter
und breiter machen, die Worte nicht auf die Wagschale gelegt werdeu. Diesem
Umstände muß leider auch der Gesetzgeber Rechnung tragen, u»d so haben wir


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/353>, abgerufen am 13.11.2024.