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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Das kurze Parlament.

as war wieder einmal ein recht anmutiges Stück Parlamentarismus,
was sich in den letzten Tagen vor unsern Augen abgespielt hat.
Nach langen, schwierigen Verhandlungen war die Reichsregierung
gegen Ende Juli dahin gelangt, einen für unsre Exportindustrie
höchst wichtigen Handelsvertrag mit Spanien zustande zu bringen.
Laut begehrten die beteiligten Kreise die baldigste Inkraftsetzung desselben, da
gerade die Monate August und September wichtig für ihren Export nach Spa¬
nien seien. Was sollte die Reichsregierung nun beginnen? Der Reichstag war
nach überlanger Session soeben entlassen worden. Ende Juli und Anfang August
ist die Zeit, wo die Landbesitzer durch die Ernte in Anspruch genommen werden,
die übrigen Glieder der Gesellschaftsklassen aber, aus welchen der Reichstag sich
bildet, in die weite Welt gereist zu sein pflegen. Es war daher höchst zweifel¬
haft, ob ein beschlußfähiger Reichstag im Augenblicke zusammenzubringen sei,
und jedenfalls würden es viele Mitglieder sehr unliebsam empfunden haben,
wenn sie, um drei oder vier Tage in Berlin zu beraten, in ihren Sommer¬
plänen gestört worden wären. Andrerseits konnte die Regierung als gewiß
voraussetzen, daß ihr zu diesem Vertrage, den ja unsre Industrie mit der größten
Freude begrüßte, die Zustimmung des Reichstags nicht fehlen werde. Bei dieser
Sachlage hatte die Zustimmungserklärung nur die Bedeutung einer Formalität,
und die Regierung war also vor die Frage gestellt: Soll um der Erfüllung dieser
Formalität willen unsre Industrie schwere Einbuße erleiden? So kam man denn
auf den Gedanken, den Vertrag provisorisch ins Leben treten zu lassen. Dafür
lag auch bereits ein Präzedenzfall vor in dem mit Österreich im Jahre 1878
abgeschlossenen Handelsvertrage, bei welchem der Reichstag das Verfahren der


Grenzboten III. 1833. 7ü


Das kurze Parlament.

as war wieder einmal ein recht anmutiges Stück Parlamentarismus,
was sich in den letzten Tagen vor unsern Augen abgespielt hat.
Nach langen, schwierigen Verhandlungen war die Reichsregierung
gegen Ende Juli dahin gelangt, einen für unsre Exportindustrie
höchst wichtigen Handelsvertrag mit Spanien zustande zu bringen.
Laut begehrten die beteiligten Kreise die baldigste Inkraftsetzung desselben, da
gerade die Monate August und September wichtig für ihren Export nach Spa¬
nien seien. Was sollte die Reichsregierung nun beginnen? Der Reichstag war
nach überlanger Session soeben entlassen worden. Ende Juli und Anfang August
ist die Zeit, wo die Landbesitzer durch die Ernte in Anspruch genommen werden,
die übrigen Glieder der Gesellschaftsklassen aber, aus welchen der Reichstag sich
bildet, in die weite Welt gereist zu sein pflegen. Es war daher höchst zweifel¬
haft, ob ein beschlußfähiger Reichstag im Augenblicke zusammenzubringen sei,
und jedenfalls würden es viele Mitglieder sehr unliebsam empfunden haben,
wenn sie, um drei oder vier Tage in Berlin zu beraten, in ihren Sommer¬
plänen gestört worden wären. Andrerseits konnte die Regierung als gewiß
voraussetzen, daß ihr zu diesem Vertrage, den ja unsre Industrie mit der größten
Freude begrüßte, die Zustimmung des Reichstags nicht fehlen werde. Bei dieser
Sachlage hatte die Zustimmungserklärung nur die Bedeutung einer Formalität,
und die Regierung war also vor die Frage gestellt: Soll um der Erfüllung dieser
Formalität willen unsre Industrie schwere Einbuße erleiden? So kam man denn
auf den Gedanken, den Vertrag provisorisch ins Leben treten zu lassen. Dafür
lag auch bereits ein Präzedenzfall vor in dem mit Österreich im Jahre 1878
abgeschlossenen Handelsvertrage, bei welchem der Reichstag das Verfahren der


Grenzboten III. 1833. 7ü
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[0601] [Abbildung] Das kurze Parlament. as war wieder einmal ein recht anmutiges Stück Parlamentarismus, was sich in den letzten Tagen vor unsern Augen abgespielt hat. Nach langen, schwierigen Verhandlungen war die Reichsregierung gegen Ende Juli dahin gelangt, einen für unsre Exportindustrie höchst wichtigen Handelsvertrag mit Spanien zustande zu bringen. Laut begehrten die beteiligten Kreise die baldigste Inkraftsetzung desselben, da gerade die Monate August und September wichtig für ihren Export nach Spa¬ nien seien. Was sollte die Reichsregierung nun beginnen? Der Reichstag war nach überlanger Session soeben entlassen worden. Ende Juli und Anfang August ist die Zeit, wo die Landbesitzer durch die Ernte in Anspruch genommen werden, die übrigen Glieder der Gesellschaftsklassen aber, aus welchen der Reichstag sich bildet, in die weite Welt gereist zu sein pflegen. Es war daher höchst zweifel¬ haft, ob ein beschlußfähiger Reichstag im Augenblicke zusammenzubringen sei, und jedenfalls würden es viele Mitglieder sehr unliebsam empfunden haben, wenn sie, um drei oder vier Tage in Berlin zu beraten, in ihren Sommer¬ plänen gestört worden wären. Andrerseits konnte die Regierung als gewiß voraussetzen, daß ihr zu diesem Vertrage, den ja unsre Industrie mit der größten Freude begrüßte, die Zustimmung des Reichstags nicht fehlen werde. Bei dieser Sachlage hatte die Zustimmungserklärung nur die Bedeutung einer Formalität, und die Regierung war also vor die Frage gestellt: Soll um der Erfüllung dieser Formalität willen unsre Industrie schwere Einbuße erleiden? So kam man denn auf den Gedanken, den Vertrag provisorisch ins Leben treten zu lassen. Dafür lag auch bereits ein Präzedenzfall vor in dem mit Österreich im Jahre 1878 abgeschlossenen Handelsvertrage, bei welchem der Reichstag das Verfahren der Grenzboten III. 1833. 7ü

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/601>, abgerufen am 08.09.2024.