Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Glossen zu den modernen Ill'edill,estrel,ungen,

hat. Freilich, keine andre Nation hat auch einen solchen Staatsmann wie den
Fürsten Bismarck an der Spitze; aber keine andre Nation würde es auch dulden,
daß ein solcher Staatsmann im eignen Lande geschmäht und verketzert wird.




Glossen zu den modernen Kreditbestrebungen.

me gewisse Richtung der Geschichtschreibung, die, soweit sie nicht
überhaupt nur fremde Anschauungen und Urteile nachbetet, be¬
sonders angesichts der sozialpolitischen Vorgänge und Bestrebungen
völlig urteilslos ist, steigert gewöhnlich ihre Urteilslosigkeit zur Un-
zurechnungsfähigkeit angesichts von Erscheinungen des Mittelalters,
die mit den staatsfincmziellen Krisen unsrer Zeit nnter einen und denselben
Begriff zu stellen sind. Der deutsche und böhmische König Wenzel z. B. ver¬
dankt seineu Übeln Ruf als Regent wesentlich jenen kritischen Vorgängen wirt-
schaftspvlitischer Art, welche endlich zu entscheidenden Maßregeln zwangen, um
wenigstens die völlige Auslösung aller sozialen Zusammenhänge zu vermeiden.
Den politischen Verhältnissen, die in Wechselwirkung mit der sozialen Krisis
des vierzehnten Jahrhunderts standen, war nnn freilich König Wenzel nicht
entfernt gewachsen. Aber dies konnte ihm ein unparteiischer und urteilsfähiger
Geschichtschreiber, der zugleich die politische Konstruktion des heiligen römischen
Reiches deutscher Nation zu jener Zeit im Auge hat, garnicht zum Vorwurf
macheu; denn man kann schon ein recht bedeutender Geist und Charakter sein
und doch Verhältnissen, wie sie damals bestanden, unterliegen. Indeß nach
dieser Richtung hin findet sich die gewöhnliche Geschichtschreibung mit diesem
Neichsoberhaupt auch einfach ab, indem sie achselzuckend die Unfähigkeit desselben
als unbestreitbar und unbestritten annimmt. Nur wenn diese Geschichtschreibung
auf die positiven sozialpolitischen Maßnahmen kommt, die unter Wenzel und
uatttrlich mit seiner Beistimmung getroffen wurden, nennt sie seine Regierung
eine erbärmliche.

Es handelt sich um die große sozialpolitische Maßregel der Aufhebung
der "Judeuschulden" in den Reichskreisen, in denen das "Kreditwesen" sich längst
zur sozialpolitischen Einrichtung gestaltet hatte. Freilich, wenn man jene Ma߬
regel so ohne alle politische und wirtschaftliche Beziehung hinstellt, wie dies
z. B. Rabbi Grätz in seiner famosen Geschichte der Juden thut, und wie seine
blinden Nachbeter es weiter verbreiten, wirkt sie selbst für das Zeitalter der
"Konversionen" verblüffend. Bei näherer Betrachtung indeß und bei genauerer


Glossen zu den modernen Ill'edill,estrel,ungen,

hat. Freilich, keine andre Nation hat auch einen solchen Staatsmann wie den
Fürsten Bismarck an der Spitze; aber keine andre Nation würde es auch dulden,
daß ein solcher Staatsmann im eignen Lande geschmäht und verketzert wird.




Glossen zu den modernen Kreditbestrebungen.

me gewisse Richtung der Geschichtschreibung, die, soweit sie nicht
überhaupt nur fremde Anschauungen und Urteile nachbetet, be¬
sonders angesichts der sozialpolitischen Vorgänge und Bestrebungen
völlig urteilslos ist, steigert gewöhnlich ihre Urteilslosigkeit zur Un-
zurechnungsfähigkeit angesichts von Erscheinungen des Mittelalters,
die mit den staatsfincmziellen Krisen unsrer Zeit nnter einen und denselben
Begriff zu stellen sind. Der deutsche und böhmische König Wenzel z. B. ver¬
dankt seineu Übeln Ruf als Regent wesentlich jenen kritischen Vorgängen wirt-
schaftspvlitischer Art, welche endlich zu entscheidenden Maßregeln zwangen, um
wenigstens die völlige Auslösung aller sozialen Zusammenhänge zu vermeiden.
Den politischen Verhältnissen, die in Wechselwirkung mit der sozialen Krisis
des vierzehnten Jahrhunderts standen, war nnn freilich König Wenzel nicht
entfernt gewachsen. Aber dies konnte ihm ein unparteiischer und urteilsfähiger
Geschichtschreiber, der zugleich die politische Konstruktion des heiligen römischen
Reiches deutscher Nation zu jener Zeit im Auge hat, garnicht zum Vorwurf
macheu; denn man kann schon ein recht bedeutender Geist und Charakter sein
und doch Verhältnissen, wie sie damals bestanden, unterliegen. Indeß nach
dieser Richtung hin findet sich die gewöhnliche Geschichtschreibung mit diesem
Neichsoberhaupt auch einfach ab, indem sie achselzuckend die Unfähigkeit desselben
als unbestreitbar und unbestritten annimmt. Nur wenn diese Geschichtschreibung
auf die positiven sozialpolitischen Maßnahmen kommt, die unter Wenzel und
uatttrlich mit seiner Beistimmung getroffen wurden, nennt sie seine Regierung
eine erbärmliche.

Es handelt sich um die große sozialpolitische Maßregel der Aufhebung
der „Judeuschulden" in den Reichskreisen, in denen das „Kreditwesen" sich längst
zur sozialpolitischen Einrichtung gestaltet hatte. Freilich, wenn man jene Ma߬
regel so ohne alle politische und wirtschaftliche Beziehung hinstellt, wie dies
z. B. Rabbi Grätz in seiner famosen Geschichte der Juden thut, und wie seine
blinden Nachbeter es weiter verbreiten, wirkt sie selbst für das Zeitalter der
„Konversionen" verblüffend. Bei näherer Betrachtung indeß und bei genauerer


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0277" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/153724"/>
          <fw type="header" place="top"> Glossen zu den modernen Ill'edill,estrel,ungen,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1203" prev="#ID_1202"> hat. Freilich, keine andre Nation hat auch einen solchen Staatsmann wie den<lb/>
Fürsten Bismarck an der Spitze; aber keine andre Nation würde es auch dulden,<lb/>
daß ein solcher Staatsmann im eignen Lande geschmäht und verketzert wird.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Glossen zu den modernen Kreditbestrebungen.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1204"> me gewisse Richtung der Geschichtschreibung, die, soweit sie nicht<lb/>
überhaupt nur fremde Anschauungen und Urteile nachbetet, be¬<lb/>
sonders angesichts der sozialpolitischen Vorgänge und Bestrebungen<lb/>
völlig urteilslos ist, steigert gewöhnlich ihre Urteilslosigkeit zur Un-<lb/>
zurechnungsfähigkeit angesichts von Erscheinungen des Mittelalters,<lb/>
die mit den staatsfincmziellen Krisen unsrer Zeit nnter einen und denselben<lb/>
Begriff zu stellen sind. Der deutsche und böhmische König Wenzel z. B. ver¬<lb/>
dankt seineu Übeln Ruf als Regent wesentlich jenen kritischen Vorgängen wirt-<lb/>
schaftspvlitischer Art, welche endlich zu entscheidenden Maßregeln zwangen, um<lb/>
wenigstens die völlige Auslösung aller sozialen Zusammenhänge zu vermeiden.<lb/>
Den politischen Verhältnissen, die in Wechselwirkung mit der sozialen Krisis<lb/>
des vierzehnten Jahrhunderts standen, war nnn freilich König Wenzel nicht<lb/>
entfernt gewachsen. Aber dies konnte ihm ein unparteiischer und urteilsfähiger<lb/>
Geschichtschreiber, der zugleich die politische Konstruktion des heiligen römischen<lb/>
Reiches deutscher Nation zu jener Zeit im Auge hat, garnicht zum Vorwurf<lb/>
macheu; denn man kann schon ein recht bedeutender Geist und Charakter sein<lb/>
und doch Verhältnissen, wie sie damals bestanden, unterliegen. Indeß nach<lb/>
dieser Richtung hin findet sich die gewöhnliche Geschichtschreibung mit diesem<lb/>
Neichsoberhaupt auch einfach ab, indem sie achselzuckend die Unfähigkeit desselben<lb/>
als unbestreitbar und unbestritten annimmt. Nur wenn diese Geschichtschreibung<lb/>
auf die positiven sozialpolitischen Maßnahmen kommt, die unter Wenzel und<lb/>
uatttrlich mit seiner Beistimmung getroffen wurden, nennt sie seine Regierung<lb/>
eine erbärmliche.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1205" next="#ID_1206"> Es handelt sich um die große sozialpolitische Maßregel der Aufhebung<lb/>
der &#x201E;Judeuschulden" in den Reichskreisen, in denen das &#x201E;Kreditwesen" sich längst<lb/>
zur sozialpolitischen Einrichtung gestaltet hatte. Freilich, wenn man jene Ma߬<lb/>
regel so ohne alle politische und wirtschaftliche Beziehung hinstellt, wie dies<lb/>
z. B. Rabbi Grätz in seiner famosen Geschichte der Juden thut, und wie seine<lb/>
blinden Nachbeter es weiter verbreiten, wirkt sie selbst für das Zeitalter der<lb/>
&#x201E;Konversionen" verblüffend. Bei näherer Betrachtung indeß und bei genauerer</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0277] Glossen zu den modernen Ill'edill,estrel,ungen, hat. Freilich, keine andre Nation hat auch einen solchen Staatsmann wie den Fürsten Bismarck an der Spitze; aber keine andre Nation würde es auch dulden, daß ein solcher Staatsmann im eignen Lande geschmäht und verketzert wird. Glossen zu den modernen Kreditbestrebungen. me gewisse Richtung der Geschichtschreibung, die, soweit sie nicht überhaupt nur fremde Anschauungen und Urteile nachbetet, be¬ sonders angesichts der sozialpolitischen Vorgänge und Bestrebungen völlig urteilslos ist, steigert gewöhnlich ihre Urteilslosigkeit zur Un- zurechnungsfähigkeit angesichts von Erscheinungen des Mittelalters, die mit den staatsfincmziellen Krisen unsrer Zeit nnter einen und denselben Begriff zu stellen sind. Der deutsche und böhmische König Wenzel z. B. ver¬ dankt seineu Übeln Ruf als Regent wesentlich jenen kritischen Vorgängen wirt- schaftspvlitischer Art, welche endlich zu entscheidenden Maßregeln zwangen, um wenigstens die völlige Auslösung aller sozialen Zusammenhänge zu vermeiden. Den politischen Verhältnissen, die in Wechselwirkung mit der sozialen Krisis des vierzehnten Jahrhunderts standen, war nnn freilich König Wenzel nicht entfernt gewachsen. Aber dies konnte ihm ein unparteiischer und urteilsfähiger Geschichtschreiber, der zugleich die politische Konstruktion des heiligen römischen Reiches deutscher Nation zu jener Zeit im Auge hat, garnicht zum Vorwurf macheu; denn man kann schon ein recht bedeutender Geist und Charakter sein und doch Verhältnissen, wie sie damals bestanden, unterliegen. Indeß nach dieser Richtung hin findet sich die gewöhnliche Geschichtschreibung mit diesem Neichsoberhaupt auch einfach ab, indem sie achselzuckend die Unfähigkeit desselben als unbestreitbar und unbestritten annimmt. Nur wenn diese Geschichtschreibung auf die positiven sozialpolitischen Maßnahmen kommt, die unter Wenzel und uatttrlich mit seiner Beistimmung getroffen wurden, nennt sie seine Regierung eine erbärmliche. Es handelt sich um die große sozialpolitische Maßregel der Aufhebung der „Judeuschulden" in den Reichskreisen, in denen das „Kreditwesen" sich längst zur sozialpolitischen Einrichtung gestaltet hatte. Freilich, wenn man jene Ma߬ regel so ohne alle politische und wirtschaftliche Beziehung hinstellt, wie dies z. B. Rabbi Grätz in seiner famosen Geschichte der Juden thut, und wie seine blinden Nachbeter es weiter verbreiten, wirkt sie selbst für das Zeitalter der „Konversionen" verblüffend. Bei näherer Betrachtung indeß und bei genauerer

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/277
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/277>, abgerufen am 08.09.2024.