Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Aufgabe der nachwagnerischon Gper.

sie diejenigen Modifikationen des Gemüts darstelle, mit denen das Gefühl des
Bcstimmtwerdens unmittelbar verbunden sei, so liegt darin nur das negative
Urteil: wir produziren sie nicht willkürlich und können es nicht. Will man
aber in solchen Aussprüchen die positive Gewähr für die Existenz von "Dingen
an sich" angedeutet finden, so wird diese Deutung in der transcendentalen Logik,
der wir oben gefolgt sind, vollständig abgeschnitten.


G. Guinx recht.


Die Aufgabe der nachwagnerischen Oper.
Von Wilhelm Freudenberg.

cum wir uns die Frage vorlegen, welche Bahnen die Opcrukom-
position jetzt, nach Wagners Umwälzungen ans diesem Gebiete,
einzuschlagen habe -- eine Frage, die freilich zunächst weniger das '
noch immer mit Wagner beschäftigte*) Publikum als vielmehr die
schaffenden Künstler berührt --, so haben wir naturgemäß die Oper
von ihren beiden Seiten, als Textbuch und als Musik, zu betrachten.

In unsrer Zeit ist sür den Opernkvmpouisteu die Sorge, daß er ein gutes
Textbuch erhalte, ungemein wichtig. Aber mit dieser Wichtigkeit hält gleichen
Schritt die Schwierigkeit, festzustellen, worin denn die Güte eines Textbuches
bestehe. Denn diese Güte soll sich durch mancherlei Prüfungen berühren: ein
Operntext soll erstens zur Komposition geeignet sein, zweitens dem Komponisten,
d. h. seiner musikalischen Schaffensart, zusagen, drittens den Hörer fesseln, und
viertens den Anforderungen einer öffentlichen Kritik entsprechen -- also in vier
Instanzen Interesse und Befriedigung erwecken, deren Ansprüche teils sehr ver¬
schieden, teils sehr wandelbar sind, gelegentlich anch sich übereinander direkt
widersprechen.

So sehr nun auch jede dieser kritischen Instanzen sich für unfehlbar hält,
so würde dennoch ein Komponist oder ein Dichter, der es allen recht mache"
wollte, sein wie einer, der einem Jrrlichte nachläuft, und würde bald inne
werden, daß er ans dem uferlosen Meer sich kreuzender Allsprüche und Ansichten
keinen festen Anhalt gewinnen kann. Erst mit der historischen Betrachtung gelaugt
er aus festen Boden, von welchem aus eignes Nachdenken anch leicht Aussichten



*) Beschäftigt? O ja. Das heisst, es wird und immer mit ihm beschäftigt. Es fragt
D. Red. sich nur, wie lange es sich das noch wird bieten lassen.
Die Aufgabe der nachwagnerischon Gper.

sie diejenigen Modifikationen des Gemüts darstelle, mit denen das Gefühl des
Bcstimmtwerdens unmittelbar verbunden sei, so liegt darin nur das negative
Urteil: wir produziren sie nicht willkürlich und können es nicht. Will man
aber in solchen Aussprüchen die positive Gewähr für die Existenz von „Dingen
an sich" angedeutet finden, so wird diese Deutung in der transcendentalen Logik,
der wir oben gefolgt sind, vollständig abgeschnitten.


G. Guinx recht.


Die Aufgabe der nachwagnerischen Oper.
Von Wilhelm Freudenberg.

cum wir uns die Frage vorlegen, welche Bahnen die Opcrukom-
position jetzt, nach Wagners Umwälzungen ans diesem Gebiete,
einzuschlagen habe — eine Frage, die freilich zunächst weniger das '
noch immer mit Wagner beschäftigte*) Publikum als vielmehr die
schaffenden Künstler berührt —, so haben wir naturgemäß die Oper
von ihren beiden Seiten, als Textbuch und als Musik, zu betrachten.

In unsrer Zeit ist sür den Opernkvmpouisteu die Sorge, daß er ein gutes
Textbuch erhalte, ungemein wichtig. Aber mit dieser Wichtigkeit hält gleichen
Schritt die Schwierigkeit, festzustellen, worin denn die Güte eines Textbuches
bestehe. Denn diese Güte soll sich durch mancherlei Prüfungen berühren: ein
Operntext soll erstens zur Komposition geeignet sein, zweitens dem Komponisten,
d. h. seiner musikalischen Schaffensart, zusagen, drittens den Hörer fesseln, und
viertens den Anforderungen einer öffentlichen Kritik entsprechen — also in vier
Instanzen Interesse und Befriedigung erwecken, deren Ansprüche teils sehr ver¬
schieden, teils sehr wandelbar sind, gelegentlich anch sich übereinander direkt
widersprechen.

So sehr nun auch jede dieser kritischen Instanzen sich für unfehlbar hält,
so würde dennoch ein Komponist oder ein Dichter, der es allen recht mache»
wollte, sein wie einer, der einem Jrrlichte nachläuft, und würde bald inne
werden, daß er ans dem uferlosen Meer sich kreuzender Allsprüche und Ansichten
keinen festen Anhalt gewinnen kann. Erst mit der historischen Betrachtung gelaugt
er aus festen Boden, von welchem aus eignes Nachdenken anch leicht Aussichten



*) Beschäftigt? O ja. Das heisst, es wird und immer mit ihm beschäftigt. Es fragt
D. Red. sich nur, wie lange es sich das noch wird bieten lassen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0236" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/153683"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Aufgabe der nachwagnerischon Gper.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_986" prev="#ID_985"> sie diejenigen Modifikationen des Gemüts darstelle, mit denen das Gefühl des<lb/>
Bcstimmtwerdens unmittelbar verbunden sei, so liegt darin nur das negative<lb/>
Urteil: wir produziren sie nicht willkürlich und können es nicht. Will man<lb/>
aber in solchen Aussprüchen die positive Gewähr für die Existenz von &#x201E;Dingen<lb/>
an sich" angedeutet finden, so wird diese Deutung in der transcendentalen Logik,<lb/>
der wir oben gefolgt sind, vollständig abgeschnitten.</p><lb/>
          <note type="byline"> G. Guinx recht.</note><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Aufgabe der nachwagnerischen Oper.<lb/><note type="byline"> Von Wilhelm Freudenberg.</note></head><lb/>
          <p xml:id="ID_987"> cum wir uns die Frage vorlegen, welche Bahnen die Opcrukom-<lb/>
position jetzt, nach Wagners Umwälzungen ans diesem Gebiete,<lb/>
einzuschlagen habe &#x2014; eine Frage, die freilich zunächst weniger das '<lb/>
noch immer mit Wagner beschäftigte*) Publikum als vielmehr die<lb/>
schaffenden Künstler berührt &#x2014;, so haben wir naturgemäß die Oper<lb/>
von ihren beiden Seiten, als Textbuch und als Musik, zu betrachten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_988"> In unsrer Zeit ist sür den Opernkvmpouisteu die Sorge, daß er ein gutes<lb/>
Textbuch erhalte, ungemein wichtig. Aber mit dieser Wichtigkeit hält gleichen<lb/>
Schritt die Schwierigkeit, festzustellen, worin denn die Güte eines Textbuches<lb/>
bestehe. Denn diese Güte soll sich durch mancherlei Prüfungen berühren: ein<lb/>
Operntext soll erstens zur Komposition geeignet sein, zweitens dem Komponisten,<lb/>
d. h. seiner musikalischen Schaffensart, zusagen, drittens den Hörer fesseln, und<lb/>
viertens den Anforderungen einer öffentlichen Kritik entsprechen &#x2014; also in vier<lb/>
Instanzen Interesse und Befriedigung erwecken, deren Ansprüche teils sehr ver¬<lb/>
schieden, teils sehr wandelbar sind, gelegentlich anch sich übereinander direkt<lb/>
widersprechen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_989" next="#ID_990"> So sehr nun auch jede dieser kritischen Instanzen sich für unfehlbar hält,<lb/>
so würde dennoch ein Komponist oder ein Dichter, der es allen recht mache»<lb/>
wollte, sein wie einer, der einem Jrrlichte nachläuft, und würde bald inne<lb/>
werden, daß er ans dem uferlosen Meer sich kreuzender Allsprüche und Ansichten<lb/>
keinen festen Anhalt gewinnen kann. Erst mit der historischen Betrachtung gelaugt<lb/>
er aus festen Boden, von welchem aus eignes Nachdenken anch leicht Aussichten</p><lb/>
          <note xml:id="FID_38" place="foot"> *) Beschäftigt? O ja. Das heisst, es wird und immer mit ihm beschäftigt. Es fragt<lb/><note type="byline"> D. Red.</note> sich nur, wie lange es sich das noch wird bieten lassen. </note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0236] Die Aufgabe der nachwagnerischon Gper. sie diejenigen Modifikationen des Gemüts darstelle, mit denen das Gefühl des Bcstimmtwerdens unmittelbar verbunden sei, so liegt darin nur das negative Urteil: wir produziren sie nicht willkürlich und können es nicht. Will man aber in solchen Aussprüchen die positive Gewähr für die Existenz von „Dingen an sich" angedeutet finden, so wird diese Deutung in der transcendentalen Logik, der wir oben gefolgt sind, vollständig abgeschnitten. G. Guinx recht. Die Aufgabe der nachwagnerischen Oper. Von Wilhelm Freudenberg. cum wir uns die Frage vorlegen, welche Bahnen die Opcrukom- position jetzt, nach Wagners Umwälzungen ans diesem Gebiete, einzuschlagen habe — eine Frage, die freilich zunächst weniger das ' noch immer mit Wagner beschäftigte*) Publikum als vielmehr die schaffenden Künstler berührt —, so haben wir naturgemäß die Oper von ihren beiden Seiten, als Textbuch und als Musik, zu betrachten. In unsrer Zeit ist sür den Opernkvmpouisteu die Sorge, daß er ein gutes Textbuch erhalte, ungemein wichtig. Aber mit dieser Wichtigkeit hält gleichen Schritt die Schwierigkeit, festzustellen, worin denn die Güte eines Textbuches bestehe. Denn diese Güte soll sich durch mancherlei Prüfungen berühren: ein Operntext soll erstens zur Komposition geeignet sein, zweitens dem Komponisten, d. h. seiner musikalischen Schaffensart, zusagen, drittens den Hörer fesseln, und viertens den Anforderungen einer öffentlichen Kritik entsprechen — also in vier Instanzen Interesse und Befriedigung erwecken, deren Ansprüche teils sehr ver¬ schieden, teils sehr wandelbar sind, gelegentlich anch sich übereinander direkt widersprechen. So sehr nun auch jede dieser kritischen Instanzen sich für unfehlbar hält, so würde dennoch ein Komponist oder ein Dichter, der es allen recht mache» wollte, sein wie einer, der einem Jrrlichte nachläuft, und würde bald inne werden, daß er ans dem uferlosen Meer sich kreuzender Allsprüche und Ansichten keinen festen Anhalt gewinnen kann. Erst mit der historischen Betrachtung gelaugt er aus festen Boden, von welchem aus eignes Nachdenken anch leicht Aussichten *) Beschäftigt? O ja. Das heisst, es wird und immer mit ihm beschäftigt. Es fragt D. Red. sich nur, wie lange es sich das noch wird bieten lassen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/236
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/236>, abgerufen am 04.12.2024.