Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Schwurgericht.
Lin Übelstand im deutschen Rechtswesen,
R. Keßler. von

anas.

n allen deutschen Staaten ist es seit Jahrhunderten und noch
heutigen Tages Rechtens, daß die Justiz regelmäßiger Weise nur
von berufsmäßigen, ständigen Richtern ausgeübt, und daß von
solchen Richtern eine umfassende Vorbildung für ihr Amt ver¬
langt wird. Sie müssen, wenn sie nicht Professoren der Rechte
sind, nach den jetzt für ganz Deutschland geltenden Bestimmungen sich die nötige
Kenntnis des Rechtes durch mindestens dreijähriges Universitätsstudium, die Übung
in dessen Anwendung durch mindestens dreijährigen Vorbereitungsdienst erworben
und über diesen Erwerb sich durch zwei Prüfungen ausgewiesen haben, bevor
sie zur Anstellung gelangen können. Diese Bestimmungen beruhen auf der in
ihrer Allgemeinheit bis jetzt nur von einigen nach "Volksjustiz" verlangenden
Sozialdemokraten angefochtenen Überzeugung, daß nur in den Händen so
aualifizirter Richter die Rechtspflege gut aufgehoben sei.

Es muß hiernach von vornherein Befremden erregen, wenn der Gesetzgeber
bei einigen der wichtigsten Justizsacheu von dieser Regel dahin abweicht, daß er
das Amt des Urteilens Personen überträgt, denen es, wie unsern heutigen Ge¬
schwornen, an jener Qualifikation nach allen Richtungen gebricht, die in ihrer
überwiegenden Mehrzahl von Rechtskenntnis keine Spur besitzen, und die mit
der praktischen Beurteilung einer Rechtssache entweder noch nie oder günstigsten
falls vor Jahr und Tag einmal in einigen wenigen Fällen zu thun gehabt haben.

Die Frage, ob eine solche Abweichung von der Regel durch triftige Gründe
geboten sei, könnte als eine sogenannte "akademische" und deswegen zur Er¬
örterung in einer politischen Zeitschrift keineswegs geeignet erscheinen, wenn die
Geschworenengerichte sich in ihren Leistungen unbestrittener Anerkennung zu er¬
freuen hätten. Das ist aber durchaus nicht der Fall. Man braucht in den
Kreisen der praktischen, mit dem schwurgerichtlichen Verfahren vertrauten Juristen
nicht lange herumzufragen, um die absprechendsten Urteile über das ganze In¬
stitut zu hören. Mir ist es im Laufe eines zehnjährigen Verkehrs mit Justiz¬
beamten der verschiedensten politischen Richtungen an einem halben Dutzend ver-
schiedner Gerichte noch nicht gelungen, die Bekanntschaft mich mir eines einzigen
Richters, Staatsanwalts oder selbst Rechtsanwalts zu machen, der von den
Schwurgerichten und ihren Leistungen eine halbwegs günstige Meinung gehabt
hätte. Zahlreiche einsichtsvolle Nichtjuristen denken nach ihren im Beratungs¬
zimmer der Geschwornen gesammelten Erfahrungen nicht anders. Von wissen-


Greuzboten III. 1833. 2
Das Schwurgericht.
Lin Übelstand im deutschen Rechtswesen,
R. Keßler. von

anas.

n allen deutschen Staaten ist es seit Jahrhunderten und noch
heutigen Tages Rechtens, daß die Justiz regelmäßiger Weise nur
von berufsmäßigen, ständigen Richtern ausgeübt, und daß von
solchen Richtern eine umfassende Vorbildung für ihr Amt ver¬
langt wird. Sie müssen, wenn sie nicht Professoren der Rechte
sind, nach den jetzt für ganz Deutschland geltenden Bestimmungen sich die nötige
Kenntnis des Rechtes durch mindestens dreijähriges Universitätsstudium, die Übung
in dessen Anwendung durch mindestens dreijährigen Vorbereitungsdienst erworben
und über diesen Erwerb sich durch zwei Prüfungen ausgewiesen haben, bevor
sie zur Anstellung gelangen können. Diese Bestimmungen beruhen auf der in
ihrer Allgemeinheit bis jetzt nur von einigen nach „Volksjustiz" verlangenden
Sozialdemokraten angefochtenen Überzeugung, daß nur in den Händen so
aualifizirter Richter die Rechtspflege gut aufgehoben sei.

Es muß hiernach von vornherein Befremden erregen, wenn der Gesetzgeber
bei einigen der wichtigsten Justizsacheu von dieser Regel dahin abweicht, daß er
das Amt des Urteilens Personen überträgt, denen es, wie unsern heutigen Ge¬
schwornen, an jener Qualifikation nach allen Richtungen gebricht, die in ihrer
überwiegenden Mehrzahl von Rechtskenntnis keine Spur besitzen, und die mit
der praktischen Beurteilung einer Rechtssache entweder noch nie oder günstigsten
falls vor Jahr und Tag einmal in einigen wenigen Fällen zu thun gehabt haben.

Die Frage, ob eine solche Abweichung von der Regel durch triftige Gründe
geboten sei, könnte als eine sogenannte „akademische" und deswegen zur Er¬
örterung in einer politischen Zeitschrift keineswegs geeignet erscheinen, wenn die
Geschworenengerichte sich in ihren Leistungen unbestrittener Anerkennung zu er¬
freuen hätten. Das ist aber durchaus nicht der Fall. Man braucht in den
Kreisen der praktischen, mit dem schwurgerichtlichen Verfahren vertrauten Juristen
nicht lange herumzufragen, um die absprechendsten Urteile über das ganze In¬
stitut zu hören. Mir ist es im Laufe eines zehnjährigen Verkehrs mit Justiz¬
beamten der verschiedensten politischen Richtungen an einem halben Dutzend ver-
schiedner Gerichte noch nicht gelungen, die Bekanntschaft mich mir eines einzigen
Richters, Staatsanwalts oder selbst Rechtsanwalts zu machen, der von den
Schwurgerichten und ihren Leistungen eine halbwegs günstige Meinung gehabt
hätte. Zahlreiche einsichtsvolle Nichtjuristen denken nach ihren im Beratungs¬
zimmer der Geschwornen gesammelten Erfahrungen nicht anders. Von wissen-


Greuzboten III. 1833. 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0017" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/153464"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Das Schwurgericht.<lb/>
Lin Übelstand im deutschen Rechtswesen,<lb/><note type="byline"> R. Keßler.</note> von</head><lb/>
          <quote type="epigraph"> anas.</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_22"> n allen deutschen Staaten ist es seit Jahrhunderten und noch<lb/>
heutigen Tages Rechtens, daß die Justiz regelmäßiger Weise nur<lb/>
von berufsmäßigen, ständigen Richtern ausgeübt, und daß von<lb/>
solchen Richtern eine umfassende Vorbildung für ihr Amt ver¬<lb/>
langt wird. Sie müssen, wenn sie nicht Professoren der Rechte<lb/>
sind, nach den jetzt für ganz Deutschland geltenden Bestimmungen sich die nötige<lb/>
Kenntnis des Rechtes durch mindestens dreijähriges Universitätsstudium, die Übung<lb/>
in dessen Anwendung durch mindestens dreijährigen Vorbereitungsdienst erworben<lb/>
und über diesen Erwerb sich durch zwei Prüfungen ausgewiesen haben, bevor<lb/>
sie zur Anstellung gelangen können. Diese Bestimmungen beruhen auf der in<lb/>
ihrer Allgemeinheit bis jetzt nur von einigen nach &#x201E;Volksjustiz" verlangenden<lb/>
Sozialdemokraten angefochtenen Überzeugung, daß nur in den Händen so<lb/>
aualifizirter Richter die Rechtspflege gut aufgehoben sei.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_23"> Es muß hiernach von vornherein Befremden erregen, wenn der Gesetzgeber<lb/>
bei einigen der wichtigsten Justizsacheu von dieser Regel dahin abweicht, daß er<lb/>
das Amt des Urteilens Personen überträgt, denen es, wie unsern heutigen Ge¬<lb/>
schwornen, an jener Qualifikation nach allen Richtungen gebricht, die in ihrer<lb/>
überwiegenden Mehrzahl von Rechtskenntnis keine Spur besitzen, und die mit<lb/>
der praktischen Beurteilung einer Rechtssache entweder noch nie oder günstigsten<lb/>
falls vor Jahr und Tag einmal in einigen wenigen Fällen zu thun gehabt haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_24" next="#ID_25"> Die Frage, ob eine solche Abweichung von der Regel durch triftige Gründe<lb/>
geboten sei, könnte als eine sogenannte &#x201E;akademische" und deswegen zur Er¬<lb/>
örterung in einer politischen Zeitschrift keineswegs geeignet erscheinen, wenn die<lb/>
Geschworenengerichte sich in ihren Leistungen unbestrittener Anerkennung zu er¬<lb/>
freuen hätten. Das ist aber durchaus nicht der Fall. Man braucht in den<lb/>
Kreisen der praktischen, mit dem schwurgerichtlichen Verfahren vertrauten Juristen<lb/>
nicht lange herumzufragen, um die absprechendsten Urteile über das ganze In¬<lb/>
stitut zu hören. Mir ist es im Laufe eines zehnjährigen Verkehrs mit Justiz¬<lb/>
beamten der verschiedensten politischen Richtungen an einem halben Dutzend ver-<lb/>
schiedner Gerichte noch nicht gelungen, die Bekanntschaft mich mir eines einzigen<lb/>
Richters, Staatsanwalts oder selbst Rechtsanwalts zu machen, der von den<lb/>
Schwurgerichten und ihren Leistungen eine halbwegs günstige Meinung gehabt<lb/>
hätte. Zahlreiche einsichtsvolle Nichtjuristen denken nach ihren im Beratungs¬<lb/>
zimmer der Geschwornen gesammelten Erfahrungen nicht anders. Von wissen-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Greuzboten III. 1833. 2</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0017] Das Schwurgericht. Lin Übelstand im deutschen Rechtswesen, R. Keßler. von anas. n allen deutschen Staaten ist es seit Jahrhunderten und noch heutigen Tages Rechtens, daß die Justiz regelmäßiger Weise nur von berufsmäßigen, ständigen Richtern ausgeübt, und daß von solchen Richtern eine umfassende Vorbildung für ihr Amt ver¬ langt wird. Sie müssen, wenn sie nicht Professoren der Rechte sind, nach den jetzt für ganz Deutschland geltenden Bestimmungen sich die nötige Kenntnis des Rechtes durch mindestens dreijähriges Universitätsstudium, die Übung in dessen Anwendung durch mindestens dreijährigen Vorbereitungsdienst erworben und über diesen Erwerb sich durch zwei Prüfungen ausgewiesen haben, bevor sie zur Anstellung gelangen können. Diese Bestimmungen beruhen auf der in ihrer Allgemeinheit bis jetzt nur von einigen nach „Volksjustiz" verlangenden Sozialdemokraten angefochtenen Überzeugung, daß nur in den Händen so aualifizirter Richter die Rechtspflege gut aufgehoben sei. Es muß hiernach von vornherein Befremden erregen, wenn der Gesetzgeber bei einigen der wichtigsten Justizsacheu von dieser Regel dahin abweicht, daß er das Amt des Urteilens Personen überträgt, denen es, wie unsern heutigen Ge¬ schwornen, an jener Qualifikation nach allen Richtungen gebricht, die in ihrer überwiegenden Mehrzahl von Rechtskenntnis keine Spur besitzen, und die mit der praktischen Beurteilung einer Rechtssache entweder noch nie oder günstigsten falls vor Jahr und Tag einmal in einigen wenigen Fällen zu thun gehabt haben. Die Frage, ob eine solche Abweichung von der Regel durch triftige Gründe geboten sei, könnte als eine sogenannte „akademische" und deswegen zur Er¬ örterung in einer politischen Zeitschrift keineswegs geeignet erscheinen, wenn die Geschworenengerichte sich in ihren Leistungen unbestrittener Anerkennung zu er¬ freuen hätten. Das ist aber durchaus nicht der Fall. Man braucht in den Kreisen der praktischen, mit dem schwurgerichtlichen Verfahren vertrauten Juristen nicht lange herumzufragen, um die absprechendsten Urteile über das ganze In¬ stitut zu hören. Mir ist es im Laufe eines zehnjährigen Verkehrs mit Justiz¬ beamten der verschiedensten politischen Richtungen an einem halben Dutzend ver- schiedner Gerichte noch nicht gelungen, die Bekanntschaft mich mir eines einzigen Richters, Staatsanwalts oder selbst Rechtsanwalts zu machen, der von den Schwurgerichten und ihren Leistungen eine halbwegs günstige Meinung gehabt hätte. Zahlreiche einsichtsvolle Nichtjuristen denken nach ihren im Beratungs¬ zimmer der Geschwornen gesammelten Erfahrungen nicht anders. Von wissen- Greuzboten III. 1833. 2

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/17
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/17>, abgerufen am 08.09.2024.