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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

quoll. Wer das öde, schmutzige Haus dieses Mannes gesehen hatte und nun
ihn selbst vor sich sah, der am Vormittage in der Schänke blies, der hätte,
wenn er wirklich Mitgefühl besaß, sicherlich vor diesem, vom Trinken geröteten,
verschmitzten und sorglosen Gesicht die Neigung zu einer ernsten Mahnung
verspürt.

Aber Gräfin Sibylle dachte nicht an eine solche Mahnung. Sie drückte
ihrem Führer eine Belohnung in die Hand und hieß ihn fortgehen. Dann
begann sie, allein mit dem Schiffer, ein Gespräch, das unverhältnismäßig lange
dauerte für ein so ungleiches Paar. Claus Harmsen veränderte im Laufe dieser
Unterhaltung gar bald seine anfängliche Miene des erwartungsvollen Staunens,
und der listige Charakter seiner Züge trat noch deutlicher hervor. Er kraute
sich mehreremale bedenklich in den dichten, unbändigen Locken, indem er den Hut
zurückschob und mit unverschämtem Lächeln der Dame ins Gesicht sah. Aber
zuletzt schien er sich zu fügen und zeigte ein unterwürfiges Wesen. Das ge¬
bieterische Wesen der vornehmen Frau, die Gewalt ihres Blickes und ihre Worte
waren über seine rohe Natur Herr geworden.

Er zog ehrerbietig den Hut, als sie ihn verabschiedete, und sah ihr, als
sie wieder dem nahen Dorfe zuschritt und in die Gasse einlenkte, mit verblüfftem
und nachdenklichen Wesen nach, nicht ganz unähnlich einem wilden Tiere in der
Menagerie, das-die überlegene Kraft seines Bändigers kennen gelernt hat.




Sechzehntes Aapitel.

Ich habe da ein Billet bekommen, welches einige Abwechslung für uns in
Aussicht stellt, sagte Baron Sextus zu seiner Tochter. Mit diesen Worten
reichte er ihr beim Frühstück ein dreieckig gefaltetes Papier hin, welches in
langen, spitzen, festgezeichnetcn Schriftzügen die Mitteilung der Gräfin Sibylle
von Altenschwerdt enthielt, daß sie sich mit ihrem Sohne zu einer Kur in Bad
Fischbeck aufhalte und die Gelegenheit nicht versäumen wolle, das ihr dem
Namen nach wohlbekannte Eichhausen zu besuchen, vorausgesetzt, daß sie er¬
wünscht komme.

Es war an dem Tage, nachdem Sibylle ihre Begegnung mit Andrew gehabt
hatte, an demselben Tage und zu derselben Zeit, wo sie mit dem Flötenspieler
aus dem lustigen Seehund verhandelte. Gräfin Sibylle war rasch in ihren
Entschlüssen.

Der Baron befand sich heute sehr gut. Der gestrige Ausflug nach der
Besitzung des Grafen war ihm gut bekommen. Er hatte im Sinne, heute
wieder zu Pferde zu steigen, er verzehrte mit großem Appetit ein Hirschsteak,
nachdem er wochenlang Wassersuppendiät gehalten hatte, und er war gut ge¬
launt und zu Unternehmungen aufgelegt.


Die Grafen von Altenschwerdt.

quoll. Wer das öde, schmutzige Haus dieses Mannes gesehen hatte und nun
ihn selbst vor sich sah, der am Vormittage in der Schänke blies, der hätte,
wenn er wirklich Mitgefühl besaß, sicherlich vor diesem, vom Trinken geröteten,
verschmitzten und sorglosen Gesicht die Neigung zu einer ernsten Mahnung
verspürt.

Aber Gräfin Sibylle dachte nicht an eine solche Mahnung. Sie drückte
ihrem Führer eine Belohnung in die Hand und hieß ihn fortgehen. Dann
begann sie, allein mit dem Schiffer, ein Gespräch, das unverhältnismäßig lange
dauerte für ein so ungleiches Paar. Claus Harmsen veränderte im Laufe dieser
Unterhaltung gar bald seine anfängliche Miene des erwartungsvollen Staunens,
und der listige Charakter seiner Züge trat noch deutlicher hervor. Er kraute
sich mehreremale bedenklich in den dichten, unbändigen Locken, indem er den Hut
zurückschob und mit unverschämtem Lächeln der Dame ins Gesicht sah. Aber
zuletzt schien er sich zu fügen und zeigte ein unterwürfiges Wesen. Das ge¬
bieterische Wesen der vornehmen Frau, die Gewalt ihres Blickes und ihre Worte
waren über seine rohe Natur Herr geworden.

Er zog ehrerbietig den Hut, als sie ihn verabschiedete, und sah ihr, als
sie wieder dem nahen Dorfe zuschritt und in die Gasse einlenkte, mit verblüfftem
und nachdenklichen Wesen nach, nicht ganz unähnlich einem wilden Tiere in der
Menagerie, das-die überlegene Kraft seines Bändigers kennen gelernt hat.




Sechzehntes Aapitel.

Ich habe da ein Billet bekommen, welches einige Abwechslung für uns in
Aussicht stellt, sagte Baron Sextus zu seiner Tochter. Mit diesen Worten
reichte er ihr beim Frühstück ein dreieckig gefaltetes Papier hin, welches in
langen, spitzen, festgezeichnetcn Schriftzügen die Mitteilung der Gräfin Sibylle
von Altenschwerdt enthielt, daß sie sich mit ihrem Sohne zu einer Kur in Bad
Fischbeck aufhalte und die Gelegenheit nicht versäumen wolle, das ihr dem
Namen nach wohlbekannte Eichhausen zu besuchen, vorausgesetzt, daß sie er¬
wünscht komme.

Es war an dem Tage, nachdem Sibylle ihre Begegnung mit Andrew gehabt
hatte, an demselben Tage und zu derselben Zeit, wo sie mit dem Flötenspieler
aus dem lustigen Seehund verhandelte. Gräfin Sibylle war rasch in ihren
Entschlüssen.

Der Baron befand sich heute sehr gut. Der gestrige Ausflug nach der
Besitzung des Grafen war ihm gut bekommen. Er hatte im Sinne, heute
wieder zu Pferde zu steigen, er verzehrte mit großem Appetit ein Hirschsteak,
nachdem er wochenlang Wassersuppendiät gehalten hatte, und er war gut ge¬
launt und zu Unternehmungen aufgelegt.


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[0707] Die Grafen von Altenschwerdt. quoll. Wer das öde, schmutzige Haus dieses Mannes gesehen hatte und nun ihn selbst vor sich sah, der am Vormittage in der Schänke blies, der hätte, wenn er wirklich Mitgefühl besaß, sicherlich vor diesem, vom Trinken geröteten, verschmitzten und sorglosen Gesicht die Neigung zu einer ernsten Mahnung verspürt. Aber Gräfin Sibylle dachte nicht an eine solche Mahnung. Sie drückte ihrem Führer eine Belohnung in die Hand und hieß ihn fortgehen. Dann begann sie, allein mit dem Schiffer, ein Gespräch, das unverhältnismäßig lange dauerte für ein so ungleiches Paar. Claus Harmsen veränderte im Laufe dieser Unterhaltung gar bald seine anfängliche Miene des erwartungsvollen Staunens, und der listige Charakter seiner Züge trat noch deutlicher hervor. Er kraute sich mehreremale bedenklich in den dichten, unbändigen Locken, indem er den Hut zurückschob und mit unverschämtem Lächeln der Dame ins Gesicht sah. Aber zuletzt schien er sich zu fügen und zeigte ein unterwürfiges Wesen. Das ge¬ bieterische Wesen der vornehmen Frau, die Gewalt ihres Blickes und ihre Worte waren über seine rohe Natur Herr geworden. Er zog ehrerbietig den Hut, als sie ihn verabschiedete, und sah ihr, als sie wieder dem nahen Dorfe zuschritt und in die Gasse einlenkte, mit verblüfftem und nachdenklichen Wesen nach, nicht ganz unähnlich einem wilden Tiere in der Menagerie, das-die überlegene Kraft seines Bändigers kennen gelernt hat. Sechzehntes Aapitel. Ich habe da ein Billet bekommen, welches einige Abwechslung für uns in Aussicht stellt, sagte Baron Sextus zu seiner Tochter. Mit diesen Worten reichte er ihr beim Frühstück ein dreieckig gefaltetes Papier hin, welches in langen, spitzen, festgezeichnetcn Schriftzügen die Mitteilung der Gräfin Sibylle von Altenschwerdt enthielt, daß sie sich mit ihrem Sohne zu einer Kur in Bad Fischbeck aufhalte und die Gelegenheit nicht versäumen wolle, das ihr dem Namen nach wohlbekannte Eichhausen zu besuchen, vorausgesetzt, daß sie er¬ wünscht komme. Es war an dem Tage, nachdem Sibylle ihre Begegnung mit Andrew gehabt hatte, an demselben Tage und zu derselben Zeit, wo sie mit dem Flötenspieler aus dem lustigen Seehund verhandelte. Gräfin Sibylle war rasch in ihren Entschlüssen. Der Baron befand sich heute sehr gut. Der gestrige Ausflug nach der Besitzung des Grafen war ihm gut bekommen. Er hatte im Sinne, heute wieder zu Pferde zu steigen, er verzehrte mit großem Appetit ein Hirschsteak, nachdem er wochenlang Wassersuppendiät gehalten hatte, und er war gut ge¬ launt und zu Unternehmungen aufgelegt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/707>, abgerufen am 22.07.2024.