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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Vie deutsche und die französische Volksdichtung.

in unerwartet andern Formen vielleicht, aber auch unerwartet glänzend und
großartig zum Heile des deutschen Volkes verwirklicht worden. Wir haben das
deutsche Reich, die deutsche Nation hat als solche die ihr gebührende achtung¬
gebietende Stellung neben den andern Nationen eingenommen. Die Rätsel der
Vergangenheit sind gelöst, und ein fester Grund für alle Zukunft ist gewonnen.
Mögen wir ihn alle Zeit halten und bewahren, pflegen und ehren! Dazu
anzuleiten und zu erziehen, dazu zu bilden und zu begeistern wird na¬
mentlich auch die Sache der nationalen Geschichtschreibung sein. Die letzte Be¬
dingung, welche zu ihrem reichen Erblühen bisher noch fehlte, ist jetzt voll und ganz
erfüllt. Um seinen greisen Herzog geschaart, hat das deutsche Volk, einig wie
nie zuvor, in großen, vom Staunen der Welt begleiteten Thaten nationale Ge¬
schichte gemacht; möge die deutsche Geschichtschreibung nicht hinter ihr zurück¬
bleiben.

Zum erstenmale stehen diesem Stoffe gegenüber alle Stämme und alle
Staaten Deutschlands aus einem und demselben Boden. Hier fehlen alle die
Momente, die sonst die Urteile auseinandergehen und die Geschichte sich so ent¬
gegengesetzt äußern lassen. Von hier aus erscheint auch die Vergangenheit anders,
und über manchen bisher streitigen Punkt dürfte nun die Verständigung leicht
sein. Für Mit- und Nachwelt aber tritt in das Zentrum dieser abschließenden
Zeit der Erfüllung die Heldengestalt des greisen Königs, welcher die im Donner
siegreicher Schlachten gewonnene Kaiserkrone sich eben an der Stelle auf das
Haupt setzen durste, von wo Deutschland in der Zeit seiner Ohnmacht und Ent¬
würdigung am schmachvollsten Hohn und Gewalt geboten worden war. Gott
schütze, Gott segne den Kaiser!




Die deutsche und die französische Volksdichtung.
von Wilhelm Scheffler.

is bei einem seiner Sommerfeste der studentische Gesangverein
des Dresdner Polytechnikums unter der kundigen Leitung seines
Liedermeisters ein deutsches Volkslied gesungen, da ward, als das
Lied verklungen und der Beifall verrauscht war, am Dozenten¬
tische die Frage aufgeworfen, ob wohl die Franzosen dem etwas
ähnliches an die Seite zu setzen hätten.*) Diese Frage schließt sicherlich nicht



Der vorstehende Aufsatz bildet einen Teil der Einleitung zu einem größern Werke
(Die französische Volksdichtung und Sage), welches demnächst im Verlage von Schlicke
D. Red. (B. Elischer) in Leipzig erscheinen wird.
Grenzboten I. 1633. 86
Vie deutsche und die französische Volksdichtung.

in unerwartet andern Formen vielleicht, aber auch unerwartet glänzend und
großartig zum Heile des deutschen Volkes verwirklicht worden. Wir haben das
deutsche Reich, die deutsche Nation hat als solche die ihr gebührende achtung¬
gebietende Stellung neben den andern Nationen eingenommen. Die Rätsel der
Vergangenheit sind gelöst, und ein fester Grund für alle Zukunft ist gewonnen.
Mögen wir ihn alle Zeit halten und bewahren, pflegen und ehren! Dazu
anzuleiten und zu erziehen, dazu zu bilden und zu begeistern wird na¬
mentlich auch die Sache der nationalen Geschichtschreibung sein. Die letzte Be¬
dingung, welche zu ihrem reichen Erblühen bisher noch fehlte, ist jetzt voll und ganz
erfüllt. Um seinen greisen Herzog geschaart, hat das deutsche Volk, einig wie
nie zuvor, in großen, vom Staunen der Welt begleiteten Thaten nationale Ge¬
schichte gemacht; möge die deutsche Geschichtschreibung nicht hinter ihr zurück¬
bleiben.

Zum erstenmale stehen diesem Stoffe gegenüber alle Stämme und alle
Staaten Deutschlands aus einem und demselben Boden. Hier fehlen alle die
Momente, die sonst die Urteile auseinandergehen und die Geschichte sich so ent¬
gegengesetzt äußern lassen. Von hier aus erscheint auch die Vergangenheit anders,
und über manchen bisher streitigen Punkt dürfte nun die Verständigung leicht
sein. Für Mit- und Nachwelt aber tritt in das Zentrum dieser abschließenden
Zeit der Erfüllung die Heldengestalt des greisen Königs, welcher die im Donner
siegreicher Schlachten gewonnene Kaiserkrone sich eben an der Stelle auf das
Haupt setzen durste, von wo Deutschland in der Zeit seiner Ohnmacht und Ent¬
würdigung am schmachvollsten Hohn und Gewalt geboten worden war. Gott
schütze, Gott segne den Kaiser!




Die deutsche und die französische Volksdichtung.
von Wilhelm Scheffler.

is bei einem seiner Sommerfeste der studentische Gesangverein
des Dresdner Polytechnikums unter der kundigen Leitung seines
Liedermeisters ein deutsches Volkslied gesungen, da ward, als das
Lied verklungen und der Beifall verrauscht war, am Dozenten¬
tische die Frage aufgeworfen, ob wohl die Franzosen dem etwas
ähnliches an die Seite zu setzen hätten.*) Diese Frage schließt sicherlich nicht



Der vorstehende Aufsatz bildet einen Teil der Einleitung zu einem größern Werke
(Die französische Volksdichtung und Sage), welches demnächst im Verlage von Schlicke
D. Red. (B. Elischer) in Leipzig erscheinen wird.
Grenzboten I. 1633. 86
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[0689] Vie deutsche und die französische Volksdichtung. in unerwartet andern Formen vielleicht, aber auch unerwartet glänzend und großartig zum Heile des deutschen Volkes verwirklicht worden. Wir haben das deutsche Reich, die deutsche Nation hat als solche die ihr gebührende achtung¬ gebietende Stellung neben den andern Nationen eingenommen. Die Rätsel der Vergangenheit sind gelöst, und ein fester Grund für alle Zukunft ist gewonnen. Mögen wir ihn alle Zeit halten und bewahren, pflegen und ehren! Dazu anzuleiten und zu erziehen, dazu zu bilden und zu begeistern wird na¬ mentlich auch die Sache der nationalen Geschichtschreibung sein. Die letzte Be¬ dingung, welche zu ihrem reichen Erblühen bisher noch fehlte, ist jetzt voll und ganz erfüllt. Um seinen greisen Herzog geschaart, hat das deutsche Volk, einig wie nie zuvor, in großen, vom Staunen der Welt begleiteten Thaten nationale Ge¬ schichte gemacht; möge die deutsche Geschichtschreibung nicht hinter ihr zurück¬ bleiben. Zum erstenmale stehen diesem Stoffe gegenüber alle Stämme und alle Staaten Deutschlands aus einem und demselben Boden. Hier fehlen alle die Momente, die sonst die Urteile auseinandergehen und die Geschichte sich so ent¬ gegengesetzt äußern lassen. Von hier aus erscheint auch die Vergangenheit anders, und über manchen bisher streitigen Punkt dürfte nun die Verständigung leicht sein. Für Mit- und Nachwelt aber tritt in das Zentrum dieser abschließenden Zeit der Erfüllung die Heldengestalt des greisen Königs, welcher die im Donner siegreicher Schlachten gewonnene Kaiserkrone sich eben an der Stelle auf das Haupt setzen durste, von wo Deutschland in der Zeit seiner Ohnmacht und Ent¬ würdigung am schmachvollsten Hohn und Gewalt geboten worden war. Gott schütze, Gott segne den Kaiser! Die deutsche und die französische Volksdichtung. von Wilhelm Scheffler. is bei einem seiner Sommerfeste der studentische Gesangverein des Dresdner Polytechnikums unter der kundigen Leitung seines Liedermeisters ein deutsches Volkslied gesungen, da ward, als das Lied verklungen und der Beifall verrauscht war, am Dozenten¬ tische die Frage aufgeworfen, ob wohl die Franzosen dem etwas ähnliches an die Seite zu setzen hätten.*) Diese Frage schließt sicherlich nicht Der vorstehende Aufsatz bildet einen Teil der Einleitung zu einem größern Werke (Die französische Volksdichtung und Sage), welches demnächst im Verlage von Schlicke D. Red. (B. Elischer) in Leipzig erscheinen wird. Grenzboten I. 1633. 86

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/689>, abgerufen am 03.07.2024.