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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Literatur.

lange hier in Eichhausen, weil er weiß, daß die Herrschaft nicht in seiner Familie
bleiben kann, und das nagt an ihm. Das arme gnädige Fräulein muß es ent¬
gelten, daß sie kein Sohn ist, und sie kann doch wahrhaftig nichts dafür, das
arme Ding! Aber so gehts in der Welt. Was der Mensch nicht hat, das
will er haben, und was er hat, das weiß er nicht zu schätzen. Mir wahrhaftig
sollt's gleich sein, was nach meinem Tode würde, vorausgesetzt, daß die Kinder
versorgt wären. Und versorgt wahrhaftig sind das gnädige Fräulein, das wollte
ich meinen. Aber vornehme Leute sind anders als wir, lieber Herr, und haben
ihre eignen Grillen. Der Herr Baron Habens nie verwinden können und Werdens
nie verwinden, daß sie keinen Sohn und Erben haben. Es ist der gnädigen
Frau ihr Tod gewesen, so sehr hat sie sich darüber gegrämt. Wissen Sie, wie
der Herr Baron einmal sind, ein vortrefflicher Herr, der das beste Herz von
der Welt hat, aber man merkts ihm nicht an, wenn man ihn nicht lange kennt,
wie ich ihn gekannt habe. Nicht daß er die Frau Baronin schlecht behandelt
Hütte! Bewahre Gott! Stets die feinste Höflichkeit und Hochachtung. Aber
die Frau Baronin merkte es ihm doch an, und es hat ihr das Herz gebrochen.
Die Herzen sind verschieden, Herr Eschenburg, das eine ist so, das andre wieder
anders. Manche Frau wäre glücklich gewesen, wenn sie es so gut gehabt hätte
wie die Frau Baronin. Ach, du großer Gott, ja! Aber sie konnte es nicht.
Sie war wie eine feine Rose und viel zu empfindlich, sie härmte sich im stillen,
und alle Höflichkeit des Herrn Baron konnte ihre Backen nicht rot machen. So
welkte sie denn hin, wie eine Blume, der die Sonne fehlt.

Die gute Frau Zeysing drückte einen Zipfel ihrer Küchenschürze an die
Augen und wollte dann in einem Thema fortfahren, welches offenbar zu ihren
Lieblingsgegenständen gehörte. Aber der fremde Maler, welcher aus freund¬
licher Nachgiebigkeit bis jetzt zugehört hatte, glaubte nunmehr genug von den
Angelegenheiten der Familie zu Schloß Eichhauscu gehört zu habe". Er zog
seine Uhr, bemerkte, daß die Mittagsstunde herangerückt sein müsse, und zog sich
mit einer scherzhaften Ermahnung hinsichtlich der von ihr selbst gelobten Koch¬
kunst der Frau Wirtin zurück. (Fortsetzung folgt.)


Literatur.
Bon den Neudrucken deutscher Literciturwerke des 16. und 17. Jahr¬
hunderts, die bei Niemeyer in Halle erscheinen, enthält das 34. und 35. Heft
Friedrich Dedekinds Grobianus, verdeutscht von Kaspar Scheidt, in einem
Abdruck der ersten Ausgabe vou 1551.

Der Grobianus giebt ein in seinen Einzelheiten offenbar dem Leben ent¬
nommenes, in seiner Häufung und Zusammenfassung freilich stark übertriebenes und
verzerrtes Bild der Roheit und Unfläterci, die im 16. Jahrhundert allmählich ein-
gerissen war und die wir u. a. aus den gleichzeitigen Selbstbiographien des Ritters
Hans von Schweinichen oder der beiden Platter zum Teil kennen. Der
Zweck Dedekinds war, den Grobianen, die schon Braut in seinem Narrcnschiff ver¬
spättet hatte, ein Spiegelbild vorzuhalten. Welchen Anklang die Dichtung fand,


Literatur.

lange hier in Eichhausen, weil er weiß, daß die Herrschaft nicht in seiner Familie
bleiben kann, und das nagt an ihm. Das arme gnädige Fräulein muß es ent¬
gelten, daß sie kein Sohn ist, und sie kann doch wahrhaftig nichts dafür, das
arme Ding! Aber so gehts in der Welt. Was der Mensch nicht hat, das
will er haben, und was er hat, das weiß er nicht zu schätzen. Mir wahrhaftig
sollt's gleich sein, was nach meinem Tode würde, vorausgesetzt, daß die Kinder
versorgt wären. Und versorgt wahrhaftig sind das gnädige Fräulein, das wollte
ich meinen. Aber vornehme Leute sind anders als wir, lieber Herr, und haben
ihre eignen Grillen. Der Herr Baron Habens nie verwinden können und Werdens
nie verwinden, daß sie keinen Sohn und Erben haben. Es ist der gnädigen
Frau ihr Tod gewesen, so sehr hat sie sich darüber gegrämt. Wissen Sie, wie
der Herr Baron einmal sind, ein vortrefflicher Herr, der das beste Herz von
der Welt hat, aber man merkts ihm nicht an, wenn man ihn nicht lange kennt,
wie ich ihn gekannt habe. Nicht daß er die Frau Baronin schlecht behandelt
Hütte! Bewahre Gott! Stets die feinste Höflichkeit und Hochachtung. Aber
die Frau Baronin merkte es ihm doch an, und es hat ihr das Herz gebrochen.
Die Herzen sind verschieden, Herr Eschenburg, das eine ist so, das andre wieder
anders. Manche Frau wäre glücklich gewesen, wenn sie es so gut gehabt hätte
wie die Frau Baronin. Ach, du großer Gott, ja! Aber sie konnte es nicht.
Sie war wie eine feine Rose und viel zu empfindlich, sie härmte sich im stillen,
und alle Höflichkeit des Herrn Baron konnte ihre Backen nicht rot machen. So
welkte sie denn hin, wie eine Blume, der die Sonne fehlt.

Die gute Frau Zeysing drückte einen Zipfel ihrer Küchenschürze an die
Augen und wollte dann in einem Thema fortfahren, welches offenbar zu ihren
Lieblingsgegenständen gehörte. Aber der fremde Maler, welcher aus freund¬
licher Nachgiebigkeit bis jetzt zugehört hatte, glaubte nunmehr genug von den
Angelegenheiten der Familie zu Schloß Eichhauscu gehört zu habe». Er zog
seine Uhr, bemerkte, daß die Mittagsstunde herangerückt sein müsse, und zog sich
mit einer scherzhaften Ermahnung hinsichtlich der von ihr selbst gelobten Koch¬
kunst der Frau Wirtin zurück. (Fortsetzung folgt.)


Literatur.
Bon den Neudrucken deutscher Literciturwerke des 16. und 17. Jahr¬
hunderts, die bei Niemeyer in Halle erscheinen, enthält das 34. und 35. Heft
Friedrich Dedekinds Grobianus, verdeutscht von Kaspar Scheidt, in einem
Abdruck der ersten Ausgabe vou 1551.

Der Grobianus giebt ein in seinen Einzelheiten offenbar dem Leben ent¬
nommenes, in seiner Häufung und Zusammenfassung freilich stark übertriebenes und
verzerrtes Bild der Roheit und Unfläterci, die im 16. Jahrhundert allmählich ein-
gerissen war und die wir u. a. aus den gleichzeitigen Selbstbiographien des Ritters
Hans von Schweinichen oder der beiden Platter zum Teil kennen. Der
Zweck Dedekinds war, den Grobianen, die schon Braut in seinem Narrcnschiff ver¬
spättet hatte, ein Spiegelbild vorzuhalten. Welchen Anklang die Dichtung fand,


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[0062] Literatur. lange hier in Eichhausen, weil er weiß, daß die Herrschaft nicht in seiner Familie bleiben kann, und das nagt an ihm. Das arme gnädige Fräulein muß es ent¬ gelten, daß sie kein Sohn ist, und sie kann doch wahrhaftig nichts dafür, das arme Ding! Aber so gehts in der Welt. Was der Mensch nicht hat, das will er haben, und was er hat, das weiß er nicht zu schätzen. Mir wahrhaftig sollt's gleich sein, was nach meinem Tode würde, vorausgesetzt, daß die Kinder versorgt wären. Und versorgt wahrhaftig sind das gnädige Fräulein, das wollte ich meinen. Aber vornehme Leute sind anders als wir, lieber Herr, und haben ihre eignen Grillen. Der Herr Baron Habens nie verwinden können und Werdens nie verwinden, daß sie keinen Sohn und Erben haben. Es ist der gnädigen Frau ihr Tod gewesen, so sehr hat sie sich darüber gegrämt. Wissen Sie, wie der Herr Baron einmal sind, ein vortrefflicher Herr, der das beste Herz von der Welt hat, aber man merkts ihm nicht an, wenn man ihn nicht lange kennt, wie ich ihn gekannt habe. Nicht daß er die Frau Baronin schlecht behandelt Hütte! Bewahre Gott! Stets die feinste Höflichkeit und Hochachtung. Aber die Frau Baronin merkte es ihm doch an, und es hat ihr das Herz gebrochen. Die Herzen sind verschieden, Herr Eschenburg, das eine ist so, das andre wieder anders. Manche Frau wäre glücklich gewesen, wenn sie es so gut gehabt hätte wie die Frau Baronin. Ach, du großer Gott, ja! Aber sie konnte es nicht. Sie war wie eine feine Rose und viel zu empfindlich, sie härmte sich im stillen, und alle Höflichkeit des Herrn Baron konnte ihre Backen nicht rot machen. So welkte sie denn hin, wie eine Blume, der die Sonne fehlt. Die gute Frau Zeysing drückte einen Zipfel ihrer Küchenschürze an die Augen und wollte dann in einem Thema fortfahren, welches offenbar zu ihren Lieblingsgegenständen gehörte. Aber der fremde Maler, welcher aus freund¬ licher Nachgiebigkeit bis jetzt zugehört hatte, glaubte nunmehr genug von den Angelegenheiten der Familie zu Schloß Eichhauscu gehört zu habe». Er zog seine Uhr, bemerkte, daß die Mittagsstunde herangerückt sein müsse, und zog sich mit einer scherzhaften Ermahnung hinsichtlich der von ihr selbst gelobten Koch¬ kunst der Frau Wirtin zurück. (Fortsetzung folgt.) Literatur. Bon den Neudrucken deutscher Literciturwerke des 16. und 17. Jahr¬ hunderts, die bei Niemeyer in Halle erscheinen, enthält das 34. und 35. Heft Friedrich Dedekinds Grobianus, verdeutscht von Kaspar Scheidt, in einem Abdruck der ersten Ausgabe vou 1551. Der Grobianus giebt ein in seinen Einzelheiten offenbar dem Leben ent¬ nommenes, in seiner Häufung und Zusammenfassung freilich stark übertriebenes und verzerrtes Bild der Roheit und Unfläterci, die im 16. Jahrhundert allmählich ein- gerissen war und die wir u. a. aus den gleichzeitigen Selbstbiographien des Ritters Hans von Schweinichen oder der beiden Platter zum Teil kennen. Der Zweck Dedekinds war, den Grobianen, die schon Braut in seinem Narrcnschiff ver¬ spättet hatte, ein Spiegelbild vorzuhalten. Welchen Anklang die Dichtung fand,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/62>, abgerufen am 22.07.2024.