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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Ministerveränderung in Frankreich.

or etwa drei Wochen begab sichs, daß das republikanische Paris
des Morgens beim Erwachen erfuhr, daß ein Prätendent gewagt
habe, sich offen als Erben der Bonaparte zu bezeichnen, die den
französischen Kaiserthron innegehabt hatten. Die Sache erregte
sofort Aufsehen, und daraus entwickelte sich rasch große Verlegen¬
heit und gefährliche Unsicherheit und Verwirrung. Eine kluge und entschlossene
Negierung hätte nur zwei Wege vor sich gesehen: den Prätendenten zu fassen
und über die Grenze zu befördern oder ihn und seine Maueranschläge als nicht
vorhanden zu betrachten und ungeschoren zu lassen und dem Senat und den
Abgeordneten zu sagen, daß die Republik stark genug sei, um solche Possen mit
schweigender Verachtung zu behandeln. In beiden Fällen hätte sie etwas für
Minister wie für Generale unschätzbares gethan, sie Hütte die Initiative er¬
griffen, und wie sich dann auch die Kammer Verhalten hätte, die Minister würden
die Stärke gezeigt haben, auf die ein rasches und entscheidendes Handeln schließen
läßt. Aber leider schickten sie ihren Gegner wider das Gesetz in die Conciergerie,
ließen die Sache in der Schwebe und schufen Bewerbern um die Volksgunst
und um hohe amtliche Stellung Gelegenheit, sich der Leitung der Angelegen¬
heit durch Anträge zu bemächtigen. Die Folgen zeigten sich bald in Gestalt
von zu weit gehenden Vorschlägen von seiten der Linken, in Kompromissen, die
heute entworfen und gut geheißen, morgen zurückgezogen wurden, und zuletzt
in einer Ministerkrisis, der ein Teil des Grcvyschen Kabinets mit Einschluß des
Premiers zum Opfer fiel. Allerdings konnte man von einem Ministerium,
das von Anfang an nur als ein zeitweiliges, als Lückenbüßer zu betrachten war
und sich auf keine entschiedne Mehrheit im Hanse der Abgeordneten stützen konnte,


GMizlwtm I. 1883. 42


Die Ministerveränderung in Frankreich.

or etwa drei Wochen begab sichs, daß das republikanische Paris
des Morgens beim Erwachen erfuhr, daß ein Prätendent gewagt
habe, sich offen als Erben der Bonaparte zu bezeichnen, die den
französischen Kaiserthron innegehabt hatten. Die Sache erregte
sofort Aufsehen, und daraus entwickelte sich rasch große Verlegen¬
heit und gefährliche Unsicherheit und Verwirrung. Eine kluge und entschlossene
Negierung hätte nur zwei Wege vor sich gesehen: den Prätendenten zu fassen
und über die Grenze zu befördern oder ihn und seine Maueranschläge als nicht
vorhanden zu betrachten und ungeschoren zu lassen und dem Senat und den
Abgeordneten zu sagen, daß die Republik stark genug sei, um solche Possen mit
schweigender Verachtung zu behandeln. In beiden Fällen hätte sie etwas für
Minister wie für Generale unschätzbares gethan, sie Hütte die Initiative er¬
griffen, und wie sich dann auch die Kammer Verhalten hätte, die Minister würden
die Stärke gezeigt haben, auf die ein rasches und entscheidendes Handeln schließen
läßt. Aber leider schickten sie ihren Gegner wider das Gesetz in die Conciergerie,
ließen die Sache in der Schwebe und schufen Bewerbern um die Volksgunst
und um hohe amtliche Stellung Gelegenheit, sich der Leitung der Angelegen¬
heit durch Anträge zu bemächtigen. Die Folgen zeigten sich bald in Gestalt
von zu weit gehenden Vorschlägen von seiten der Linken, in Kompromissen, die
heute entworfen und gut geheißen, morgen zurückgezogen wurden, und zuletzt
in einer Ministerkrisis, der ein Teil des Grcvyschen Kabinets mit Einschluß des
Premiers zum Opfer fiel. Allerdings konnte man von einem Ministerium,
das von Anfang an nur als ein zeitweiliges, als Lückenbüßer zu betrachten war
und sich auf keine entschiedne Mehrheit im Hanse der Abgeordneten stützen konnte,


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[0337] [Abbildung] Die Ministerveränderung in Frankreich. or etwa drei Wochen begab sichs, daß das republikanische Paris des Morgens beim Erwachen erfuhr, daß ein Prätendent gewagt habe, sich offen als Erben der Bonaparte zu bezeichnen, die den französischen Kaiserthron innegehabt hatten. Die Sache erregte sofort Aufsehen, und daraus entwickelte sich rasch große Verlegen¬ heit und gefährliche Unsicherheit und Verwirrung. Eine kluge und entschlossene Negierung hätte nur zwei Wege vor sich gesehen: den Prätendenten zu fassen und über die Grenze zu befördern oder ihn und seine Maueranschläge als nicht vorhanden zu betrachten und ungeschoren zu lassen und dem Senat und den Abgeordneten zu sagen, daß die Republik stark genug sei, um solche Possen mit schweigender Verachtung zu behandeln. In beiden Fällen hätte sie etwas für Minister wie für Generale unschätzbares gethan, sie Hütte die Initiative er¬ griffen, und wie sich dann auch die Kammer Verhalten hätte, die Minister würden die Stärke gezeigt haben, auf die ein rasches und entscheidendes Handeln schließen läßt. Aber leider schickten sie ihren Gegner wider das Gesetz in die Conciergerie, ließen die Sache in der Schwebe und schufen Bewerbern um die Volksgunst und um hohe amtliche Stellung Gelegenheit, sich der Leitung der Angelegen¬ heit durch Anträge zu bemächtigen. Die Folgen zeigten sich bald in Gestalt von zu weit gehenden Vorschlägen von seiten der Linken, in Kompromissen, die heute entworfen und gut geheißen, morgen zurückgezogen wurden, und zuletzt in einer Ministerkrisis, der ein Teil des Grcvyschen Kabinets mit Einschluß des Premiers zum Opfer fiel. Allerdings konnte man von einem Ministerium, das von Anfang an nur als ein zeitweiliges, als Lückenbüßer zu betrachten war und sich auf keine entschiedne Mehrheit im Hanse der Abgeordneten stützen konnte, GMizlwtm I. 1883. 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/337>, abgerufen am 22.07.2024.