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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.
Achtes Aapitel.

Es war schon tief in der Nacht und auf den Thürmen von Holzfurt schlug
es eins, als Herrn Rudolf Schmidts Wagen über das Pflaster der Stadt
rasselte. Doch schimmerte aus den Fenstern seiner Wohnung noch Licht, und
er bemerkte mit Zufriedenheit, daß die Redaktion seiner Zeitung noch thätig
war, Herr Schmidt hatte eine angenehme Fahrt gehabt, indem er sich nach
einem guten Abendessen den Spekulationen über seine verschiedenen Unter¬
nehmungen vertrauensvoll hingab und nur die eine Besorgnis hegte, daß sein
gutes Herz ihn vielleicht zu weit führe, sodaß durch die Anstellung überflüssiger
Personen sein Budget zu stark belastet werden möchte. Als er die erleuchteten
Fenster seines Redaktionszimmers bemerkte, kam ihm der Gedanke, noch einige
Worte der Weisheit in die Ohren des or. Glock zu träufeln, bevor er zu Bett
ginge, und so stieg er denn die Stufen hinan.

or. Glock sah nicht sehr erfreut von seinem Pulte auf, als die Thür sich
öffnete und er den Besitzer der "Holzfurter Nachrichten" eintreten sah. Er war
der Meinung, daß er die Zeitung auch ohne Hilfe fertig bringen könne, und
war nicht erbaut davon, daß Herr Schmidt ihm so häufig seinen guten Rat
angedeihen ließ.

Aber dieser kümmerte sich darum nicht, denn er war der entgegengesetzten
Ansicht und fest überzeugt, daß nur sein Geist dem politischen Gebilde des
Dr. Glock wahres Leben einhauche. Er schwang sich auf den Komtoirschemel,
dem Sitze des Redakteurs auf der andern Seite des Puits gegenüber, und sagte:
Ich habe die Absicht, für die nächsten vier Wochen zu verreisen. Sehen Sie
nur zu, daß während der Zeit nichts passirt! Das Blatt ist jetzt gerade gut im
Zuge, wir haben in den beiden letzten Quartalen gegen fünfzehnhundert Abon¬
nenten gewonnen, und es wäre Schade, wenn die Sache wieder zurückginge. Ich
verlasse mich auf Sie,

Über dem Pulte hing eine Lampe mit großem Schirm herab, die einzige,
welche gegenwärtig brannte, und ließ ein Helles Licht auf die Gesichter der
beiden Männer fallen, welche einander ansahen. Es war ein starker Gegensatz
zwischen beider Aussehen, und beide fühlten den Unterschied, der zwischen ihrem
Denken und Fühlen bestand. Am meisten freilich der Redakteur, ein zierliches
Männchen mit etwas träumerischem Ausdruck der klugen Augen, die von nächt¬
licher Arbeit am Schreibtische gerötet waren und mit Unbehagen durch die Brille
hindurch den geschäftslustigen Besitzer betrachteten. Er fühlte sich von der
Gegenwart desselben stets bedrückt, gleich als hätte er diese bäurisch vierschrötige
Gestalt auf seinem Nacken zu tragen. Gerade in diesen: Augenblicke war er
durch den Besuch besonders unangenehm berührt worden, denn es hatten seine
Gedanken, wie er so allein mit seiner Lampe über die Mitternachtsstunde hin¬
ausgekommen war, einen dichterischen Flug genommen, und er hatte den erst


Die Grafen von Altenschwerdt.
Achtes Aapitel.

Es war schon tief in der Nacht und auf den Thürmen von Holzfurt schlug
es eins, als Herrn Rudolf Schmidts Wagen über das Pflaster der Stadt
rasselte. Doch schimmerte aus den Fenstern seiner Wohnung noch Licht, und
er bemerkte mit Zufriedenheit, daß die Redaktion seiner Zeitung noch thätig
war, Herr Schmidt hatte eine angenehme Fahrt gehabt, indem er sich nach
einem guten Abendessen den Spekulationen über seine verschiedenen Unter¬
nehmungen vertrauensvoll hingab und nur die eine Besorgnis hegte, daß sein
gutes Herz ihn vielleicht zu weit führe, sodaß durch die Anstellung überflüssiger
Personen sein Budget zu stark belastet werden möchte. Als er die erleuchteten
Fenster seines Redaktionszimmers bemerkte, kam ihm der Gedanke, noch einige
Worte der Weisheit in die Ohren des or. Glock zu träufeln, bevor er zu Bett
ginge, und so stieg er denn die Stufen hinan.

or. Glock sah nicht sehr erfreut von seinem Pulte auf, als die Thür sich
öffnete und er den Besitzer der „Holzfurter Nachrichten" eintreten sah. Er war
der Meinung, daß er die Zeitung auch ohne Hilfe fertig bringen könne, und
war nicht erbaut davon, daß Herr Schmidt ihm so häufig seinen guten Rat
angedeihen ließ.

Aber dieser kümmerte sich darum nicht, denn er war der entgegengesetzten
Ansicht und fest überzeugt, daß nur sein Geist dem politischen Gebilde des
Dr. Glock wahres Leben einhauche. Er schwang sich auf den Komtoirschemel,
dem Sitze des Redakteurs auf der andern Seite des Puits gegenüber, und sagte:
Ich habe die Absicht, für die nächsten vier Wochen zu verreisen. Sehen Sie
nur zu, daß während der Zeit nichts passirt! Das Blatt ist jetzt gerade gut im
Zuge, wir haben in den beiden letzten Quartalen gegen fünfzehnhundert Abon¬
nenten gewonnen, und es wäre Schade, wenn die Sache wieder zurückginge. Ich
verlasse mich auf Sie,

Über dem Pulte hing eine Lampe mit großem Schirm herab, die einzige,
welche gegenwärtig brannte, und ließ ein Helles Licht auf die Gesichter der
beiden Männer fallen, welche einander ansahen. Es war ein starker Gegensatz
zwischen beider Aussehen, und beide fühlten den Unterschied, der zwischen ihrem
Denken und Fühlen bestand. Am meisten freilich der Redakteur, ein zierliches
Männchen mit etwas träumerischem Ausdruck der klugen Augen, die von nächt¬
licher Arbeit am Schreibtische gerötet waren und mit Unbehagen durch die Brille
hindurch den geschäftslustigen Besitzer betrachteten. Er fühlte sich von der
Gegenwart desselben stets bedrückt, gleich als hätte er diese bäurisch vierschrötige
Gestalt auf seinem Nacken zu tragen. Gerade in diesen: Augenblicke war er
durch den Besuch besonders unangenehm berührt worden, denn es hatten seine
Gedanken, wie er so allein mit seiner Lampe über die Mitternachtsstunde hin¬
ausgekommen war, einen dichterischen Flug genommen, und er hatte den erst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/330>, abgerufen am 22.07.2024.