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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die journalistische Kunstkritik.

fasscr, wenn uns seine Glossen bis dahin artig unterhalten haben, nicht übel
deuten, wenn wir ihm in seiner Erklärung der Plagen, die der edle Prospcro
den Clowns bescheert, durchaus nicht zu folgen vermögen. Sollte hier wirklich
der Künstler, "indem er jene Folgen der niedrigen, rein sinnlichen Leidenschaften
zur Darstellung bringt, auf diese bessernd zu wirken suchen? Ach nein! Doch
sei ein solcher Mißgriff nicht allzusehr urgirt. Er bedeutet in der That wenig
bei der unkünstlerischeu Tendenz der ganzen Arbeit.

Und damit sei denn auch von dieser Abschied genommen. Um ihrer selbst
willen hätte sie eine sorgfältigere Betrachtung ebensowenig in Anspruch nehmen
dürfen als der Bessersche Hamlet-Essay, denn dazu ist sie wie jener trotz mancher
Vorzüge auch als Angriffsobjekt nicht bedeutend genug. Nur als Typus der
unfruchtbare!" Methode des deutschen Ästhetisirens verdienten beide eine schärfere
Beleuchtung. Sie charakterisiren trefflich das mittelgute, gebildete aber gänz¬
lich unpraktische Dramaturgentum, das, vom Theater zu seinem Unsegen völlig
gelöst, damit auch der wichtigsten Schulung des Urteils in dramatischen Dingen
verlustig gegangen ist, und anstatt ein sinnlich klares und Sinnfälliges, plastisch
auf einfachem Fundament hervorwachsendes Kunstwerk vor sich zu sehen, mit
vorgefaßten Konstruktionen und Abstraktionen operirt. "Leicht bei einander
wohnen die Gedanken," das Drama aber gehört mit seinem Organismus der
Sinnenwelt an, dieser Welt des Raumes, in dem sich "hart die Sachen stoßen";
nur wenn es sich in ihr gesund entwickelt und lebendig regt und bewegt, kann
es nach den Sternen greifen und in seinen engen fünf Akten die Ewigkeit
wiederspiegeln. Darum kann man es aber auch nur verstehen, wenn man sich
in seine Lebensbedingungen versetzt und es mit frischem, sinnlich unmittelbarem
Blick betrachtet. Wie das Drama selbst, hat sich die dramaturgische Kritik erst
auf dieser rauhen Erdoberfläche umzusehen und Sicherheit zu schaffen; nicht
eher wird es ihr vergönnt sein, den Majaschleicr zu heben unH das Welt¬
geheimnis in ihm zu finden. Hier heißt es im vollsten Sinne: ?ör asxsrg,
g,ni astrÄ.




Die journalistische Kunstkritik.
von to. Freudenberg.

er jemals eine Zeit lang als Referent über Kunstangelegenhcite"
an einer Zeitung thätig und bemüht gewesen ist, -seines Amtes
mit Gewissenhaftigkeit und Gerechtigkeit zu walten, der wird sich der
Notwendigkeit nicht haben entziehen können, über den Zweck einer
solchen Thätigkeit und den dabei einzunehmenden Standpunkt nach¬
zudenken. Ein solches Nachdenken bewirkt im günstigen Falle nicht nur eine Auf-


Die journalistische Kunstkritik.

fasscr, wenn uns seine Glossen bis dahin artig unterhalten haben, nicht übel
deuten, wenn wir ihm in seiner Erklärung der Plagen, die der edle Prospcro
den Clowns bescheert, durchaus nicht zu folgen vermögen. Sollte hier wirklich
der Künstler, „indem er jene Folgen der niedrigen, rein sinnlichen Leidenschaften
zur Darstellung bringt, auf diese bessernd zu wirken suchen? Ach nein! Doch
sei ein solcher Mißgriff nicht allzusehr urgirt. Er bedeutet in der That wenig
bei der unkünstlerischeu Tendenz der ganzen Arbeit.

Und damit sei denn auch von dieser Abschied genommen. Um ihrer selbst
willen hätte sie eine sorgfältigere Betrachtung ebensowenig in Anspruch nehmen
dürfen als der Bessersche Hamlet-Essay, denn dazu ist sie wie jener trotz mancher
Vorzüge auch als Angriffsobjekt nicht bedeutend genug. Nur als Typus der
unfruchtbare!» Methode des deutschen Ästhetisirens verdienten beide eine schärfere
Beleuchtung. Sie charakterisiren trefflich das mittelgute, gebildete aber gänz¬
lich unpraktische Dramaturgentum, das, vom Theater zu seinem Unsegen völlig
gelöst, damit auch der wichtigsten Schulung des Urteils in dramatischen Dingen
verlustig gegangen ist, und anstatt ein sinnlich klares und Sinnfälliges, plastisch
auf einfachem Fundament hervorwachsendes Kunstwerk vor sich zu sehen, mit
vorgefaßten Konstruktionen und Abstraktionen operirt. „Leicht bei einander
wohnen die Gedanken," das Drama aber gehört mit seinem Organismus der
Sinnenwelt an, dieser Welt des Raumes, in dem sich „hart die Sachen stoßen";
nur wenn es sich in ihr gesund entwickelt und lebendig regt und bewegt, kann
es nach den Sternen greifen und in seinen engen fünf Akten die Ewigkeit
wiederspiegeln. Darum kann man es aber auch nur verstehen, wenn man sich
in seine Lebensbedingungen versetzt und es mit frischem, sinnlich unmittelbarem
Blick betrachtet. Wie das Drama selbst, hat sich die dramaturgische Kritik erst
auf dieser rauhen Erdoberfläche umzusehen und Sicherheit zu schaffen; nicht
eher wird es ihr vergönnt sein, den Majaschleicr zu heben unH das Welt¬
geheimnis in ihm zu finden. Hier heißt es im vollsten Sinne: ?ör asxsrg,
g,ni astrÄ.




Die journalistische Kunstkritik.
von to. Freudenberg.

er jemals eine Zeit lang als Referent über Kunstangelegenhcite»
an einer Zeitung thätig und bemüht gewesen ist, -seines Amtes
mit Gewissenhaftigkeit und Gerechtigkeit zu walten, der wird sich der
Notwendigkeit nicht haben entziehen können, über den Zweck einer
solchen Thätigkeit und den dabei einzunehmenden Standpunkt nach¬
zudenken. Ein solches Nachdenken bewirkt im günstigen Falle nicht nur eine Auf-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/150>, abgerufen am 22.07.2024.