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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Zur Rechtschreibung der Fremdwörter.

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andlungen über Orthographie sind an der Tagesordnung. Auch
die Grenzboten haben in letzter Zeit schätzbare Beiträge zu der
Streitfrage gebracht. Daß wir von einer Einigung noch immer
sehr weit entfernt sind, ist nicht zu leugnen, allein man darf
wohl Zweifel hegen, ob eine solche jemals werde erzielt werden.
Eine so wenig disziplinirte, so voll Schulmeistergeist und Rechthaberei steckende
Nation wie die deutsche würde sich uicht einmal fügen, wenn sie eine einzige
Akademie hätte und diese ein Normalwörterbuch aufstellen wollte; in jedem
Winkel würde ein Pedant seinen Querkopf aufsetzen, und vielleicht erschiene die
Verteidigung der unveräußerlichen Schreibfreiheit als ein neuer Punkt in dem
Programm der oppositionellen Parteien. Dem Besseren, welches der sprich¬
wörtliche Feind des Guten ist, tritt bei uus immer uoch das Beste in den Weg:
wäre der Fortschritt uoch so groß, wir verschmähen ihn zu machen, wenn er
nicht direkt an das ideale Ziel führt. Einen Fortschritt erblicken wir unsrer¬
seits schon in der vielseitigen Teilnahme an der Diskussion. Sie bekundet
doch wenigstens Anteil an dem Ergehen der Muttersprache, die mau sonst gleich-
giltig jeder Mißhandlung preisgab. Und dieses erfreuliche Interesse an dem
Gegenstande ermutigt uus, eine Seite derselben zu berühren, welche gewöhnlich
unbeachtet bleibt, während jede Regelung der Rechtschreibung, werde sie vou
welcher Autorität auch immer durchgesetzt, doch Stückwerk sein müßte, wenn sie
nicht die Schreibung der Fremdwörter mit in Betracht zöge.

Daß diese Frage überhaupt existirt, danken wir auch nnr jener Pedanterie,
welche uns so schwer zu einheitlicher Schreibung des Deutschen gelangen läßt.
Jedes andre Volk macht mit den einer fremden Sprache entlehnten Wörtern
wenig Federlesens; es spricht sie aus, wie sie ihm in den Mund passen und
schreibt sie nach der Aussprache. Wir dagegen setzen einen Stolz darein, die
Nationalität jedes solchen Einwanderers, sei er Franzose oder Engländer, Slo¬
wake oder Hottentotte, gewissenhaft zu konserviren -- wir, die berüchtigten Ger-
rncinisatoren. Im Gebrauche von Fremdwörtern gehen wir jetzt im Durchschnitt
verständig zu Werke/') wir halten uus gleich fern von dem einstige" geckenhaften
Kauderwälsch wie von pedantischen Purismus. Fast jedermann ist darauf be¬
dacht, entbehrliche Fremdwörter, die sich in unsere Sprache eingeschlichen haben,
auszumerzen, verkennt aber nicht, daß in der That die Entbehrlichkeit feststehen
muß. Gesetze lassen sich dafür nicht geben, zahllose Fremdwörter haben sich



"°) Wirklich? Uns scheint es im Gegenteil, als ob die Fremdwörterseuche -- in der
Tagesp D. Red. resse wenigstens -- mit jedem Tage schlimmer würde.
Zur Rechtschreibung der Fremdwörter.

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andlungen über Orthographie sind an der Tagesordnung. Auch
die Grenzboten haben in letzter Zeit schätzbare Beiträge zu der
Streitfrage gebracht. Daß wir von einer Einigung noch immer
sehr weit entfernt sind, ist nicht zu leugnen, allein man darf
wohl Zweifel hegen, ob eine solche jemals werde erzielt werden.
Eine so wenig disziplinirte, so voll Schulmeistergeist und Rechthaberei steckende
Nation wie die deutsche würde sich uicht einmal fügen, wenn sie eine einzige
Akademie hätte und diese ein Normalwörterbuch aufstellen wollte; in jedem
Winkel würde ein Pedant seinen Querkopf aufsetzen, und vielleicht erschiene die
Verteidigung der unveräußerlichen Schreibfreiheit als ein neuer Punkt in dem
Programm der oppositionellen Parteien. Dem Besseren, welches der sprich¬
wörtliche Feind des Guten ist, tritt bei uus immer uoch das Beste in den Weg:
wäre der Fortschritt uoch so groß, wir verschmähen ihn zu machen, wenn er
nicht direkt an das ideale Ziel führt. Einen Fortschritt erblicken wir unsrer¬
seits schon in der vielseitigen Teilnahme an der Diskussion. Sie bekundet
doch wenigstens Anteil an dem Ergehen der Muttersprache, die mau sonst gleich-
giltig jeder Mißhandlung preisgab. Und dieses erfreuliche Interesse an dem
Gegenstande ermutigt uus, eine Seite derselben zu berühren, welche gewöhnlich
unbeachtet bleibt, während jede Regelung der Rechtschreibung, werde sie vou
welcher Autorität auch immer durchgesetzt, doch Stückwerk sein müßte, wenn sie
nicht die Schreibung der Fremdwörter mit in Betracht zöge.

Daß diese Frage überhaupt existirt, danken wir auch nnr jener Pedanterie,
welche uns so schwer zu einheitlicher Schreibung des Deutschen gelangen läßt.
Jedes andre Volk macht mit den einer fremden Sprache entlehnten Wörtern
wenig Federlesens; es spricht sie aus, wie sie ihm in den Mund passen und
schreibt sie nach der Aussprache. Wir dagegen setzen einen Stolz darein, die
Nationalität jedes solchen Einwanderers, sei er Franzose oder Engländer, Slo¬
wake oder Hottentotte, gewissenhaft zu konserviren — wir, die berüchtigten Ger-
rncinisatoren. Im Gebrauche von Fremdwörtern gehen wir jetzt im Durchschnitt
verständig zu Werke/') wir halten uus gleich fern von dem einstige» geckenhaften
Kauderwälsch wie von pedantischen Purismus. Fast jedermann ist darauf be¬
dacht, entbehrliche Fremdwörter, die sich in unsere Sprache eingeschlichen haben,
auszumerzen, verkennt aber nicht, daß in der That die Entbehrlichkeit feststehen
muß. Gesetze lassen sich dafür nicht geben, zahllose Fremdwörter haben sich



"°) Wirklich? Uns scheint es im Gegenteil, als ob die Fremdwörterseuche — in der
Tagesp D. Red. resse wenigstens — mit jedem Tage schlimmer würde.
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[0607] Zur Rechtschreibung der Fremdwörter. bh andlungen über Orthographie sind an der Tagesordnung. Auch die Grenzboten haben in letzter Zeit schätzbare Beiträge zu der Streitfrage gebracht. Daß wir von einer Einigung noch immer sehr weit entfernt sind, ist nicht zu leugnen, allein man darf wohl Zweifel hegen, ob eine solche jemals werde erzielt werden. Eine so wenig disziplinirte, so voll Schulmeistergeist und Rechthaberei steckende Nation wie die deutsche würde sich uicht einmal fügen, wenn sie eine einzige Akademie hätte und diese ein Normalwörterbuch aufstellen wollte; in jedem Winkel würde ein Pedant seinen Querkopf aufsetzen, und vielleicht erschiene die Verteidigung der unveräußerlichen Schreibfreiheit als ein neuer Punkt in dem Programm der oppositionellen Parteien. Dem Besseren, welches der sprich¬ wörtliche Feind des Guten ist, tritt bei uus immer uoch das Beste in den Weg: wäre der Fortschritt uoch so groß, wir verschmähen ihn zu machen, wenn er nicht direkt an das ideale Ziel führt. Einen Fortschritt erblicken wir unsrer¬ seits schon in der vielseitigen Teilnahme an der Diskussion. Sie bekundet doch wenigstens Anteil an dem Ergehen der Muttersprache, die mau sonst gleich- giltig jeder Mißhandlung preisgab. Und dieses erfreuliche Interesse an dem Gegenstande ermutigt uus, eine Seite derselben zu berühren, welche gewöhnlich unbeachtet bleibt, während jede Regelung der Rechtschreibung, werde sie vou welcher Autorität auch immer durchgesetzt, doch Stückwerk sein müßte, wenn sie nicht die Schreibung der Fremdwörter mit in Betracht zöge. Daß diese Frage überhaupt existirt, danken wir auch nnr jener Pedanterie, welche uns so schwer zu einheitlicher Schreibung des Deutschen gelangen läßt. Jedes andre Volk macht mit den einer fremden Sprache entlehnten Wörtern wenig Federlesens; es spricht sie aus, wie sie ihm in den Mund passen und schreibt sie nach der Aussprache. Wir dagegen setzen einen Stolz darein, die Nationalität jedes solchen Einwanderers, sei er Franzose oder Engländer, Slo¬ wake oder Hottentotte, gewissenhaft zu konserviren — wir, die berüchtigten Ger- rncinisatoren. Im Gebrauche von Fremdwörtern gehen wir jetzt im Durchschnitt verständig zu Werke/') wir halten uus gleich fern von dem einstige» geckenhaften Kauderwälsch wie von pedantischen Purismus. Fast jedermann ist darauf be¬ dacht, entbehrliche Fremdwörter, die sich in unsere Sprache eingeschlichen haben, auszumerzen, verkennt aber nicht, daß in der That die Entbehrlichkeit feststehen muß. Gesetze lassen sich dafür nicht geben, zahllose Fremdwörter haben sich "°) Wirklich? Uns scheint es im Gegenteil, als ob die Fremdwörterseuche — in der Tagesp D. Red. resse wenigstens — mit jedem Tage schlimmer würde.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/607>, abgerufen am 24.08.2024.