Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Ägypten und die heutigen Ägypter.
2.

l
e Stellung und Macht des Chedive bericht der Pforte gegenüber
auf einer Anzahl von Fermanen, welche nnter Ismail Pascha er¬
gingen und nicht wie diejenigen, die vor ihm die teilweise Unab¬
hängigkeit Ägyptens zugestanden hatten, durch Waffengewalt, son¬
dern durch große Geldspenden erlangt wurden. Mit solchen Opfern
vermochte Ismail 1863 die Pforte zu einer Abänderung der Thronfolgeordnuug,
durch welche seiue bisher zunächst erbberechtigten Brüder ihres Rechtes verlustig
gingen und sein Sohn Mehemed Tewfik Thronfolger wurde. Ebenfalls dnrch
reiche Geldgeschenke erwarb er sich 1.867 eine Rangerhöhung, indem bestimmt
wurde, daß er nicht mehr wie seine Vorgänger den Titel eines Wali (Statthalter),
sondern den eines Chedive (Vizekönigs) führen solle. Zu gleicher Zeit wurden
ihm verschiedene wichtige Privilegien verliehen. 1869, wo Ismail starke Gelüste
nach voller Unabhängigkeit verriet, wurden ihm diese Rechte suspendirt und der
Chedive zum Gehorsam und zur Reduktion seines Heeres sowie zur Auslieferung
seiner Panzerschiffe bei Vermeidung der Absetzung aufgefordert. Als er darauf
nach mehrjährigem Zögern und Laviren nachgab und persönlich in Konstanti-
nopel erschien, um dem so gewonnenen guten Willen des Sultans mit der
Spende von einer Million Pfund Sterling nachzuhelfen, erhielt er im Juli 1873
einen Fernau, der ihm nicht nnr sämmtliche Privilegien von 1867 wiedererteilte,
sondern dieselben beträchtlich erweiterte, sodaß er von nun an in innern An¬
gelegenheiten fast vollständig souverän und nach anßen hin nur in einigen Be¬
ziehungen beschränkt war. In jenem Aktenstücke wird die direkte Erfolge nach
dem Prinzip der Erstgeburt und der Linearsneeessivn aufrecht erhalten. Ist der
Nachfolger des Chedive minderjährig, so kann letzterer testamentarisch einen Vor¬
mund bestellen, den die Pforte ans eine bloße Anzeige hin anerkennt. Ist keine
solche Vorsorge getroffen, so treten die Minister beim Ableben des VizekönigS
mit dem Oberbefehlshaber des ägyptischen Heeres zu einem Rate zusammen, der
einen Vormund wählt, welcher in Konstantinopel zu bestätige,, ist. Die Gro߬
jährigkeit des Mündels desselben tritt mit dessen achtzehnten Lebensjahre ein,
und es erfolgt dann sofort die Ausfertigung des Bestallungsdiplvms des neuen
Chedive Vonseiten der Pforte. Ferner erhielt Ismail für sich und seine Nach¬
folger dnrch diesen Fernau folgende Rechte. Er sollte in Sachen der Ver¬
waltung und der Justiz völlig unabhängig vom Sultan sein, ohne vorgängige
Bewilligung desselben Verträge mit fremden Staaten schließen und zu diesem


Ägypten und die heutigen Ägypter.
2.

l
e Stellung und Macht des Chedive bericht der Pforte gegenüber
auf einer Anzahl von Fermanen, welche nnter Ismail Pascha er¬
gingen und nicht wie diejenigen, die vor ihm die teilweise Unab¬
hängigkeit Ägyptens zugestanden hatten, durch Waffengewalt, son¬
dern durch große Geldspenden erlangt wurden. Mit solchen Opfern
vermochte Ismail 1863 die Pforte zu einer Abänderung der Thronfolgeordnuug,
durch welche seiue bisher zunächst erbberechtigten Brüder ihres Rechtes verlustig
gingen und sein Sohn Mehemed Tewfik Thronfolger wurde. Ebenfalls dnrch
reiche Geldgeschenke erwarb er sich 1.867 eine Rangerhöhung, indem bestimmt
wurde, daß er nicht mehr wie seine Vorgänger den Titel eines Wali (Statthalter),
sondern den eines Chedive (Vizekönigs) führen solle. Zu gleicher Zeit wurden
ihm verschiedene wichtige Privilegien verliehen. 1869, wo Ismail starke Gelüste
nach voller Unabhängigkeit verriet, wurden ihm diese Rechte suspendirt und der
Chedive zum Gehorsam und zur Reduktion seines Heeres sowie zur Auslieferung
seiner Panzerschiffe bei Vermeidung der Absetzung aufgefordert. Als er darauf
nach mehrjährigem Zögern und Laviren nachgab und persönlich in Konstanti-
nopel erschien, um dem so gewonnenen guten Willen des Sultans mit der
Spende von einer Million Pfund Sterling nachzuhelfen, erhielt er im Juli 1873
einen Fernau, der ihm nicht nnr sämmtliche Privilegien von 1867 wiedererteilte,
sondern dieselben beträchtlich erweiterte, sodaß er von nun an in innern An¬
gelegenheiten fast vollständig souverän und nach anßen hin nur in einigen Be¬
ziehungen beschränkt war. In jenem Aktenstücke wird die direkte Erfolge nach
dem Prinzip der Erstgeburt und der Linearsneeessivn aufrecht erhalten. Ist der
Nachfolger des Chedive minderjährig, so kann letzterer testamentarisch einen Vor¬
mund bestellen, den die Pforte ans eine bloße Anzeige hin anerkennt. Ist keine
solche Vorsorge getroffen, so treten die Minister beim Ableben des VizekönigS
mit dem Oberbefehlshaber des ägyptischen Heeres zu einem Rate zusammen, der
einen Vormund wählt, welcher in Konstantinopel zu bestätige,, ist. Die Gro߬
jährigkeit des Mündels desselben tritt mit dessen achtzehnten Lebensjahre ein,
und es erfolgt dann sofort die Ausfertigung des Bestallungsdiplvms des neuen
Chedive Vonseiten der Pforte. Ferner erhielt Ismail für sich und seine Nach¬
folger dnrch diesen Fernau folgende Rechte. Er sollte in Sachen der Ver¬
waltung und der Justiz völlig unabhängig vom Sultan sein, ohne vorgängige
Bewilligung desselben Verträge mit fremden Staaten schließen und zu diesem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0158" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193499"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Ägypten und die heutigen Ägypter.<lb/>
2. </head><lb/>
          <p xml:id="ID_514" next="#ID_515"> l<lb/>
e Stellung und Macht des Chedive bericht der Pforte gegenüber<lb/>
auf einer Anzahl von Fermanen, welche nnter Ismail Pascha er¬<lb/>
gingen und nicht wie diejenigen, die vor ihm die teilweise Unab¬<lb/>
hängigkeit Ägyptens zugestanden hatten, durch Waffengewalt, son¬<lb/>
dern durch große Geldspenden erlangt wurden. Mit solchen Opfern<lb/>
vermochte Ismail 1863 die Pforte zu einer Abänderung der Thronfolgeordnuug,<lb/>
durch welche seiue bisher zunächst erbberechtigten Brüder ihres Rechtes verlustig<lb/>
gingen und sein Sohn Mehemed Tewfik Thronfolger wurde.  Ebenfalls dnrch<lb/>
reiche Geldgeschenke erwarb er sich 1.867 eine Rangerhöhung, indem bestimmt<lb/>
wurde, daß er nicht mehr wie seine Vorgänger den Titel eines Wali (Statthalter),<lb/>
sondern den eines Chedive (Vizekönigs) führen solle. Zu gleicher Zeit wurden<lb/>
ihm verschiedene wichtige Privilegien verliehen. 1869, wo Ismail starke Gelüste<lb/>
nach voller Unabhängigkeit verriet, wurden ihm diese Rechte suspendirt und der<lb/>
Chedive zum Gehorsam und zur Reduktion seines Heeres sowie zur Auslieferung<lb/>
seiner Panzerschiffe bei Vermeidung der Absetzung aufgefordert. Als er darauf<lb/>
nach mehrjährigem Zögern und Laviren nachgab und persönlich in Konstanti-<lb/>
nopel erschien, um dem so gewonnenen guten Willen des Sultans mit der<lb/>
Spende von einer Million Pfund Sterling nachzuhelfen, erhielt er im Juli 1873<lb/>
einen Fernau, der ihm nicht nnr sämmtliche Privilegien von 1867 wiedererteilte,<lb/>
sondern dieselben beträchtlich erweiterte, sodaß er von nun an in innern An¬<lb/>
gelegenheiten fast vollständig souverän und nach anßen hin nur in einigen Be¬<lb/>
ziehungen beschränkt war.  In jenem Aktenstücke wird die direkte Erfolge nach<lb/>
dem Prinzip der Erstgeburt und der Linearsneeessivn aufrecht erhalten. Ist der<lb/>
Nachfolger des Chedive minderjährig, so kann letzterer testamentarisch einen Vor¬<lb/>
mund bestellen, den die Pforte ans eine bloße Anzeige hin anerkennt. Ist keine<lb/>
solche Vorsorge getroffen, so treten die Minister beim Ableben des VizekönigS<lb/>
mit dem Oberbefehlshaber des ägyptischen Heeres zu einem Rate zusammen, der<lb/>
einen Vormund wählt, welcher in Konstantinopel zu bestätige,, ist. Die Gro߬<lb/>
jährigkeit des Mündels desselben tritt mit dessen achtzehnten Lebensjahre ein,<lb/>
und es erfolgt dann sofort die Ausfertigung des Bestallungsdiplvms des neuen<lb/>
Chedive Vonseiten der Pforte.  Ferner erhielt Ismail für sich und seine Nach¬<lb/>
folger dnrch diesen Fernau folgende Rechte.  Er sollte in Sachen der Ver¬<lb/>
waltung und der Justiz völlig unabhängig vom Sultan sein, ohne vorgängige<lb/>
Bewilligung desselben Verträge mit fremden Staaten schließen und zu diesem</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0158] Ägypten und die heutigen Ägypter. 2. l e Stellung und Macht des Chedive bericht der Pforte gegenüber auf einer Anzahl von Fermanen, welche nnter Ismail Pascha er¬ gingen und nicht wie diejenigen, die vor ihm die teilweise Unab¬ hängigkeit Ägyptens zugestanden hatten, durch Waffengewalt, son¬ dern durch große Geldspenden erlangt wurden. Mit solchen Opfern vermochte Ismail 1863 die Pforte zu einer Abänderung der Thronfolgeordnuug, durch welche seiue bisher zunächst erbberechtigten Brüder ihres Rechtes verlustig gingen und sein Sohn Mehemed Tewfik Thronfolger wurde. Ebenfalls dnrch reiche Geldgeschenke erwarb er sich 1.867 eine Rangerhöhung, indem bestimmt wurde, daß er nicht mehr wie seine Vorgänger den Titel eines Wali (Statthalter), sondern den eines Chedive (Vizekönigs) führen solle. Zu gleicher Zeit wurden ihm verschiedene wichtige Privilegien verliehen. 1869, wo Ismail starke Gelüste nach voller Unabhängigkeit verriet, wurden ihm diese Rechte suspendirt und der Chedive zum Gehorsam und zur Reduktion seines Heeres sowie zur Auslieferung seiner Panzerschiffe bei Vermeidung der Absetzung aufgefordert. Als er darauf nach mehrjährigem Zögern und Laviren nachgab und persönlich in Konstanti- nopel erschien, um dem so gewonnenen guten Willen des Sultans mit der Spende von einer Million Pfund Sterling nachzuhelfen, erhielt er im Juli 1873 einen Fernau, der ihm nicht nnr sämmtliche Privilegien von 1867 wiedererteilte, sondern dieselben beträchtlich erweiterte, sodaß er von nun an in innern An¬ gelegenheiten fast vollständig souverän und nach anßen hin nur in einigen Be¬ ziehungen beschränkt war. In jenem Aktenstücke wird die direkte Erfolge nach dem Prinzip der Erstgeburt und der Linearsneeessivn aufrecht erhalten. Ist der Nachfolger des Chedive minderjährig, so kann letzterer testamentarisch einen Vor¬ mund bestellen, den die Pforte ans eine bloße Anzeige hin anerkennt. Ist keine solche Vorsorge getroffen, so treten die Minister beim Ableben des VizekönigS mit dem Oberbefehlshaber des ägyptischen Heeres zu einem Rate zusammen, der einen Vormund wählt, welcher in Konstantinopel zu bestätige,, ist. Die Gro߬ jährigkeit des Mündels desselben tritt mit dessen achtzehnten Lebensjahre ein, und es erfolgt dann sofort die Ausfertigung des Bestallungsdiplvms des neuen Chedive Vonseiten der Pforte. Ferner erhielt Ismail für sich und seine Nach¬ folger dnrch diesen Fernau folgende Rechte. Er sollte in Sachen der Ver¬ waltung und der Justiz völlig unabhängig vom Sultan sein, ohne vorgängige Bewilligung desselben Verträge mit fremden Staaten schließen und zu diesem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/158
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/158>, abgerufen am 02.10.2024.