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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Archäologische Novellen.

cum einmal schlechte Steckenpferde geritten werde" sollen, so können
sie nicht zu Schurf geritten werden -- so läßt bei guter Gelegenheit
Charles Dickens einen seiner Helden (irren wir nicht, im "David
Copperfield") sagen. Wir sind versucht, uns dies Wort angesichts
ganzer neuer Richtungen der jüngsten poetischen Literatur gleichsam
als Trost ins Gedächtniß zu rufen. Es haben sich einige Bestrebungen auf-
gethan, die bestenfalls "schlechte Steckenpferde" sind, und denen wir Ursache
haben, den fleißigsten Gebrauch zu wünschen, damit sie bald abgebraucht er¬
scheinen. Denn Autoren, Verleger und Publicum gleichen zu Zeiten durchaus
trotzigen Knaben, denen sich ihr Spielzeug nicht aus den Händen winden läßt,
bis es zerbrochen und völlig unscheinbar geworden ist; dann wird es von selbst
weggeworfen. Indeß sieht es nicht aus, als ob es schon so weit wäre, und wenn
wir neuerdings wieder einen begabten Dichter, wie es Hermann Lingg ohne
Zweifel ist, auf dem farbenprangeuden, aber dürren Stecken der archäologischen
Erzählung dccherreiten und ein wißbegieriges Publieum mit Byzantinischen
Novellen^) erfreuen sehen, so fällt uns mit Schrecken bei, wieviele Special-
wissenschaften und wie unzählige Specialfvrschungen ihr Contingent zu dieser
poetischen hölzernen Kavallerie noch nicht gestellt haben. Daß wir nächstdem
proper^alische und angelsächsische, ostasiatische und malayische, westgotische und
vandalische, bulgarische und mongolische Romane und Novellen, erhalten werde",
kann kaum einem Zweifel unterliegen. Und an jedesmaligen Auseinandersetzungen
und Verkündigungen, wieviele und wie bedeutsame Resultate der modernen Wissen¬
schaft in die betreffende poetische Schöpfung aufgenommen worden sind, wird
es dem" auch nicht fehlen. Eine leise Ahnung, daß mit solcher wissenschaft¬
lichen Grundlage noch keine Poesie gegeben sei, dämmert freilich dem Publieum
und der befürwortenden Kritik allmählich auf. Aber zur vollen Ueberzeugung,
daß die ganze "Methode" der archäologischen Epik, dies Betonen des Unwesent¬
lichsten, Nebensächlichsten, dies Bevorzugen des bloßen Materials die poetische
Wirkung zerstöre und aufhebe, ist noch weithin.

Der Allsgangspunkt dieser ganzen Richtung ist ein total falscher; an die
Stelle der poetischen und poetisch eiitlvicklnngsfähigen Idee, die immer nur ans
der Seele des Dichters stammen kann, tritt der Vorsatz, ein Compendium wissen¬
schaftlicher Resultate zu geben. Das mag manchem vornehmer dünken als
"bloße belletristische Erfindung und Darstellung," thatsächlich ist es ein künst¬
lerischer Rückschritt der schlimmsten Art. Und zumeist liegt der Verirrung doch



") Byzantinische Novellen von Hermann Lingg. Berlin, Otto Jcinke, 1881.
Archäologische Novellen.

cum einmal schlechte Steckenpferde geritten werde» sollen, so können
sie nicht zu Schurf geritten werden — so läßt bei guter Gelegenheit
Charles Dickens einen seiner Helden (irren wir nicht, im „David
Copperfield") sagen. Wir sind versucht, uns dies Wort angesichts
ganzer neuer Richtungen der jüngsten poetischen Literatur gleichsam
als Trost ins Gedächtniß zu rufen. Es haben sich einige Bestrebungen auf-
gethan, die bestenfalls „schlechte Steckenpferde" sind, und denen wir Ursache
haben, den fleißigsten Gebrauch zu wünschen, damit sie bald abgebraucht er¬
scheinen. Denn Autoren, Verleger und Publicum gleichen zu Zeiten durchaus
trotzigen Knaben, denen sich ihr Spielzeug nicht aus den Händen winden läßt,
bis es zerbrochen und völlig unscheinbar geworden ist; dann wird es von selbst
weggeworfen. Indeß sieht es nicht aus, als ob es schon so weit wäre, und wenn
wir neuerdings wieder einen begabten Dichter, wie es Hermann Lingg ohne
Zweifel ist, auf dem farbenprangeuden, aber dürren Stecken der archäologischen
Erzählung dccherreiten und ein wißbegieriges Publieum mit Byzantinischen
Novellen^) erfreuen sehen, so fällt uns mit Schrecken bei, wieviele Special-
wissenschaften und wie unzählige Specialfvrschungen ihr Contingent zu dieser
poetischen hölzernen Kavallerie noch nicht gestellt haben. Daß wir nächstdem
proper^alische und angelsächsische, ostasiatische und malayische, westgotische und
vandalische, bulgarische und mongolische Romane und Novellen, erhalten werde»,
kann kaum einem Zweifel unterliegen. Und an jedesmaligen Auseinandersetzungen
und Verkündigungen, wieviele und wie bedeutsame Resultate der modernen Wissen¬
schaft in die betreffende poetische Schöpfung aufgenommen worden sind, wird
es dem» auch nicht fehlen. Eine leise Ahnung, daß mit solcher wissenschaft¬
lichen Grundlage noch keine Poesie gegeben sei, dämmert freilich dem Publieum
und der befürwortenden Kritik allmählich auf. Aber zur vollen Ueberzeugung,
daß die ganze „Methode" der archäologischen Epik, dies Betonen des Unwesent¬
lichsten, Nebensächlichsten, dies Bevorzugen des bloßen Materials die poetische
Wirkung zerstöre und aufhebe, ist noch weithin.

Der Allsgangspunkt dieser ganzen Richtung ist ein total falscher; an die
Stelle der poetischen und poetisch eiitlvicklnngsfähigen Idee, die immer nur ans
der Seele des Dichters stammen kann, tritt der Vorsatz, ein Compendium wissen¬
schaftlicher Resultate zu geben. Das mag manchem vornehmer dünken als
„bloße belletristische Erfindung und Darstellung," thatsächlich ist es ein künst¬
lerischer Rückschritt der schlimmsten Art. Und zumeist liegt der Verirrung doch



") Byzantinische Novellen von Hermann Lingg. Berlin, Otto Jcinke, 1881.
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[0047] Archäologische Novellen. cum einmal schlechte Steckenpferde geritten werde» sollen, so können sie nicht zu Schurf geritten werden — so läßt bei guter Gelegenheit Charles Dickens einen seiner Helden (irren wir nicht, im „David Copperfield") sagen. Wir sind versucht, uns dies Wort angesichts ganzer neuer Richtungen der jüngsten poetischen Literatur gleichsam als Trost ins Gedächtniß zu rufen. Es haben sich einige Bestrebungen auf- gethan, die bestenfalls „schlechte Steckenpferde" sind, und denen wir Ursache haben, den fleißigsten Gebrauch zu wünschen, damit sie bald abgebraucht er¬ scheinen. Denn Autoren, Verleger und Publicum gleichen zu Zeiten durchaus trotzigen Knaben, denen sich ihr Spielzeug nicht aus den Händen winden läßt, bis es zerbrochen und völlig unscheinbar geworden ist; dann wird es von selbst weggeworfen. Indeß sieht es nicht aus, als ob es schon so weit wäre, und wenn wir neuerdings wieder einen begabten Dichter, wie es Hermann Lingg ohne Zweifel ist, auf dem farbenprangeuden, aber dürren Stecken der archäologischen Erzählung dccherreiten und ein wißbegieriges Publieum mit Byzantinischen Novellen^) erfreuen sehen, so fällt uns mit Schrecken bei, wieviele Special- wissenschaften und wie unzählige Specialfvrschungen ihr Contingent zu dieser poetischen hölzernen Kavallerie noch nicht gestellt haben. Daß wir nächstdem proper^alische und angelsächsische, ostasiatische und malayische, westgotische und vandalische, bulgarische und mongolische Romane und Novellen, erhalten werde», kann kaum einem Zweifel unterliegen. Und an jedesmaligen Auseinandersetzungen und Verkündigungen, wieviele und wie bedeutsame Resultate der modernen Wissen¬ schaft in die betreffende poetische Schöpfung aufgenommen worden sind, wird es dem» auch nicht fehlen. Eine leise Ahnung, daß mit solcher wissenschaft¬ lichen Grundlage noch keine Poesie gegeben sei, dämmert freilich dem Publieum und der befürwortenden Kritik allmählich auf. Aber zur vollen Ueberzeugung, daß die ganze „Methode" der archäologischen Epik, dies Betonen des Unwesent¬ lichsten, Nebensächlichsten, dies Bevorzugen des bloßen Materials die poetische Wirkung zerstöre und aufhebe, ist noch weithin. Der Allsgangspunkt dieser ganzen Richtung ist ein total falscher; an die Stelle der poetischen und poetisch eiitlvicklnngsfähigen Idee, die immer nur ans der Seele des Dichters stammen kann, tritt der Vorsatz, ein Compendium wissen¬ schaftlicher Resultate zu geben. Das mag manchem vornehmer dünken als „bloße belletristische Erfindung und Darstellung," thatsächlich ist es ein künst¬ lerischer Rückschritt der schlimmsten Art. Und zumeist liegt der Verirrung doch ") Byzantinische Novellen von Hermann Lingg. Berlin, Otto Jcinke, 1881.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/47>, abgerufen am 24.12.2024.