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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Zur Altenburger ZVcchl,

forderungeu stellen zu müssen glauben, und diesen Anforderungen gegenüber
die Weltgeschichte Rankes weder ihrem ganzen Plane nach noch in der Be¬
handlung der einzelnen Partien uns die Anerkennung zu verdienen scheint, die
wir ihr schon um des hochverdienten Autors willen gern zollen möchten.




Zur Altenburger Wahl.

le bekannt, ist in Altenburg an Stelle des freiconservativen Reichs¬
tagsabgeordneten Findeisen der Fortschrittler Kämpfer ge¬
wählt worden, und diese Wahl hat mit Recht allgemeines Auf¬
sehen erregt. Wenn aber auch der Fortschrittler seinen Gegner
mit 3000 Stimmen geschlagen hat, so beweist das noch lange
nicht, was Fernerstehende daraus zu schließen geneigt sein könnten, daß die Be¬
völkerung Altenburgs fortschrittlich gesinnt sei. Zwar werden die Organe dieser
Partei viel gelesen, aber Gesinnungsgenossen von Eugen Richter sind wohl kaum
der vierte Theil von denen, welche Kämpfer gewählt haben. In einem Lande,
wo die Bevölkerung an ihrem Fürstenhause hängt, wo die günstigsten wirth¬
schaftlichen Verhältnisse existiren, wo die niedrigsten Steuern, die irgend ein Staat
in Deutschland hat, soeben für die nächsten drei Jahre noch herabgesetzt werden
konnten, wo ein wohlhabender, zum größern Theil reicher Bauernstand fast zwei
Drittel der Bevölkerung ausmacht, wo eine humane Regierung sich in seltener
Eintracht mit der Landesvertretung befindet, wo das Budget fast ohne Debatte
in wenigen Sitzungen erledigt wird und die Regierungseommissare erklären
können, die Regierung brauche gar nicht so viel Geld, als ihr die Landschaft
zu verwilligen bereit ist -- daß dort der Vertreter einer Partei gewählt wird,
die aus der Bekämpfung der Regierung nicht bloß einen Sport, sondern ein
Gewerbe macht, die zufrieden ist, wenn sie ihren "Rechtsstaat" aufbaut, wenn
auch die Bevölkerung dabei zu Grunde geht, erscheint allerdings äußerst seltsam
und läßt sich nur erklären, wenn man annimmt, daß die Wähler mit der un¬
zufriedenen Fortschrittspartei sympathisiren, weil sie ebenfalls unzufrieden sind.
Nur hat die Unzufriedenheit ganz andere Gründe; sie bezieht sich lediglich auf
das politische Leben, oder sagen wir lieber auf die Parteiverhältnisse.

Die Partei, welche bisher die Wahlen zu machen pflegte und welche lange
allein ein Preßorgan hatte in der "Altenburger Zeitung", war die national¬
liberale. Zu ihr gehörte der größere Theil der Beamten; die Bürgermeister
in den meisten Städten, die Amtsschulzen auf dem Lande sagten einfach: wir
wählen den und den, und er wurde gewählt. Denn natürlich waren dies nach


Grenzboten I. 1881. 7
Zur Altenburger ZVcchl,

forderungeu stellen zu müssen glauben, und diesen Anforderungen gegenüber
die Weltgeschichte Rankes weder ihrem ganzen Plane nach noch in der Be¬
handlung der einzelnen Partien uns die Anerkennung zu verdienen scheint, die
wir ihr schon um des hochverdienten Autors willen gern zollen möchten.




Zur Altenburger Wahl.

le bekannt, ist in Altenburg an Stelle des freiconservativen Reichs¬
tagsabgeordneten Findeisen der Fortschrittler Kämpfer ge¬
wählt worden, und diese Wahl hat mit Recht allgemeines Auf¬
sehen erregt. Wenn aber auch der Fortschrittler seinen Gegner
mit 3000 Stimmen geschlagen hat, so beweist das noch lange
nicht, was Fernerstehende daraus zu schließen geneigt sein könnten, daß die Be¬
völkerung Altenburgs fortschrittlich gesinnt sei. Zwar werden die Organe dieser
Partei viel gelesen, aber Gesinnungsgenossen von Eugen Richter sind wohl kaum
der vierte Theil von denen, welche Kämpfer gewählt haben. In einem Lande,
wo die Bevölkerung an ihrem Fürstenhause hängt, wo die günstigsten wirth¬
schaftlichen Verhältnisse existiren, wo die niedrigsten Steuern, die irgend ein Staat
in Deutschland hat, soeben für die nächsten drei Jahre noch herabgesetzt werden
konnten, wo ein wohlhabender, zum größern Theil reicher Bauernstand fast zwei
Drittel der Bevölkerung ausmacht, wo eine humane Regierung sich in seltener
Eintracht mit der Landesvertretung befindet, wo das Budget fast ohne Debatte
in wenigen Sitzungen erledigt wird und die Regierungseommissare erklären
können, die Regierung brauche gar nicht so viel Geld, als ihr die Landschaft
zu verwilligen bereit ist — daß dort der Vertreter einer Partei gewählt wird,
die aus der Bekämpfung der Regierung nicht bloß einen Sport, sondern ein
Gewerbe macht, die zufrieden ist, wenn sie ihren „Rechtsstaat" aufbaut, wenn
auch die Bevölkerung dabei zu Grunde geht, erscheint allerdings äußerst seltsam
und läßt sich nur erklären, wenn man annimmt, daß die Wähler mit der un¬
zufriedenen Fortschrittspartei sympathisiren, weil sie ebenfalls unzufrieden sind.
Nur hat die Unzufriedenheit ganz andere Gründe; sie bezieht sich lediglich auf
das politische Leben, oder sagen wir lieber auf die Parteiverhältnisse.

Die Partei, welche bisher die Wahlen zu machen pflegte und welche lange
allein ein Preßorgan hatte in der „Altenburger Zeitung", war die national¬
liberale. Zu ihr gehörte der größere Theil der Beamten; die Bürgermeister
in den meisten Städten, die Amtsschulzen auf dem Lande sagten einfach: wir
wählen den und den, und er wurde gewählt. Denn natürlich waren dies nach


Grenzboten I. 1881. 7
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[0057] Zur Altenburger ZVcchl, forderungeu stellen zu müssen glauben, und diesen Anforderungen gegenüber die Weltgeschichte Rankes weder ihrem ganzen Plane nach noch in der Be¬ handlung der einzelnen Partien uns die Anerkennung zu verdienen scheint, die wir ihr schon um des hochverdienten Autors willen gern zollen möchten. Zur Altenburger Wahl. le bekannt, ist in Altenburg an Stelle des freiconservativen Reichs¬ tagsabgeordneten Findeisen der Fortschrittler Kämpfer ge¬ wählt worden, und diese Wahl hat mit Recht allgemeines Auf¬ sehen erregt. Wenn aber auch der Fortschrittler seinen Gegner mit 3000 Stimmen geschlagen hat, so beweist das noch lange nicht, was Fernerstehende daraus zu schließen geneigt sein könnten, daß die Be¬ völkerung Altenburgs fortschrittlich gesinnt sei. Zwar werden die Organe dieser Partei viel gelesen, aber Gesinnungsgenossen von Eugen Richter sind wohl kaum der vierte Theil von denen, welche Kämpfer gewählt haben. In einem Lande, wo die Bevölkerung an ihrem Fürstenhause hängt, wo die günstigsten wirth¬ schaftlichen Verhältnisse existiren, wo die niedrigsten Steuern, die irgend ein Staat in Deutschland hat, soeben für die nächsten drei Jahre noch herabgesetzt werden konnten, wo ein wohlhabender, zum größern Theil reicher Bauernstand fast zwei Drittel der Bevölkerung ausmacht, wo eine humane Regierung sich in seltener Eintracht mit der Landesvertretung befindet, wo das Budget fast ohne Debatte in wenigen Sitzungen erledigt wird und die Regierungseommissare erklären können, die Regierung brauche gar nicht so viel Geld, als ihr die Landschaft zu verwilligen bereit ist — daß dort der Vertreter einer Partei gewählt wird, die aus der Bekämpfung der Regierung nicht bloß einen Sport, sondern ein Gewerbe macht, die zufrieden ist, wenn sie ihren „Rechtsstaat" aufbaut, wenn auch die Bevölkerung dabei zu Grunde geht, erscheint allerdings äußerst seltsam und läßt sich nur erklären, wenn man annimmt, daß die Wähler mit der un¬ zufriedenen Fortschrittspartei sympathisiren, weil sie ebenfalls unzufrieden sind. Nur hat die Unzufriedenheit ganz andere Gründe; sie bezieht sich lediglich auf das politische Leben, oder sagen wir lieber auf die Parteiverhältnisse. Die Partei, welche bisher die Wahlen zu machen pflegte und welche lange allein ein Preßorgan hatte in der „Altenburger Zeitung", war die national¬ liberale. Zu ihr gehörte der größere Theil der Beamten; die Bürgermeister in den meisten Städten, die Amtsschulzen auf dem Lande sagten einfach: wir wählen den und den, und er wurde gewählt. Denn natürlich waren dies nach Grenzboten I. 1881. 7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/57>, abgerufen am 26.12.2024.