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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Literatur,

die unserm Volke, welches init seinen Shi"Pathicn von den Hohe"Sta"fer bis in
die Zeit der Reformation einen Sprung z" machen pflegt, immer fremd bleiben
wird. Im Kreise aller ernstern Freunde der deutschen Geschichte wird es hoffentlich
die verdiente Beacht""g finden.


Studien zur Goethe-Philologie von I. Minor und A, Sauer. Wien,
C. Konegen, 1380.

Daß der neuerdings öfter zu hörende Ausdruck Goethephilologie keine leere
Redensart ist, sondern daß damit voller Ernst gemacht wird, dafür ist das vorliegende
Buch ein gewichtiges Zeugniß. Und man darf sich dessen freuen. Wer freilich
die Goethestudien von Minor und Sauer flüchtig durchblättern wollte, der würde
sich bekreuzigen über die vivisectorische Thätigkeit, die hier an den Dichtungen des
jungen Goethe, seinen Leipziger und Straßburger Liedern und seinem "Götz",
verübt wird, und wenn er bloß die Capitelüberschriften und etwa noch die AufaugS-
uud Schlußzeilen jedes Capitels läse, so könnte er Wohl auf die Frage kommen:
Was will das Buch? Sollen das etwa neue Entdeckungen sein, daß Goethes Jugend¬
lyrik im Boden der Anakreontik wurzelt, daß Goethe in Straßburg von Herder
eine Fülle von Anregungen empfing, daß die zweite Bearbeitung des "Götz" von 1773
auf jeder Zeile Veränderungen und Verbesserungen der ersten Niederschrift von
1771 zeigt, daß das Studium Shakespeares einen sichtlichen Einfluß ans den
"Götz" geübt hat? Bedarf es für diese allbekannten Thatsachen noch eines Beweises
von nahezu dreihundert Seiten?

Ganz anders wird derjenige urtheilen, der sich die Mühe nimmt, den Ver¬
fassern geduldig in ihre Beweisführung zu folgen. Zum ersten Male wird uns-
hier ein umfängliches, ans streng philologischen Wege gewonnenes Beweismaterial
für jene Sätze vorgelegt. Schritt für Schritt wird z. B. in der ältesten Lyrik
Goethes an den einzelnen Motiven und Vorstellungen, vor allem auch am Wortschatz
nachgewiesen, wie Goethe bis zu seiner Berührung mit Herder völlig in den Banden
der anakreontischen Poesie ^ I-l Hagedorn, Weiße, Gleim, Jacob! n. n. befangen war.
Mit minutiösester Sorgfalt wird in der Vergleichung der beiden Bearbeitungen des
"Götz" -- dem umfänglichsten und interessantesten Theile des Buches -- gezeigt,
welche Principien und Motive den Dichter bei seiner Umgestaltung geleitet haben,
und gruppenweise an den einzelnen Aenderungen nachgewiesen, wie sie stets ent¬
weder eine größere Einheit und Concentration oder eine bessere Motivirung der
Handlung, eine deutlichere Charakteristik der Personen, einen engern Anschluß an
die Quelle (Götzens Selbstbiographie) und damit ein treueres historisches Colorit,
eine schärfere Ausprägung der politischen Tendenz oder endlich einen maßvoller"
sprachlichen Ausdruck bezwecken. Insbesondre dem letztem sind auch hier wieder
umfängliche Untersnchnnge "gewidmet, die einzelnen Abänderungen nnter bestimmte
Gruppen gebracht und speciell der Einfluß Shakespeares in der ersten Bearbeitung
und die Abschwächung übertriebener Shakespeariauismen in der zweiten zum Gegen¬
stande eiues besondern Capitels gemacht. Kein Zweifel, daß die Verfasser sich mit
diesen "Studien" ein großes Verdienst erworben haben: sie habe" uus zum klaren
Bewußtsein gebracht, was bisher doch mehr oder weniger nnr Sache des Ge¬
fühls war.

Hiermit ist zugleich die Frage beantwortet, die vielleicht auch mancher aus¬
werfen wird, wenn er einen Blick in das Buch thut, und die wir, offen gestanden,
uns anfangs selber vorlegten: War eS nöthig, dieses ganze Beweismaterial zu
veröffentlichen? Konnte das nicht getrost in der Bibliothek des Schercrscheu


Literatur,

die unserm Volke, welches init seinen Shi»Pathicn von den Hohe»Sta»fer bis in
die Zeit der Reformation einen Sprung z» machen pflegt, immer fremd bleiben
wird. Im Kreise aller ernstern Freunde der deutschen Geschichte wird es hoffentlich
die verdiente Beacht»»g finden.


Studien zur Goethe-Philologie von I. Minor und A, Sauer. Wien,
C. Konegen, 1380.

Daß der neuerdings öfter zu hörende Ausdruck Goethephilologie keine leere
Redensart ist, sondern daß damit voller Ernst gemacht wird, dafür ist das vorliegende
Buch ein gewichtiges Zeugniß. Und man darf sich dessen freuen. Wer freilich
die Goethestudien von Minor und Sauer flüchtig durchblättern wollte, der würde
sich bekreuzigen über die vivisectorische Thätigkeit, die hier an den Dichtungen des
jungen Goethe, seinen Leipziger und Straßburger Liedern und seinem „Götz",
verübt wird, und wenn er bloß die Capitelüberschriften und etwa noch die AufaugS-
uud Schlußzeilen jedes Capitels läse, so könnte er Wohl auf die Frage kommen:
Was will das Buch? Sollen das etwa neue Entdeckungen sein, daß Goethes Jugend¬
lyrik im Boden der Anakreontik wurzelt, daß Goethe in Straßburg von Herder
eine Fülle von Anregungen empfing, daß die zweite Bearbeitung des „Götz" von 1773
auf jeder Zeile Veränderungen und Verbesserungen der ersten Niederschrift von
1771 zeigt, daß das Studium Shakespeares einen sichtlichen Einfluß ans den
„Götz" geübt hat? Bedarf es für diese allbekannten Thatsachen noch eines Beweises
von nahezu dreihundert Seiten?

Ganz anders wird derjenige urtheilen, der sich die Mühe nimmt, den Ver¬
fassern geduldig in ihre Beweisführung zu folgen. Zum ersten Male wird uns-
hier ein umfängliches, ans streng philologischen Wege gewonnenes Beweismaterial
für jene Sätze vorgelegt. Schritt für Schritt wird z. B. in der ältesten Lyrik
Goethes an den einzelnen Motiven und Vorstellungen, vor allem auch am Wortschatz
nachgewiesen, wie Goethe bis zu seiner Berührung mit Herder völlig in den Banden
der anakreontischen Poesie ^ I-l Hagedorn, Weiße, Gleim, Jacob! n. n. befangen war.
Mit minutiösester Sorgfalt wird in der Vergleichung der beiden Bearbeitungen des
„Götz" — dem umfänglichsten und interessantesten Theile des Buches — gezeigt,
welche Principien und Motive den Dichter bei seiner Umgestaltung geleitet haben,
und gruppenweise an den einzelnen Aenderungen nachgewiesen, wie sie stets ent¬
weder eine größere Einheit und Concentration oder eine bessere Motivirung der
Handlung, eine deutlichere Charakteristik der Personen, einen engern Anschluß an
die Quelle (Götzens Selbstbiographie) und damit ein treueres historisches Colorit,
eine schärfere Ausprägung der politischen Tendenz oder endlich einen maßvoller»
sprachlichen Ausdruck bezwecken. Insbesondre dem letztem sind auch hier wieder
umfängliche Untersnchnnge »gewidmet, die einzelnen Abänderungen nnter bestimmte
Gruppen gebracht und speciell der Einfluß Shakespeares in der ersten Bearbeitung
und die Abschwächung übertriebener Shakespeariauismen in der zweiten zum Gegen¬
stande eiues besondern Capitels gemacht. Kein Zweifel, daß die Verfasser sich mit
diesen „Studien" ein großes Verdienst erworben haben: sie habe» uus zum klaren
Bewußtsein gebracht, was bisher doch mehr oder weniger nnr Sache des Ge¬
fühls war.

Hiermit ist zugleich die Frage beantwortet, die vielleicht auch mancher aus¬
werfen wird, wenn er einen Blick in das Buch thut, und die wir, offen gestanden,
uns anfangs selber vorlegten: War eS nöthig, dieses ganze Beweismaterial zu
veröffentlichen? Konnte das nicht getrost in der Bibliothek des Schercrscheu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/286>, abgerufen am 26.12.2024.