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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Die destructiven Elemente im Staate.
Von Cuno Stommel. (Fortsetzung^

le Veranlassung zum Auftreten destructiver Ideen in Ru߬
land ist eine völlig andere als in Italien. In Italien war
es die Schwäche des Staats, welche die Gesetzlosigkeit großzog,
in Rußland seine alles erdrückende Uebermacht. Dort Be¬
amtenohnmacht, hier Beamtenallmacht. Das Recht des ein¬
zelnen, wider das Unrecht aufzustehen und vom Staate gesetzliche Abhilfe zu
verlangen, scheiterte in Italien an dem Unvermögen des Staats, in Rußland
an dem bösen Willen eines verdorbenen Beamtenthums, welches mächtiger war
als das Gesetz des Staates selbst. Der politischen Zerissenheit des italienischen
Reichs stand die "Einheit des heiligen Rußlands," der Bosheit und dem egoi¬
stischen Sonderinteresse der italienischen Fürsten und Republiken, welche an
alles andere als an große staatliche Aufgaben und an Fürsorge für ihre Un¬
terthanen dachten, stand in Rußland seit Peter dem Großen eine feste, einheit¬
liche, fürsorgliche Staatsregierung gegenüber, welche im großen und ganzen
vom besten Willen, ihre Herrscherpflichten zu erfüllen, beseelt war. Trotzdem
sind die im Nihilismus zu Tage getretenen destructiven Tendenzen zum Theil
zurückzuführen auf in gutem Glauben durchgeführte irrige Maßregeln der rus¬
sischen Regierung, welche die Idee des Rechts verletzten. Die nikolaische Staats-
doctrin degradirte den Unterthan zur Maschine, für welche der Staat handelt
und denkt. Gegen diesen Irrthum revoltirte die sittliche Vernunft. Aber es
wäre schwerlich zu so traurigen Ausbrüchen des verletzten Rechtsgefühls ge¬
kommen, wenn nicht die Irrthümer der Staatsleitung durch ein Beamtenheer
zur Ausführung gekommen wären, welches das Unrecht und die Willkür in die
gehässigsten Formen brachte. Rußland giebt uns Gelegenheit durch Beispiele
zu zeigen, wie in einem schlechten Beamtenthum die gefährlichsten Zündstoffe
destructiver Tendenzen liegen. Bezeichnend ist eine russische Anecdote. Ein Enkel
sagt: "Großpapa, du sagst, der Teufel sei gar schlecht und bös, was ist denn der Teu¬
fel?" -- "Mein Kind, der Teufel ist der oberste aller Tschinowniks (Beamten)."

Die Beamtenwillkür stand unter Nikolaus I. in ihrer höchsten Blüthe und wur¬
zelte in der einseitigen Anwendung des autokratischen und centralistischen
Systems, in der verderblichen Illusion, daß das Volk ein Mechanismus und


Grenzboten I. 1881. 23
Die destructiven Elemente im Staate.
Von Cuno Stommel. (Fortsetzung^

le Veranlassung zum Auftreten destructiver Ideen in Ru߬
land ist eine völlig andere als in Italien. In Italien war
es die Schwäche des Staats, welche die Gesetzlosigkeit großzog,
in Rußland seine alles erdrückende Uebermacht. Dort Be¬
amtenohnmacht, hier Beamtenallmacht. Das Recht des ein¬
zelnen, wider das Unrecht aufzustehen und vom Staate gesetzliche Abhilfe zu
verlangen, scheiterte in Italien an dem Unvermögen des Staats, in Rußland
an dem bösen Willen eines verdorbenen Beamtenthums, welches mächtiger war
als das Gesetz des Staates selbst. Der politischen Zerissenheit des italienischen
Reichs stand die „Einheit des heiligen Rußlands," der Bosheit und dem egoi¬
stischen Sonderinteresse der italienischen Fürsten und Republiken, welche an
alles andere als an große staatliche Aufgaben und an Fürsorge für ihre Un¬
terthanen dachten, stand in Rußland seit Peter dem Großen eine feste, einheit¬
liche, fürsorgliche Staatsregierung gegenüber, welche im großen und ganzen
vom besten Willen, ihre Herrscherpflichten zu erfüllen, beseelt war. Trotzdem
sind die im Nihilismus zu Tage getretenen destructiven Tendenzen zum Theil
zurückzuführen auf in gutem Glauben durchgeführte irrige Maßregeln der rus¬
sischen Regierung, welche die Idee des Rechts verletzten. Die nikolaische Staats-
doctrin degradirte den Unterthan zur Maschine, für welche der Staat handelt
und denkt. Gegen diesen Irrthum revoltirte die sittliche Vernunft. Aber es
wäre schwerlich zu so traurigen Ausbrüchen des verletzten Rechtsgefühls ge¬
kommen, wenn nicht die Irrthümer der Staatsleitung durch ein Beamtenheer
zur Ausführung gekommen wären, welches das Unrecht und die Willkür in die
gehässigsten Formen brachte. Rußland giebt uns Gelegenheit durch Beispiele
zu zeigen, wie in einem schlechten Beamtenthum die gefährlichsten Zündstoffe
destructiver Tendenzen liegen. Bezeichnend ist eine russische Anecdote. Ein Enkel
sagt: „Großpapa, du sagst, der Teufel sei gar schlecht und bös, was ist denn der Teu¬
fel?" — „Mein Kind, der Teufel ist der oberste aller Tschinowniks (Beamten)."

Die Beamtenwillkür stand unter Nikolaus I. in ihrer höchsten Blüthe und wur¬
zelte in der einseitigen Anwendung des autokratischen und centralistischen
Systems, in der verderblichen Illusion, daß das Volk ein Mechanismus und


Grenzboten I. 1881. 23
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[0177] Die destructiven Elemente im Staate. Von Cuno Stommel. (Fortsetzung^ le Veranlassung zum Auftreten destructiver Ideen in Ru߬ land ist eine völlig andere als in Italien. In Italien war es die Schwäche des Staats, welche die Gesetzlosigkeit großzog, in Rußland seine alles erdrückende Uebermacht. Dort Be¬ amtenohnmacht, hier Beamtenallmacht. Das Recht des ein¬ zelnen, wider das Unrecht aufzustehen und vom Staate gesetzliche Abhilfe zu verlangen, scheiterte in Italien an dem Unvermögen des Staats, in Rußland an dem bösen Willen eines verdorbenen Beamtenthums, welches mächtiger war als das Gesetz des Staates selbst. Der politischen Zerissenheit des italienischen Reichs stand die „Einheit des heiligen Rußlands," der Bosheit und dem egoi¬ stischen Sonderinteresse der italienischen Fürsten und Republiken, welche an alles andere als an große staatliche Aufgaben und an Fürsorge für ihre Un¬ terthanen dachten, stand in Rußland seit Peter dem Großen eine feste, einheit¬ liche, fürsorgliche Staatsregierung gegenüber, welche im großen und ganzen vom besten Willen, ihre Herrscherpflichten zu erfüllen, beseelt war. Trotzdem sind die im Nihilismus zu Tage getretenen destructiven Tendenzen zum Theil zurückzuführen auf in gutem Glauben durchgeführte irrige Maßregeln der rus¬ sischen Regierung, welche die Idee des Rechts verletzten. Die nikolaische Staats- doctrin degradirte den Unterthan zur Maschine, für welche der Staat handelt und denkt. Gegen diesen Irrthum revoltirte die sittliche Vernunft. Aber es wäre schwerlich zu so traurigen Ausbrüchen des verletzten Rechtsgefühls ge¬ kommen, wenn nicht die Irrthümer der Staatsleitung durch ein Beamtenheer zur Ausführung gekommen wären, welches das Unrecht und die Willkür in die gehässigsten Formen brachte. Rußland giebt uns Gelegenheit durch Beispiele zu zeigen, wie in einem schlechten Beamtenthum die gefährlichsten Zündstoffe destructiver Tendenzen liegen. Bezeichnend ist eine russische Anecdote. Ein Enkel sagt: „Großpapa, du sagst, der Teufel sei gar schlecht und bös, was ist denn der Teu¬ fel?" — „Mein Kind, der Teufel ist der oberste aller Tschinowniks (Beamten)." Die Beamtenwillkür stand unter Nikolaus I. in ihrer höchsten Blüthe und wur¬ zelte in der einseitigen Anwendung des autokratischen und centralistischen Systems, in der verderblichen Illusion, daß das Volk ein Mechanismus und Grenzboten I. 1881. 23

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/177>, abgerufen am 26.12.2024.