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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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-- man sehe die Abschnitte über den Rieder Vertrag und den Wiener Con-
greß --, an welchen Hellmann, indem er die bairische Politik vertheidigt, eine
unbillige Gereiztheit gegen Stein und gegen Historiker wie Bernhards Pertz,
Treitschke u. a. zur Schau trägt. Abgesehen davon, daß der Verfasser hier in
der Sache nicht Recht hat, hat er auch nicht den richtigen Ton gefunden, den
er sonst durch das ganze Buch bewahrt und der ein durchaus vornehmer ist.




Antinous.

Von Antinous, dem jugendlichen Lieblinge Hadrians, dessen mit lieblicher
Schwermuth überhauchte Gestalt uns vielfach in Marmor überliefert ist, be¬
richten die Alten nur dürftig: "Hadrian verlor seineu geliebten Antinous bei
einer Fahrt auf dem Nil; einige sagen, daß er sich für Hadrian geopfert habe,
andere erzählen von seiner Schönheit und Hadrians sinnlicher Lust, die Grie¬
chen machten ihn mit Hadrians Einwilligung zur Gott, in Aegypten wurden
in seinem Namen Orakel gegeben, als jugendlicher Dionysos gebildet schmückte
er die Gymnasien, Spiele wurden ihm zu Ehren gehalten, auch unter die Sterne
wurde er versetzt." Woher der Zug der sanften Schwermuth in dem jugend¬
lichen Antlitz? Starb er für Hadrian? durch ihn? oder beides? Diese Fragen
zu beantworten, das Räthsel vom Tode des Antinous durch die Geschichte seines
Lebens zu lösen, ist die Aufgabe, die sich ein eben erschienener Roman stellt, der
mit dem Bildnisse des Antinous geschmückt ist.*) Der - augenscheinlich Pseudo¬
nyme -- Verfasser desselben spricht seine Auffassung im Vorwort aus: "Wie
eine gesunde Natur am Umgänge mit einer kranken zu Grunde ging, das ist die
Geschichte des Antinous mit seinem Cäsar."

Ein dankbarer Stoff für den Dichter. Auf der einen Seite die düstere
Gestalt des Kaisers, den uns sein Biograph Spartian als eine Mischung der
seltsamsten Widersprüche schildert, der sinnlich und mäßig, abgehärteter Soldat
und weichlicher Höfling, ernst und lustig, freundlich und würdevoll, ausgelassen
und unentschlossen, tückisch und offen, grausam und milde, kurz in allen Stücken
sich ungleich war; ein Mann, der, von ehrgeiziger Eifersucht auf seinen Vor¬
gänger Trajan geplagt, sich ebenso nicht entschließen konnte, dem Staate durch
Adoption einen tüchtigen Nachfolger zu sichern, der in jeder Kunst und Wissen-



*) Antinous. Historischer Roman aus der römischen Kaiserzeit von George
Taylor. Mit einem Vilduiß des Antinous. Leipzig, S. Hirzel, 1880.
Grenzboten IV. 1"80. 65

— man sehe die Abschnitte über den Rieder Vertrag und den Wiener Con-
greß —, an welchen Hellmann, indem er die bairische Politik vertheidigt, eine
unbillige Gereiztheit gegen Stein und gegen Historiker wie Bernhards Pertz,
Treitschke u. a. zur Schau trägt. Abgesehen davon, daß der Verfasser hier in
der Sache nicht Recht hat, hat er auch nicht den richtigen Ton gefunden, den
er sonst durch das ganze Buch bewahrt und der ein durchaus vornehmer ist.




Antinous.

Von Antinous, dem jugendlichen Lieblinge Hadrians, dessen mit lieblicher
Schwermuth überhauchte Gestalt uns vielfach in Marmor überliefert ist, be¬
richten die Alten nur dürftig: „Hadrian verlor seineu geliebten Antinous bei
einer Fahrt auf dem Nil; einige sagen, daß er sich für Hadrian geopfert habe,
andere erzählen von seiner Schönheit und Hadrians sinnlicher Lust, die Grie¬
chen machten ihn mit Hadrians Einwilligung zur Gott, in Aegypten wurden
in seinem Namen Orakel gegeben, als jugendlicher Dionysos gebildet schmückte
er die Gymnasien, Spiele wurden ihm zu Ehren gehalten, auch unter die Sterne
wurde er versetzt." Woher der Zug der sanften Schwermuth in dem jugend¬
lichen Antlitz? Starb er für Hadrian? durch ihn? oder beides? Diese Fragen
zu beantworten, das Räthsel vom Tode des Antinous durch die Geschichte seines
Lebens zu lösen, ist die Aufgabe, die sich ein eben erschienener Roman stellt, der
mit dem Bildnisse des Antinous geschmückt ist.*) Der - augenscheinlich Pseudo¬
nyme — Verfasser desselben spricht seine Auffassung im Vorwort aus: „Wie
eine gesunde Natur am Umgänge mit einer kranken zu Grunde ging, das ist die
Geschichte des Antinous mit seinem Cäsar."

Ein dankbarer Stoff für den Dichter. Auf der einen Seite die düstere
Gestalt des Kaisers, den uns sein Biograph Spartian als eine Mischung der
seltsamsten Widersprüche schildert, der sinnlich und mäßig, abgehärteter Soldat
und weichlicher Höfling, ernst und lustig, freundlich und würdevoll, ausgelassen
und unentschlossen, tückisch und offen, grausam und milde, kurz in allen Stücken
sich ungleich war; ein Mann, der, von ehrgeiziger Eifersucht auf seinen Vor¬
gänger Trajan geplagt, sich ebenso nicht entschließen konnte, dem Staate durch
Adoption einen tüchtigen Nachfolger zu sichern, der in jeder Kunst und Wissen-



*) Antinous. Historischer Roman aus der römischen Kaiserzeit von George
Taylor. Mit einem Vilduiß des Antinous. Leipzig, S. Hirzel, 1880.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/505>, abgerufen am 27.12.2024.