Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.wußtsein des Einzelnen nicht mehr durch Religion und Staatsleben zu schützen Goethe und Göttling. Von Jahr zu Jahr mehrt sich der Schatz der Goethe-Briefe. In den wußtsein des Einzelnen nicht mehr durch Religion und Staatsleben zu schützen Goethe und Göttling. Von Jahr zu Jahr mehrt sich der Schatz der Goethe-Briefe. In den <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0118" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/147205"/> <p xml:id="ID_322" prev="#ID_321"> wußtsein des Einzelnen nicht mehr durch Religion und Staatsleben zu schützen<lb/> vermochte und den vereinsamten Geist in die Arme der praktischen Philosophie<lb/> warf, — er ist Epikur so gut eigen wie Zeno, während andererseits das Feld<lb/> der Physik und der Erkenntnißlehre anch bei den Stoikern mit materialistischen<lb/> bez. sensualistischen Körnern ziemlich reichlich besät erscheint. Allerdings ist das<lb/> ideelle Element von dem reellen bei den Garteuphilvsvphen einigermaßen in<lb/> Schatten gestellt, aber Epikurs hellenischer, man konnte sagen Goethischer Genius<lb/> hat vielfach — und darin liegt ja die schönste Lebenslust — das Reelle und<lb/> Materielle in die lichten Regionen des Ideellen hinaufgezogen. Daher brauchen<lb/> wir uus uicht zu scheuen, mit Juwelen aus der Krone epikureischer Grundsätze,<lb/> deren Glanz jeder Gebildete schon aus den Horazischen Dichtungen kennt,<lb/> unseren lebensphilosophischen Schatz zu bereichern, ohne uns deswegen die zwei<lb/> Diamanten unseres ebenso einfachen als erhabene« Christenthums rauben zu<lb/> lassen, die zuversichtliche Ueberzeugung von der Unsterblichkeit der Seele und<lb/> den Glauben an einen allleitenden und allliebenden Gott.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> <div n="1"> <head> Goethe und Göttling.</head><lb/> <p xml:id="ID_323" next="#ID_324"> Von Jahr zu Jahr mehrt sich der Schatz der Goethe-Briefe. In den<lb/> meisten Fällen sind es Schreiben an Personen, die nur in vorübergehende Ver¬<lb/> bindung mit dem Dichter gekommen, oder aber eine Nachlese zu den großen,<lb/> veröffentlichten Briefwechseln — die Originale dann in aller Welt zerstreut,<lb/> bisweilen in Autographensammlungen verborgen gehalten und leider nur allzu¬<lb/> oft eifersüchtig bewahrt und gehütet. Der biedere Sammler, wie er im Buche<lb/> steht, denkt kaum jemals an Lessings herrlichen Ausspruch: „Nur diejenigen<lb/> sind mit den Schätzen, die sie unter ihrer Verwahrung haben, zurückhaltend und<lb/> neidisch, die sie selbst nicht zu brauchen wissen." Und so kommt es denn, daß<lb/> uns z. B. noch immer die erste Fassung der „Mitschuldigen", die der junge<lb/> Goethe als Leipziger Student geschrieben, vorenthalten wird, ja daß in so<lb/> manchen neuen Publikationen unserer großen Geistesheroen von den berufensten<lb/> Bearbeitern die Klage erhoben werden muß, daß ihre Bitte um Mittheilung<lb/> dieses oder jenes Schriftstückes abgeschlagen worden, manchmal sogar gänzlich<lb/> unbeantwortet geblieben ist. Hiergegen giebt es nur ein Mittel: offene Nennung<lb/> des Namens solcher Käuze. Zum Glück steht auf der anderen Seite die große<lb/> Zahl der geistesfreien Sammler, die mit ihren Schätzen nicht ängstlich Haus-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0118]
wußtsein des Einzelnen nicht mehr durch Religion und Staatsleben zu schützen
vermochte und den vereinsamten Geist in die Arme der praktischen Philosophie
warf, — er ist Epikur so gut eigen wie Zeno, während andererseits das Feld
der Physik und der Erkenntnißlehre anch bei den Stoikern mit materialistischen
bez. sensualistischen Körnern ziemlich reichlich besät erscheint. Allerdings ist das
ideelle Element von dem reellen bei den Garteuphilvsvphen einigermaßen in
Schatten gestellt, aber Epikurs hellenischer, man konnte sagen Goethischer Genius
hat vielfach — und darin liegt ja die schönste Lebenslust — das Reelle und
Materielle in die lichten Regionen des Ideellen hinaufgezogen. Daher brauchen
wir uus uicht zu scheuen, mit Juwelen aus der Krone epikureischer Grundsätze,
deren Glanz jeder Gebildete schon aus den Horazischen Dichtungen kennt,
unseren lebensphilosophischen Schatz zu bereichern, ohne uns deswegen die zwei
Diamanten unseres ebenso einfachen als erhabene« Christenthums rauben zu
lassen, die zuversichtliche Ueberzeugung von der Unsterblichkeit der Seele und
den Glauben an einen allleitenden und allliebenden Gott.
Goethe und Göttling.
Von Jahr zu Jahr mehrt sich der Schatz der Goethe-Briefe. In den
meisten Fällen sind es Schreiben an Personen, die nur in vorübergehende Ver¬
bindung mit dem Dichter gekommen, oder aber eine Nachlese zu den großen,
veröffentlichten Briefwechseln — die Originale dann in aller Welt zerstreut,
bisweilen in Autographensammlungen verborgen gehalten und leider nur allzu¬
oft eifersüchtig bewahrt und gehütet. Der biedere Sammler, wie er im Buche
steht, denkt kaum jemals an Lessings herrlichen Ausspruch: „Nur diejenigen
sind mit den Schätzen, die sie unter ihrer Verwahrung haben, zurückhaltend und
neidisch, die sie selbst nicht zu brauchen wissen." Und so kommt es denn, daß
uns z. B. noch immer die erste Fassung der „Mitschuldigen", die der junge
Goethe als Leipziger Student geschrieben, vorenthalten wird, ja daß in so
manchen neuen Publikationen unserer großen Geistesheroen von den berufensten
Bearbeitern die Klage erhoben werden muß, daß ihre Bitte um Mittheilung
dieses oder jenes Schriftstückes abgeschlagen worden, manchmal sogar gänzlich
unbeantwortet geblieben ist. Hiergegen giebt es nur ein Mittel: offene Nennung
des Namens solcher Käuze. Zum Glück steht auf der anderen Seite die große
Zahl der geistesfreien Sammler, die mit ihren Schätzen nicht ängstlich Haus-
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