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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Der versöhnliche Papst.

Das von der "Germania" veröffentlichte Schreiben, welches der heilige
Vater unterm 24. Februar an den früheren Erzbischof von Cöln gerichtet hat,
ist von der deutschen Presse verschieden aufgefaßt worden. Das genannte Blatt
erblickt darin die zum Frieden gebotene Hand der Kirche, und gewisse liberale
Zeitungen thun desgleichen oder stellen sich doch so, um, oppositionell unter
allen Umständen wie sie sind, später, wenn ein Ausgleich nicht zu Stande
kommen sollte, Gelegenheit zu haben, sagen zu können: Seht, der Friede war
vor der Thür und klopfte an, aber der allezeit eigenwillige und streitlustige
Sinn des Reichskanzlers hat ihm nicht aufgethan. Andere, Unbefangenere, er¬
kennen zwar an, daß der Papst den Frieden zu wünschen scheint, vermögen aber
bei aller sie beseelenden Versöhnlichkeit in seinen Aeußerungen noch kein ge¬
nügendes Zeichen zu finden, daß es nun wirklich und vollständig mit dem soge¬
nannten Culturkampfe schon zu Ende gehen müsse. Sie meinen, nur ein Finger
sei gereicht, noch nicht die Hand, und selbst wenn es die Hand wäre und man
von Seiten der Leiter des Staates einschlagen könnte, würde immer noch Be¬
hutsamkeit geboten sein und an eine Zurücknahme der Maigesetze nicht wohl
gedacht werden können.

Wenn wir uns dieser Meinung anschließen und vor zu günstiger Beurthei¬
lung der Kundgebung des heiligen Vaters sowie vor zu weit gehenden Hoffnungen
auf eine Verständigung zwischen Berlin und Rom warnen, so bewegen uns
verschiedene gute Gründe dazu. Bereitwillig erkennen wir an, daß der gegen¬
wärtige Oberhirt der katholischen Kirche ein wesentlich anderer Charakter als
sein Vorgänger auf dem Stuhle Petri ist. Er hat von Beginn seiner Regie¬
rung an alle Schroffheiten vermieden'und einen weiten Blick und milde Formen
gezeigt, wie sie ihm, der früher die diplomatische Laufbahn verfolgt, geläufig


Grenzboten I. 1880. 67
Der versöhnliche Papst.

Das von der „Germania" veröffentlichte Schreiben, welches der heilige
Vater unterm 24. Februar an den früheren Erzbischof von Cöln gerichtet hat,
ist von der deutschen Presse verschieden aufgefaßt worden. Das genannte Blatt
erblickt darin die zum Frieden gebotene Hand der Kirche, und gewisse liberale
Zeitungen thun desgleichen oder stellen sich doch so, um, oppositionell unter
allen Umständen wie sie sind, später, wenn ein Ausgleich nicht zu Stande
kommen sollte, Gelegenheit zu haben, sagen zu können: Seht, der Friede war
vor der Thür und klopfte an, aber der allezeit eigenwillige und streitlustige
Sinn des Reichskanzlers hat ihm nicht aufgethan. Andere, Unbefangenere, er¬
kennen zwar an, daß der Papst den Frieden zu wünschen scheint, vermögen aber
bei aller sie beseelenden Versöhnlichkeit in seinen Aeußerungen noch kein ge¬
nügendes Zeichen zu finden, daß es nun wirklich und vollständig mit dem soge¬
nannten Culturkampfe schon zu Ende gehen müsse. Sie meinen, nur ein Finger
sei gereicht, noch nicht die Hand, und selbst wenn es die Hand wäre und man
von Seiten der Leiter des Staates einschlagen könnte, würde immer noch Be¬
hutsamkeit geboten sein und an eine Zurücknahme der Maigesetze nicht wohl
gedacht werden können.

Wenn wir uns dieser Meinung anschließen und vor zu günstiger Beurthei¬
lung der Kundgebung des heiligen Vaters sowie vor zu weit gehenden Hoffnungen
auf eine Verständigung zwischen Berlin und Rom warnen, so bewegen uns
verschiedene gute Gründe dazu. Bereitwillig erkennen wir an, daß der gegen¬
wärtige Oberhirt der katholischen Kirche ein wesentlich anderer Charakter als
sein Vorgänger auf dem Stuhle Petri ist. Er hat von Beginn seiner Regie¬
rung an alle Schroffheiten vermieden'und einen weiten Blick und milde Formen
gezeigt, wie sie ihm, der früher die diplomatische Laufbahn verfolgt, geläufig


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[0537] Der versöhnliche Papst. Das von der „Germania" veröffentlichte Schreiben, welches der heilige Vater unterm 24. Februar an den früheren Erzbischof von Cöln gerichtet hat, ist von der deutschen Presse verschieden aufgefaßt worden. Das genannte Blatt erblickt darin die zum Frieden gebotene Hand der Kirche, und gewisse liberale Zeitungen thun desgleichen oder stellen sich doch so, um, oppositionell unter allen Umständen wie sie sind, später, wenn ein Ausgleich nicht zu Stande kommen sollte, Gelegenheit zu haben, sagen zu können: Seht, der Friede war vor der Thür und klopfte an, aber der allezeit eigenwillige und streitlustige Sinn des Reichskanzlers hat ihm nicht aufgethan. Andere, Unbefangenere, er¬ kennen zwar an, daß der Papst den Frieden zu wünschen scheint, vermögen aber bei aller sie beseelenden Versöhnlichkeit in seinen Aeußerungen noch kein ge¬ nügendes Zeichen zu finden, daß es nun wirklich und vollständig mit dem soge¬ nannten Culturkampfe schon zu Ende gehen müsse. Sie meinen, nur ein Finger sei gereicht, noch nicht die Hand, und selbst wenn es die Hand wäre und man von Seiten der Leiter des Staates einschlagen könnte, würde immer noch Be¬ hutsamkeit geboten sein und an eine Zurücknahme der Maigesetze nicht wohl gedacht werden können. Wenn wir uns dieser Meinung anschließen und vor zu günstiger Beurthei¬ lung der Kundgebung des heiligen Vaters sowie vor zu weit gehenden Hoffnungen auf eine Verständigung zwischen Berlin und Rom warnen, so bewegen uns verschiedene gute Gründe dazu. Bereitwillig erkennen wir an, daß der gegen¬ wärtige Oberhirt der katholischen Kirche ein wesentlich anderer Charakter als sein Vorgänger auf dem Stuhle Petri ist. Er hat von Beginn seiner Regie¬ rung an alle Schroffheiten vermieden'und einen weiten Blick und milde Formen gezeigt, wie sie ihm, der früher die diplomatische Laufbahn verfolgt, geläufig Grenzboten I. 1880. 67

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/537>, abgerufen am 03.07.2024.