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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Weise der parlamentarischen Behandlung zum größten Theile herrührt, das ist
dem Verfasser dieser Zeilen nie zweifelhaft gewesen; bei dem Detailstudium der
Reichstagsverhandlungen seiner Zeit aber ist es ihm zur unumstößlichen Ueber¬
zeugung geworden. Wenn aber in dem Streben nach klaren Begriffen der
Wille zur Erkenntniß liegt, und wenn die Wahrheit in diesen Fragen zu finden
und zu verbreiten allen gemeinsamste Pflicht sein muß, so dürfte gerade eine
Untersuchung einzelner oft mißverstandener Begriffe der geeignetste Weg sein,
dem Ziele näher zu kommen. Wir wollen dies im Folgenden versuche".

1.

Die Handelsverhältnisse der Nationen sind nach der Theorie der Werthe,
aber nach nationalen, nicht nach internationalen Gesichtspunkten zu reguliren.

Die Theorie der Werthe kommt zu der Formel der internationalen Arbeits¬
theilung, und diese basirt auf dem internationalen Freihandel. Der internatio¬
nale Freihandel ist nothwendig auf absoluter Gegenseitigkeit begründet. Das
Manchesterthum unterscheidet sich von dem internationalen Freihandel dadurch,
daß es alle Consequenzen des letztern fordert, ohne die logische Grundlage des¬
selben, die absolute Gegenseitigkeit, anzuerkennen; im Gegentheil: das Manchester¬
thum behauptet, daß sich die Verweigerer der Gegenseitigkeit nur selber schaden.
Den Beweis für diese Behauptung bleibt es schuldig, denn deren Begründung
durch die internationale Arbeitstheilung ist ein einfacher Trugschluß', eine Art
oiroulus vitiosus.

Die internationale Arbeitstheilung, welche in ihrer idealen Ausführung,
also bei absoluter Gegenseitigkeit, die denkbar beste und billigste Befriedigung
der Bedürfnisse ermöglichen würde, wirkt bei größerer oder geringerer Recipro¬
cität mehr oder weniger einseitig und ausschließlich auf die Consumtion eines
Landes ein. Vom nationalen Gesichtspunkte aus kann aber die Consumtion
nicht einseitig begünstigt, sondern es muß auch die productive Kraft des Landes
in ihrer vaterländischen Bedeutung berücksichtigt werden.

Zu einem gesunden Staatswesen gehört eine harmonische Wechselbeziehung
zwischen der vaterländischen Production und der Consumsähigkeit des Marktes
im In- und Auslande; zwischen Beiden das Gleichgewicht zu wahren mit der
Tendenz, den Absatzmarkt für die heimische Industrie stetig zu erweitern, dies
ist die eigentlichste Aufgabe des Handelspolitikers. Der maßvollste Fortschritt
ist der gewaltigste, denn unter Vermeidung von Disharmonie bleibt er in der
Bahn natürlicher und organischer Entwicklung.

Nachdem wir dies vorausgeschickt, wollen wir uns zunächst mit dem Be¬
griffe der Gegenseitigkeit beschäftigen.


Weise der parlamentarischen Behandlung zum größten Theile herrührt, das ist
dem Verfasser dieser Zeilen nie zweifelhaft gewesen; bei dem Detailstudium der
Reichstagsverhandlungen seiner Zeit aber ist es ihm zur unumstößlichen Ueber¬
zeugung geworden. Wenn aber in dem Streben nach klaren Begriffen der
Wille zur Erkenntniß liegt, und wenn die Wahrheit in diesen Fragen zu finden
und zu verbreiten allen gemeinsamste Pflicht sein muß, so dürfte gerade eine
Untersuchung einzelner oft mißverstandener Begriffe der geeignetste Weg sein,
dem Ziele näher zu kommen. Wir wollen dies im Folgenden versuche«.

1.

Die Handelsverhältnisse der Nationen sind nach der Theorie der Werthe,
aber nach nationalen, nicht nach internationalen Gesichtspunkten zu reguliren.

Die Theorie der Werthe kommt zu der Formel der internationalen Arbeits¬
theilung, und diese basirt auf dem internationalen Freihandel. Der internatio¬
nale Freihandel ist nothwendig auf absoluter Gegenseitigkeit begründet. Das
Manchesterthum unterscheidet sich von dem internationalen Freihandel dadurch,
daß es alle Consequenzen des letztern fordert, ohne die logische Grundlage des¬
selben, die absolute Gegenseitigkeit, anzuerkennen; im Gegentheil: das Manchester¬
thum behauptet, daß sich die Verweigerer der Gegenseitigkeit nur selber schaden.
Den Beweis für diese Behauptung bleibt es schuldig, denn deren Begründung
durch die internationale Arbeitstheilung ist ein einfacher Trugschluß', eine Art
oiroulus vitiosus.

Die internationale Arbeitstheilung, welche in ihrer idealen Ausführung,
also bei absoluter Gegenseitigkeit, die denkbar beste und billigste Befriedigung
der Bedürfnisse ermöglichen würde, wirkt bei größerer oder geringerer Recipro¬
cität mehr oder weniger einseitig und ausschließlich auf die Consumtion eines
Landes ein. Vom nationalen Gesichtspunkte aus kann aber die Consumtion
nicht einseitig begünstigt, sondern es muß auch die productive Kraft des Landes
in ihrer vaterländischen Bedeutung berücksichtigt werden.

Zu einem gesunden Staatswesen gehört eine harmonische Wechselbeziehung
zwischen der vaterländischen Production und der Consumsähigkeit des Marktes
im In- und Auslande; zwischen Beiden das Gleichgewicht zu wahren mit der
Tendenz, den Absatzmarkt für die heimische Industrie stetig zu erweitern, dies
ist die eigentlichste Aufgabe des Handelspolitikers. Der maßvollste Fortschritt
ist der gewaltigste, denn unter Vermeidung von Disharmonie bleibt er in der
Bahn natürlicher und organischer Entwicklung.

Nachdem wir dies vorausgeschickt, wollen wir uns zunächst mit dem Be¬
griffe der Gegenseitigkeit beschäftigen.


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[0098] Weise der parlamentarischen Behandlung zum größten Theile herrührt, das ist dem Verfasser dieser Zeilen nie zweifelhaft gewesen; bei dem Detailstudium der Reichstagsverhandlungen seiner Zeit aber ist es ihm zur unumstößlichen Ueber¬ zeugung geworden. Wenn aber in dem Streben nach klaren Begriffen der Wille zur Erkenntniß liegt, und wenn die Wahrheit in diesen Fragen zu finden und zu verbreiten allen gemeinsamste Pflicht sein muß, so dürfte gerade eine Untersuchung einzelner oft mißverstandener Begriffe der geeignetste Weg sein, dem Ziele näher zu kommen. Wir wollen dies im Folgenden versuche«. 1. Die Handelsverhältnisse der Nationen sind nach der Theorie der Werthe, aber nach nationalen, nicht nach internationalen Gesichtspunkten zu reguliren. Die Theorie der Werthe kommt zu der Formel der internationalen Arbeits¬ theilung, und diese basirt auf dem internationalen Freihandel. Der internatio¬ nale Freihandel ist nothwendig auf absoluter Gegenseitigkeit begründet. Das Manchesterthum unterscheidet sich von dem internationalen Freihandel dadurch, daß es alle Consequenzen des letztern fordert, ohne die logische Grundlage des¬ selben, die absolute Gegenseitigkeit, anzuerkennen; im Gegentheil: das Manchester¬ thum behauptet, daß sich die Verweigerer der Gegenseitigkeit nur selber schaden. Den Beweis für diese Behauptung bleibt es schuldig, denn deren Begründung durch die internationale Arbeitstheilung ist ein einfacher Trugschluß', eine Art oiroulus vitiosus. Die internationale Arbeitstheilung, welche in ihrer idealen Ausführung, also bei absoluter Gegenseitigkeit, die denkbar beste und billigste Befriedigung der Bedürfnisse ermöglichen würde, wirkt bei größerer oder geringerer Recipro¬ cität mehr oder weniger einseitig und ausschließlich auf die Consumtion eines Landes ein. Vom nationalen Gesichtspunkte aus kann aber die Consumtion nicht einseitig begünstigt, sondern es muß auch die productive Kraft des Landes in ihrer vaterländischen Bedeutung berücksichtigt werden. Zu einem gesunden Staatswesen gehört eine harmonische Wechselbeziehung zwischen der vaterländischen Production und der Consumsähigkeit des Marktes im In- und Auslande; zwischen Beiden das Gleichgewicht zu wahren mit der Tendenz, den Absatzmarkt für die heimische Industrie stetig zu erweitern, dies ist die eigentlichste Aufgabe des Handelspolitikers. Der maßvollste Fortschritt ist der gewaltigste, denn unter Vermeidung von Disharmonie bleibt er in der Bahn natürlicher und organischer Entwicklung. Nachdem wir dies vorausgeschickt, wollen wir uns zunächst mit dem Be¬ griffe der Gegenseitigkeit beschäftigen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/98>, abgerufen am 22.07.2024.