Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Parteien und Minister in Auszl'and.

Von dem Verfasser der Schriften "Aus der Petersburger Gesellschaft" und
"Neue Bilder aus der Petersburger Gesellschaft" ist im Brockhausschen Ver¬
lage soeben ein neues Buch erschienen, welches die dort gegebenen Aufklärungen
über die politischen und sozialen Zustande Rußlands fortsetzt und dabei wieder
viel des Interessanten mittheilt. Es führt den Titel: "Rußland vor und
nach dem Kriege" und zerfällt in eine Anzahl von Abhandlungen und Bio¬
graphien , von welchen letzteren uns namentlich die von Bakunin und die vom
Fürsten Tfcherkaski angesprochen haben, während unter den ersteren die über
die nationale Auffassung der orientalischen Frage, die über den letzten Krieg
und die Dynastie, endlich die über die gegenwärtige Lage und die neuen Mini¬
ster als auf guter Kenntniß Rußlands und der Russen beruhend für uns von
besonderem Interesse sind. Wir beeilen uns, bei der Stellung, die unser Nach¬
bar im Osten seit einigen Monaten zu uns eingenommen hat, durch Hervor¬
hebung der Hauptpunkte aus diesen Kapiteln der genannten Schrift unsere Leser
über jene Gegenstände und Personen zu informiren, wobei wir indeß zu be¬
rücksichtigen bitten, daß der Verfasser vom Standpunkte der baltischen Opposi¬
tion urtheilt und so bisweilen schwärzer sieht, als billig erscheinen will.

Bei Ausbruch des letzten Krieges zerfiel die russische Gesellschaft nach ihren
politischen Ansichten und Zielen in vier Gruppen: 1.) eine gouvernementale,
die in dem Willen des Kaisers das oberste Gesetz und in der Erhaltung des
Herkömmlichen in Staat und Gesellschaft die Summe aller Regierungsweisheit
sah; 2.) die große nationale Partei, an deren Spitze Fürst Tfcherkaski, später
Civiladlatus des Großfürsten Nikolaus in Bulgarien, Msakofs, Katkoff, Jlo-
waiski und Orest Müller standen, und die in der Armee, im Klerus und unter
den jüngeren Beamten so zahlreiche Anhänger zählte, daß es ihr leicht fiel,
die Masse der Ungebildeten mit sich fortzureißen; 3.) die sozialistischen Revo¬
lutionäre; endlich 4.) die "Jnorodzen" (Leute fremden Geschlechts), d. h. die
Polen, die baltischen Deutschen und die Finnländer, die, von den herrschenden


Grenzboten IV. 1379. 39
Parteien und Minister in Auszl'and.

Von dem Verfasser der Schriften „Aus der Petersburger Gesellschaft" und
„Neue Bilder aus der Petersburger Gesellschaft" ist im Brockhausschen Ver¬
lage soeben ein neues Buch erschienen, welches die dort gegebenen Aufklärungen
über die politischen und sozialen Zustande Rußlands fortsetzt und dabei wieder
viel des Interessanten mittheilt. Es führt den Titel: „Rußland vor und
nach dem Kriege" und zerfällt in eine Anzahl von Abhandlungen und Bio¬
graphien , von welchen letzteren uns namentlich die von Bakunin und die vom
Fürsten Tfcherkaski angesprochen haben, während unter den ersteren die über
die nationale Auffassung der orientalischen Frage, die über den letzten Krieg
und die Dynastie, endlich die über die gegenwärtige Lage und die neuen Mini¬
ster als auf guter Kenntniß Rußlands und der Russen beruhend für uns von
besonderem Interesse sind. Wir beeilen uns, bei der Stellung, die unser Nach¬
bar im Osten seit einigen Monaten zu uns eingenommen hat, durch Hervor¬
hebung der Hauptpunkte aus diesen Kapiteln der genannten Schrift unsere Leser
über jene Gegenstände und Personen zu informiren, wobei wir indeß zu be¬
rücksichtigen bitten, daß der Verfasser vom Standpunkte der baltischen Opposi¬
tion urtheilt und so bisweilen schwärzer sieht, als billig erscheinen will.

Bei Ausbruch des letzten Krieges zerfiel die russische Gesellschaft nach ihren
politischen Ansichten und Zielen in vier Gruppen: 1.) eine gouvernementale,
die in dem Willen des Kaisers das oberste Gesetz und in der Erhaltung des
Herkömmlichen in Staat und Gesellschaft die Summe aller Regierungsweisheit
sah; 2.) die große nationale Partei, an deren Spitze Fürst Tfcherkaski, später
Civiladlatus des Großfürsten Nikolaus in Bulgarien, Msakofs, Katkoff, Jlo-
waiski und Orest Müller standen, und die in der Armee, im Klerus und unter
den jüngeren Beamten so zahlreiche Anhänger zählte, daß es ihr leicht fiel,
die Masse der Ungebildeten mit sich fortzureißen; 3.) die sozialistischen Revo¬
lutionäre; endlich 4.) die „Jnorodzen" (Leute fremden Geschlechts), d. h. die
Polen, die baltischen Deutschen und die Finnländer, die, von den herrschenden


Grenzboten IV. 1379. 39
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0301" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/143356"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Parteien und Minister in Auszl'and.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_905"> Von dem Verfasser der Schriften &#x201E;Aus der Petersburger Gesellschaft" und<lb/>
&#x201E;Neue Bilder aus der Petersburger Gesellschaft" ist im Brockhausschen Ver¬<lb/>
lage soeben ein neues Buch erschienen, welches die dort gegebenen Aufklärungen<lb/>
über die politischen und sozialen Zustande Rußlands fortsetzt und dabei wieder<lb/>
viel des Interessanten mittheilt. Es führt den Titel: &#x201E;Rußland vor und<lb/>
nach dem Kriege" und zerfällt in eine Anzahl von Abhandlungen und Bio¬<lb/>
graphien , von welchen letzteren uns namentlich die von Bakunin und die vom<lb/>
Fürsten Tfcherkaski angesprochen haben, während unter den ersteren die über<lb/>
die nationale Auffassung der orientalischen Frage, die über den letzten Krieg<lb/>
und die Dynastie, endlich die über die gegenwärtige Lage und die neuen Mini¬<lb/>
ster als auf guter Kenntniß Rußlands und der Russen beruhend für uns von<lb/>
besonderem Interesse sind. Wir beeilen uns, bei der Stellung, die unser Nach¬<lb/>
bar im Osten seit einigen Monaten zu uns eingenommen hat, durch Hervor¬<lb/>
hebung der Hauptpunkte aus diesen Kapiteln der genannten Schrift unsere Leser<lb/>
über jene Gegenstände und Personen zu informiren, wobei wir indeß zu be¬<lb/>
rücksichtigen bitten, daß der Verfasser vom Standpunkte der baltischen Opposi¬<lb/>
tion urtheilt und so bisweilen schwärzer sieht, als billig erscheinen will.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_906" next="#ID_907"> Bei Ausbruch des letzten Krieges zerfiel die russische Gesellschaft nach ihren<lb/>
politischen Ansichten und Zielen in vier Gruppen: 1.) eine gouvernementale,<lb/>
die in dem Willen des Kaisers das oberste Gesetz und in der Erhaltung des<lb/>
Herkömmlichen in Staat und Gesellschaft die Summe aller Regierungsweisheit<lb/>
sah; 2.) die große nationale Partei, an deren Spitze Fürst Tfcherkaski, später<lb/>
Civiladlatus des Großfürsten Nikolaus in Bulgarien, Msakofs, Katkoff, Jlo-<lb/>
waiski und Orest Müller standen, und die in der Armee, im Klerus und unter<lb/>
den jüngeren Beamten so zahlreiche Anhänger zählte, daß es ihr leicht fiel,<lb/>
die Masse der Ungebildeten mit sich fortzureißen; 3.) die sozialistischen Revo¬<lb/>
lutionäre; endlich 4.) die &#x201E;Jnorodzen" (Leute fremden Geschlechts), d. h. die<lb/>
Polen, die baltischen Deutschen und die Finnländer, die, von den herrschenden</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 1379. 39</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0301] Parteien und Minister in Auszl'and. Von dem Verfasser der Schriften „Aus der Petersburger Gesellschaft" und „Neue Bilder aus der Petersburger Gesellschaft" ist im Brockhausschen Ver¬ lage soeben ein neues Buch erschienen, welches die dort gegebenen Aufklärungen über die politischen und sozialen Zustande Rußlands fortsetzt und dabei wieder viel des Interessanten mittheilt. Es führt den Titel: „Rußland vor und nach dem Kriege" und zerfällt in eine Anzahl von Abhandlungen und Bio¬ graphien , von welchen letzteren uns namentlich die von Bakunin und die vom Fürsten Tfcherkaski angesprochen haben, während unter den ersteren die über die nationale Auffassung der orientalischen Frage, die über den letzten Krieg und die Dynastie, endlich die über die gegenwärtige Lage und die neuen Mini¬ ster als auf guter Kenntniß Rußlands und der Russen beruhend für uns von besonderem Interesse sind. Wir beeilen uns, bei der Stellung, die unser Nach¬ bar im Osten seit einigen Monaten zu uns eingenommen hat, durch Hervor¬ hebung der Hauptpunkte aus diesen Kapiteln der genannten Schrift unsere Leser über jene Gegenstände und Personen zu informiren, wobei wir indeß zu be¬ rücksichtigen bitten, daß der Verfasser vom Standpunkte der baltischen Opposi¬ tion urtheilt und so bisweilen schwärzer sieht, als billig erscheinen will. Bei Ausbruch des letzten Krieges zerfiel die russische Gesellschaft nach ihren politischen Ansichten und Zielen in vier Gruppen: 1.) eine gouvernementale, die in dem Willen des Kaisers das oberste Gesetz und in der Erhaltung des Herkömmlichen in Staat und Gesellschaft die Summe aller Regierungsweisheit sah; 2.) die große nationale Partei, an deren Spitze Fürst Tfcherkaski, später Civiladlatus des Großfürsten Nikolaus in Bulgarien, Msakofs, Katkoff, Jlo- waiski und Orest Müller standen, und die in der Armee, im Klerus und unter den jüngeren Beamten so zahlreiche Anhänger zählte, daß es ihr leicht fiel, die Masse der Ungebildeten mit sich fortzureißen; 3.) die sozialistischen Revo¬ lutionäre; endlich 4.) die „Jnorodzen" (Leute fremden Geschlechts), d. h. die Polen, die baltischen Deutschen und die Finnländer, die, von den herrschenden Grenzboten IV. 1379. 39

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/301
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/301>, abgerufen am 23.07.2024.