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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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besprochene "Christus im Tempel" von Lieb er manu. Durch die Aufnahme
dieses Bildes hat die Jury den Beweis geliefert, daß sie der Mehrzahl nach
dem Prinzip huldigt: Verherrlichung des Häßlichen durch die Kunst. Wäre
dem nicht so, dann wären Bilder wie das Liebermannsche eben nicht für würdig
erachtet worden, als mustergiltig in der Ausstellung zu hängen. Ebenso ist
es für jeden Beschauer unverständlich, wie von den absonderlichen, lediglich auf
Sensation berechneten, Spinat- und indigoblauen Bildern eines Thoma mehr
als die gesetzlich zulässige Zahl hat angenommen werden können. Betrachtet man
vollends die naiv sein sollenden Bilder eines Halber, so wird man unwill¬
kürlich heiter gestimmt und freut sich an dem kindlichen Sinne, der die Jury
bewog, diese Wunderwerke der Zukunftsmalerei den Besuchern der internationalen
Kunstausstellung zum Besten zu geben.'

Man braucht kein Schwärmer für die Kunsterzeugnisse jener Epoche zu
sein, wo der ganze Reiz der Komposition nur in dem Rhythmus der Linien
lag, wo Farbe und Stimmung als falscher Zauber galt, und doch wird man
bekennen müssen, daß die Künstler jener Epoche nie das ewig giltige Gesetz
des Schönen so übertraten, wie es jetzt durch den verwilderten Naturalismus
mit seinem gedankenarmen, schwindelhafter Haschen nach Originalität geschieht.
Sicherlich hat der realistische Umschlag in der Kunst eine wohlthätige Wirkung
auf die gesammte Kunstprodnltion der letzten Jahre gehabt, wenn aber der
Naturalismus fessellos die nackte Häßlichkeit darstellt, dann ist es Zeit, dagegen
aufzutreten. Noch sind es nur wenige, welche ganz in dieses falsche Streben
verrannt find, aber bei der großen Menge von Kunstjüngern wird ihre Zahl
bald Legion sein, zumal wenn solche Auswüchse wie die genannten von dem
Ausstellungsausschuß gehegt und gepflegt und andere Richtungen mit brutaler
Gewalt unterdrückt werden.

Was die brillante Ausstattung der Ausstellungsräume anlangt, so läßt
sich in diesem Punkte nichts gegen den Ausschuß sagen; ist es doch eher ein
Fortschritt als ein Fehler im Äusstellungswesen zu nennen, wenn man nach
dieser Seite hin der Würde der Kunst mehr Rechnung trägt.




politische Briefe.
22. Der Präsident des neuen Abgeordnetenhauses.

Als Herr v. Forckenbeck in Folge der Rede, die er am 17. Mai bei dem
Bankett des Stüdtetages gehalten, das Präsidium des Reichstags niedergelegt
hatte, chcirakterisirten wir (im elften dieser Briefe) die parlamentarische Sitte
in Deutschland, es mit der Präsidentenfrage zu halten. Wir charnkterisirten
sie sehr ungünstig -- mit gutem Recht. Die parlamentarischen Fraktionen
streiten sich bei uns um den Präsidentensitz, den jede aus ihrer Mitte besetzen
möchte, gerade so wie bei akademischen Festlichkeiten der Präses und die Mar"
schälte unter allerlei Streit von den Studentenkorps gestellt werden. Das
Resultat kommt im Parlamente zu Stande wie auf der Universität, indem sich
eine Anzahl Fraktionen (Korps) vereinigen. Daß diese Sitte kläglich und das
stärkste äußere Zeichen der Unreife des deutschen Parlamentarismus ist, wer
darf es leugnen? Anderwärts -- und man ist in dieser Beziehung ander¬
wärts überall taktvoller und praktischer als bei uns -- wählt man den Präsi-


besprochene „Christus im Tempel" von Lieb er manu. Durch die Aufnahme
dieses Bildes hat die Jury den Beweis geliefert, daß sie der Mehrzahl nach
dem Prinzip huldigt: Verherrlichung des Häßlichen durch die Kunst. Wäre
dem nicht so, dann wären Bilder wie das Liebermannsche eben nicht für würdig
erachtet worden, als mustergiltig in der Ausstellung zu hängen. Ebenso ist
es für jeden Beschauer unverständlich, wie von den absonderlichen, lediglich auf
Sensation berechneten, Spinat- und indigoblauen Bildern eines Thoma mehr
als die gesetzlich zulässige Zahl hat angenommen werden können. Betrachtet man
vollends die naiv sein sollenden Bilder eines Halber, so wird man unwill¬
kürlich heiter gestimmt und freut sich an dem kindlichen Sinne, der die Jury
bewog, diese Wunderwerke der Zukunftsmalerei den Besuchern der internationalen
Kunstausstellung zum Besten zu geben.'

Man braucht kein Schwärmer für die Kunsterzeugnisse jener Epoche zu
sein, wo der ganze Reiz der Komposition nur in dem Rhythmus der Linien
lag, wo Farbe und Stimmung als falscher Zauber galt, und doch wird man
bekennen müssen, daß die Künstler jener Epoche nie das ewig giltige Gesetz
des Schönen so übertraten, wie es jetzt durch den verwilderten Naturalismus
mit seinem gedankenarmen, schwindelhafter Haschen nach Originalität geschieht.
Sicherlich hat der realistische Umschlag in der Kunst eine wohlthätige Wirkung
auf die gesammte Kunstprodnltion der letzten Jahre gehabt, wenn aber der
Naturalismus fessellos die nackte Häßlichkeit darstellt, dann ist es Zeit, dagegen
aufzutreten. Noch sind es nur wenige, welche ganz in dieses falsche Streben
verrannt find, aber bei der großen Menge von Kunstjüngern wird ihre Zahl
bald Legion sein, zumal wenn solche Auswüchse wie die genannten von dem
Ausstellungsausschuß gehegt und gepflegt und andere Richtungen mit brutaler
Gewalt unterdrückt werden.

Was die brillante Ausstattung der Ausstellungsräume anlangt, so läßt
sich in diesem Punkte nichts gegen den Ausschuß sagen; ist es doch eher ein
Fortschritt als ein Fehler im Äusstellungswesen zu nennen, wenn man nach
dieser Seite hin der Würde der Kunst mehr Rechnung trägt.




politische Briefe.
22. Der Präsident des neuen Abgeordnetenhauses.

Als Herr v. Forckenbeck in Folge der Rede, die er am 17. Mai bei dem
Bankett des Stüdtetages gehalten, das Präsidium des Reichstags niedergelegt
hatte, chcirakterisirten wir (im elften dieser Briefe) die parlamentarische Sitte
in Deutschland, es mit der Präsidentenfrage zu halten. Wir charnkterisirten
sie sehr ungünstig — mit gutem Recht. Die parlamentarischen Fraktionen
streiten sich bei uns um den Präsidentensitz, den jede aus ihrer Mitte besetzen
möchte, gerade so wie bei akademischen Festlichkeiten der Präses und die Mar«
schälte unter allerlei Streit von den Studentenkorps gestellt werden. Das
Resultat kommt im Parlamente zu Stande wie auf der Universität, indem sich
eine Anzahl Fraktionen (Korps) vereinigen. Daß diese Sitte kläglich und das
stärkste äußere Zeichen der Unreife des deutschen Parlamentarismus ist, wer
darf es leugnen? Anderwärts — und man ist in dieser Beziehung ander¬
wärts überall taktvoller und praktischer als bei uns — wählt man den Präsi-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/175>, abgerufen am 03.07.2024.