Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.daß das Reich nicht mehr von den Bundesstaaten lebe, sondern das Leben Kaiser Wilhelm und Fürst Bismarck. Eine Geschichte ihres Lebens und ihrer Politik. Von Dr. N. Hocker. Zweite vermehrte und erweiterte Auflage. Lieferung 1 bis 7. Berlin, Theobald Grieben, 1879. Wir müssen, bevor wir dieses Buch beurtheilen, die Vollendung desselben daß das Reich nicht mehr von den Bundesstaaten lebe, sondern das Leben Kaiser Wilhelm und Fürst Bismarck. Eine Geschichte ihres Lebens und ihrer Politik. Von Dr. N. Hocker. Zweite vermehrte und erweiterte Auflage. Lieferung 1 bis 7. Berlin, Theobald Grieben, 1879. Wir müssen, bevor wir dieses Buch beurtheilen, die Vollendung desselben <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0486" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/142441"/> <p xml:id="ID_1476" prev="#ID_1475"> daß das Reich nicht mehr von den Bundesstaaten lebe, sondern das Leben<lb/> dieser Glieder von dem Wohlbefinden des ganzen Körpers abhängig sei." Die<lb/> Schlußabschnitte der Broschüre behandeln nichtpolitische Fragen, Glauben und<lb/> Wissen, Religion und Philosophie, Wahlrecht, Presse, Theater und dergl., wobei<lb/> der Verfasser gewöhnlich die Stellung des Fürsten zu diesen Fragen zu Präzi-<lb/> siren bemüht ist. Auch dies geschieht in mehreren Fällen mit Glück und Erfolg,<lb/> in anderen scheint uns die Schrift uicht auf der rechten Fährte. Vor allein<lb/> irrt der Verfasser, wenn er sich den Fürsten als einen Mann sast durchgehends<lb/> nach dem Herzen der Kreuzzeitungspartei vorstellt. Der Reichskanzler ist mit<lb/> Nichten ein Konservativer dieses Schlags, er ist dies ebensowenig, wie er zur<lb/> Partei der Herren Virchow und Richter gehört. Er ist eben ein Mann, der<lb/> über den Parteien steht, jede für seine Zwecke benutzt, von jeder das Gute<lb/> nimmt, das sie etwa hat, jede fallen läßt, wenn sie ihm nicht mehr konveniri.<lb/> Er ist der Mann der Möglichkeiten, der Thatsachen, der Kompromisse, nicht<lb/> entfernt ein Doktrinär, sondern der Realpolitiker, wie er sein soll, heute so,<lb/> morgen anders, aber instinktmäßig stets auf rechtem Wege. Wie der Verfasser<lb/> dazu kommt, das Buch Hahn's über Bismarck (S. 19.) ein „klassisches" zu<lb/> nennen, ist uns unbegreiflich. Es ist ein ziemlich geschickt zusammengestelltes<lb/> Sammelwerk, ein Hand- und Nachschlagebuch für den, der Material bedarf,<lb/> aber weiter nichts.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Kaiser Wilhelm und Fürst Bismarck. Eine Geschichte ihres Lebens und ihrer<lb/> Politik. Von Dr. N. Hocker. Zweite vermehrte und erweiterte Auflage. Lieferung<lb/> 1 bis 7. Berlin, Theobald Grieben, 1879.</head><lb/> <p xml:id="ID_1477" next="#ID_1478"> Wir müssen, bevor wir dieses Buch beurtheilen, die Vollendung desselben<lb/> abwarten. Vorläufig, wo wir erst beim Oktober 1861 stehen, können wir nur<lb/> sagen, daß das Werk in patriotischem Geiste geschrieben, nicht ohne Geschick<lb/> kompilirt und dem Inhalte nach ungefähr so viel werth ist, wie Bücher sein<lb/> können, die ohne tiefere und nähere Kenntniß der Verhältnisse und der Personen,<lb/> um die sich's handelt, abgefaßt werden. Irgend welchen historischen Werth<lb/> haben (und beanspruchen wohl auch) solche Erzeugnisse natürlich nicht. Wohl<lb/> aber bringen sie wenigstens einige von den Hauptzügen der betreffenden Per¬<lb/> sönlichkeiten dem Publikum nahe, erinnern an deren Verdienste und tragen<lb/> dazu bei, die dankbare Verehrung vor ihnen zu nähren und zu steigern, und<lb/> das ist immerhin etwas werth und geeignet, sie in Ermangelung von Besserem<lb/> zu empfehlen — selbstverständlich nur solchen, denen die leicht zugänglichen<lb/> Quellen, welche die Verfasser benutzt haben, nicht zu Gebote stehen. Wir<lb/> empfehlen darum auch diese Schrift, zumal da in ihr die neuesten Publikationen<lb/> über den Reichskanzler berücksichtigt sind, und stärkere Irrthümer uns nirgends<lb/> aufgestoßen sind. Auf eins möchten wir den Verfasser aufmerksam machen,</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0486]
daß das Reich nicht mehr von den Bundesstaaten lebe, sondern das Leben
dieser Glieder von dem Wohlbefinden des ganzen Körpers abhängig sei." Die
Schlußabschnitte der Broschüre behandeln nichtpolitische Fragen, Glauben und
Wissen, Religion und Philosophie, Wahlrecht, Presse, Theater und dergl., wobei
der Verfasser gewöhnlich die Stellung des Fürsten zu diesen Fragen zu Präzi-
siren bemüht ist. Auch dies geschieht in mehreren Fällen mit Glück und Erfolg,
in anderen scheint uns die Schrift uicht auf der rechten Fährte. Vor allein
irrt der Verfasser, wenn er sich den Fürsten als einen Mann sast durchgehends
nach dem Herzen der Kreuzzeitungspartei vorstellt. Der Reichskanzler ist mit
Nichten ein Konservativer dieses Schlags, er ist dies ebensowenig, wie er zur
Partei der Herren Virchow und Richter gehört. Er ist eben ein Mann, der
über den Parteien steht, jede für seine Zwecke benutzt, von jeder das Gute
nimmt, das sie etwa hat, jede fallen läßt, wenn sie ihm nicht mehr konveniri.
Er ist der Mann der Möglichkeiten, der Thatsachen, der Kompromisse, nicht
entfernt ein Doktrinär, sondern der Realpolitiker, wie er sein soll, heute so,
morgen anders, aber instinktmäßig stets auf rechtem Wege. Wie der Verfasser
dazu kommt, das Buch Hahn's über Bismarck (S. 19.) ein „klassisches" zu
nennen, ist uns unbegreiflich. Es ist ein ziemlich geschickt zusammengestelltes
Sammelwerk, ein Hand- und Nachschlagebuch für den, der Material bedarf,
aber weiter nichts.
Kaiser Wilhelm und Fürst Bismarck. Eine Geschichte ihres Lebens und ihrer
Politik. Von Dr. N. Hocker. Zweite vermehrte und erweiterte Auflage. Lieferung
1 bis 7. Berlin, Theobald Grieben, 1879.
Wir müssen, bevor wir dieses Buch beurtheilen, die Vollendung desselben
abwarten. Vorläufig, wo wir erst beim Oktober 1861 stehen, können wir nur
sagen, daß das Werk in patriotischem Geiste geschrieben, nicht ohne Geschick
kompilirt und dem Inhalte nach ungefähr so viel werth ist, wie Bücher sein
können, die ohne tiefere und nähere Kenntniß der Verhältnisse und der Personen,
um die sich's handelt, abgefaßt werden. Irgend welchen historischen Werth
haben (und beanspruchen wohl auch) solche Erzeugnisse natürlich nicht. Wohl
aber bringen sie wenigstens einige von den Hauptzügen der betreffenden Per¬
sönlichkeiten dem Publikum nahe, erinnern an deren Verdienste und tragen
dazu bei, die dankbare Verehrung vor ihnen zu nähren und zu steigern, und
das ist immerhin etwas werth und geeignet, sie in Ermangelung von Besserem
zu empfehlen — selbstverständlich nur solchen, denen die leicht zugänglichen
Quellen, welche die Verfasser benutzt haben, nicht zu Gebote stehen. Wir
empfehlen darum auch diese Schrift, zumal da in ihr die neuesten Publikationen
über den Reichskanzler berücksichtigt sind, und stärkere Irrthümer uns nirgends
aufgestoßen sind. Auf eins möchten wir den Verfasser aufmerksam machen,
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