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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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politische Ariefe.
x.
Zwei Kettenschlüsse.

Der Zeus Homer's erklärte einst der Götterwelt, wenn sie allesammt sich
an die Kette klammern wollten, die er auswerfen würde, sie sollten weder die
Kette seiner Rechten, noch ihn selbst der Höhe des Olymps entziehen. Als am
2. Mai die große Diskussion der Finanzreform begann, eröffnete sie Fürst
Bismarck damit, daß er eine Kette von Gründen entrollte, welche alle gegneri¬
schen Gewichte der Interessen und Vorurtheile nicht zerreißen, noch der Hand,
die sie hält, entziehen können.

Fürst Bismarck verlangte zuerst Unifikation der deutschen Staatsfinanzen,
ein Ziel, vor welchem vor nicht langer Zeit alle Wortführer der öffentlichen
Meinung erschraken, und der Partikularismus sich empört haben würde. Heute
erschrecken zwar noch die Wortführer der öffentlichen Meinung, weil ihnen ins¬
gesammt die Gedanken langsam wachsen, aber die amtlichen Vertreter des Par¬
tikularismus, die Minister der Bundesstaaten, erschrecken vor der Forderung
nicht, sie treten ihr bei. Die parlamentarische Opposition, sowohl die "ent¬
schieden" liberale, als die, welche sich heute noch die "national"-liberale nennt,
sprach durch den Mund der Herren Richter und Laster von der Mediatisirung
der Einzelstaaten, welche in dieser Finanzreform liege. Der königlich sächsische
Finanzminister und Bundesrathsbevollmächtigte v. Nostiz - Wallwitz erklärte
dagegen, daß zwischen dem Reich und den Bundesstaaten kein Gegensatz bestehe,
beide hätten dasselbe Interesse. Dahin also ist es gekommen, ist es, Gott sei
Dank, gekommen, ist es durch die Natur der Dinge gekommen, die hier zur
heilenden Nothwendigkeit wird, weil sie durch den Verstand und den Muth
eines großen Staatsmannes bei Zeiten in praktische und ausführbare Gebote
umgesetzt worden ist. Die Völker, die den Vorzug einer solchen Leitung entbehren,
müssen ebenfalls an die Natur der Dinge glauben, aber sie fühlen nur ihre
zerstörende Macht, weil sie ihr Gebot nicht vorwegzunehmen verstanden.

Die Unifikation der deutschen Staatsfinanzen ist in der Schlußreihe des
Fürsten Bismarck das erste Ergebniß, die erste Hauptprämisse zu weiteren
Schlüssen. Welches sind die einfachen Prämissen, aus denen sich diese zusam¬
mengesetzte aufbaut? Die Hauptfinanzquelle aller großen Staaten, das indirekte
Steuersystem, konnte sich in Deutschland nicht ausbilden bei einer zerrissenen
Staatswirthschaft, welche doch nicht so weit gehen mochte noch durfte, den


politische Ariefe.
x.
Zwei Kettenschlüsse.

Der Zeus Homer's erklärte einst der Götterwelt, wenn sie allesammt sich
an die Kette klammern wollten, die er auswerfen würde, sie sollten weder die
Kette seiner Rechten, noch ihn selbst der Höhe des Olymps entziehen. Als am
2. Mai die große Diskussion der Finanzreform begann, eröffnete sie Fürst
Bismarck damit, daß er eine Kette von Gründen entrollte, welche alle gegneri¬
schen Gewichte der Interessen und Vorurtheile nicht zerreißen, noch der Hand,
die sie hält, entziehen können.

Fürst Bismarck verlangte zuerst Unifikation der deutschen Staatsfinanzen,
ein Ziel, vor welchem vor nicht langer Zeit alle Wortführer der öffentlichen
Meinung erschraken, und der Partikularismus sich empört haben würde. Heute
erschrecken zwar noch die Wortführer der öffentlichen Meinung, weil ihnen ins¬
gesammt die Gedanken langsam wachsen, aber die amtlichen Vertreter des Par¬
tikularismus, die Minister der Bundesstaaten, erschrecken vor der Forderung
nicht, sie treten ihr bei. Die parlamentarische Opposition, sowohl die „ent¬
schieden" liberale, als die, welche sich heute noch die „national"-liberale nennt,
sprach durch den Mund der Herren Richter und Laster von der Mediatisirung
der Einzelstaaten, welche in dieser Finanzreform liege. Der königlich sächsische
Finanzminister und Bundesrathsbevollmächtigte v. Nostiz - Wallwitz erklärte
dagegen, daß zwischen dem Reich und den Bundesstaaten kein Gegensatz bestehe,
beide hätten dasselbe Interesse. Dahin also ist es gekommen, ist es, Gott sei
Dank, gekommen, ist es durch die Natur der Dinge gekommen, die hier zur
heilenden Nothwendigkeit wird, weil sie durch den Verstand und den Muth
eines großen Staatsmannes bei Zeiten in praktische und ausführbare Gebote
umgesetzt worden ist. Die Völker, die den Vorzug einer solchen Leitung entbehren,
müssen ebenfalls an die Natur der Dinge glauben, aber sie fühlen nur ihre
zerstörende Macht, weil sie ihr Gebot nicht vorwegzunehmen verstanden.

Die Unifikation der deutschen Staatsfinanzen ist in der Schlußreihe des
Fürsten Bismarck das erste Ergebniß, die erste Hauptprämisse zu weiteren
Schlüssen. Welches sind die einfachen Prämissen, aus denen sich diese zusam¬
mengesetzte aufbaut? Die Hauptfinanzquelle aller großen Staaten, das indirekte
Steuersystem, konnte sich in Deutschland nicht ausbilden bei einer zerrissenen
Staatswirthschaft, welche doch nicht so weit gehen mochte noch durfte, den


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[0323] politische Ariefe. x. Zwei Kettenschlüsse. Der Zeus Homer's erklärte einst der Götterwelt, wenn sie allesammt sich an die Kette klammern wollten, die er auswerfen würde, sie sollten weder die Kette seiner Rechten, noch ihn selbst der Höhe des Olymps entziehen. Als am 2. Mai die große Diskussion der Finanzreform begann, eröffnete sie Fürst Bismarck damit, daß er eine Kette von Gründen entrollte, welche alle gegneri¬ schen Gewichte der Interessen und Vorurtheile nicht zerreißen, noch der Hand, die sie hält, entziehen können. Fürst Bismarck verlangte zuerst Unifikation der deutschen Staatsfinanzen, ein Ziel, vor welchem vor nicht langer Zeit alle Wortführer der öffentlichen Meinung erschraken, und der Partikularismus sich empört haben würde. Heute erschrecken zwar noch die Wortführer der öffentlichen Meinung, weil ihnen ins¬ gesammt die Gedanken langsam wachsen, aber die amtlichen Vertreter des Par¬ tikularismus, die Minister der Bundesstaaten, erschrecken vor der Forderung nicht, sie treten ihr bei. Die parlamentarische Opposition, sowohl die „ent¬ schieden" liberale, als die, welche sich heute noch die „national"-liberale nennt, sprach durch den Mund der Herren Richter und Laster von der Mediatisirung der Einzelstaaten, welche in dieser Finanzreform liege. Der königlich sächsische Finanzminister und Bundesrathsbevollmächtigte v. Nostiz - Wallwitz erklärte dagegen, daß zwischen dem Reich und den Bundesstaaten kein Gegensatz bestehe, beide hätten dasselbe Interesse. Dahin also ist es gekommen, ist es, Gott sei Dank, gekommen, ist es durch die Natur der Dinge gekommen, die hier zur heilenden Nothwendigkeit wird, weil sie durch den Verstand und den Muth eines großen Staatsmannes bei Zeiten in praktische und ausführbare Gebote umgesetzt worden ist. Die Völker, die den Vorzug einer solchen Leitung entbehren, müssen ebenfalls an die Natur der Dinge glauben, aber sie fühlen nur ihre zerstörende Macht, weil sie ihr Gebot nicht vorwegzunehmen verstanden. Die Unifikation der deutschen Staatsfinanzen ist in der Schlußreihe des Fürsten Bismarck das erste Ergebniß, die erste Hauptprämisse zu weiteren Schlüssen. Welches sind die einfachen Prämissen, aus denen sich diese zusam¬ mengesetzte aufbaut? Die Hauptfinanzquelle aller großen Staaten, das indirekte Steuersystem, konnte sich in Deutschland nicht ausbilden bei einer zerrissenen Staatswirthschaft, welche doch nicht so weit gehen mochte noch durfte, den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/323>, abgerufen am 27.12.2024.