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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Die neue Lage in Frankreich.

Vor einigen Tagen haben die gesetzgebenden Körperschaften in Paris ihre
Arbeiten wieder begonnen und zwar unter wesentlich veränderten Verhältnissen.
Mit den letzten Senatswahlen ist die französische Republik in ein neues Lebens¬
stadium getreten, in welchem eine ernste Gefährdung derselben durch die monar¬
chischen Parteien nicht mehr möglich ist. Der Bestand der Republik ist jetzt
auf so lange gesichert, als die Sieger, die von Jahr zu Jahr stärker geworden
sind, sich mit der durch die Umstände gebotenen Mäßigung vor Ueberspannung
ihrer Ansprüche und vor Uebereilung bei der Verwirklichung ihrer Ideale hüten.
Wenn wir wünschen und im Hinblick auf den Einfluß und das bisherige Ver¬
halten Gambetta's hoffen, daß dies geschehe, so leitet uns dazu nicht sowohl
Sympathie mit Frankreich oder Vorliebe für republikanische Einrichtungen als
vielmehr unser eignes Interesse, das bei der Beurtheilung ausländischer Ereig¬
nisse und Zustünde immer das entscheidende sein sollte.

Die neue Lage in Frankreich bedeutet, so lange sie ungestört bleibt, Stär¬
kung der Friedenshoffnungen in Europa. Auch eine gemäßigte republikanische
Regierung würde aus leichtbegreiflichen Gründen zu einem Kriege mit Deutsch¬
land keinen Verbündeten finden, und ohne Allianz werden die Franzosen uns
schwerlich anzugreifen wagen. Auch eine gemäßigte französische Republik muß
andererseits eine ähnliche Stellung zu den Ansprüchen des Vatikans auf Neben¬
regierung neben den staatlichen Gewalten einnehmen, wie das deutsche Reich
sie seit dem Beginn des "Kulturkampfs" einnimmt, und so werden wir die jetzt
zur Herrschaft gelangte große Partei in Frankreich, so wenig sie uns auch
sonst wohlwollen mag, in dieser Beziehung als stille Alliirte betrachten dürfen
Der Papst wird sich im Hinblick hierauf über kurz oder lang zu Zugeständ¬
nissen herbeilassen müssen, die uns genügen.

Blicken wir auf die Entwickelung der Dinge zurück, die mit den letzten
Senatswahlen ihren vorläufigen Abschluß gefunden hat, so gewahren wir ein
stetiges Anwachsen der republikanischen Kräfte trotz aller Anstrengungen der


Grenzboten I. 1879. 16
Die neue Lage in Frankreich.

Vor einigen Tagen haben die gesetzgebenden Körperschaften in Paris ihre
Arbeiten wieder begonnen und zwar unter wesentlich veränderten Verhältnissen.
Mit den letzten Senatswahlen ist die französische Republik in ein neues Lebens¬
stadium getreten, in welchem eine ernste Gefährdung derselben durch die monar¬
chischen Parteien nicht mehr möglich ist. Der Bestand der Republik ist jetzt
auf so lange gesichert, als die Sieger, die von Jahr zu Jahr stärker geworden
sind, sich mit der durch die Umstände gebotenen Mäßigung vor Ueberspannung
ihrer Ansprüche und vor Uebereilung bei der Verwirklichung ihrer Ideale hüten.
Wenn wir wünschen und im Hinblick auf den Einfluß und das bisherige Ver¬
halten Gambetta's hoffen, daß dies geschehe, so leitet uns dazu nicht sowohl
Sympathie mit Frankreich oder Vorliebe für republikanische Einrichtungen als
vielmehr unser eignes Interesse, das bei der Beurtheilung ausländischer Ereig¬
nisse und Zustünde immer das entscheidende sein sollte.

Die neue Lage in Frankreich bedeutet, so lange sie ungestört bleibt, Stär¬
kung der Friedenshoffnungen in Europa. Auch eine gemäßigte republikanische
Regierung würde aus leichtbegreiflichen Gründen zu einem Kriege mit Deutsch¬
land keinen Verbündeten finden, und ohne Allianz werden die Franzosen uns
schwerlich anzugreifen wagen. Auch eine gemäßigte französische Republik muß
andererseits eine ähnliche Stellung zu den Ansprüchen des Vatikans auf Neben¬
regierung neben den staatlichen Gewalten einnehmen, wie das deutsche Reich
sie seit dem Beginn des „Kulturkampfs" einnimmt, und so werden wir die jetzt
zur Herrschaft gelangte große Partei in Frankreich, so wenig sie uns auch
sonst wohlwollen mag, in dieser Beziehung als stille Alliirte betrachten dürfen
Der Papst wird sich im Hinblick hierauf über kurz oder lang zu Zugeständ¬
nissen herbeilassen müssen, die uns genügen.

Blicken wir auf die Entwickelung der Dinge zurück, die mit den letzten
Senatswahlen ihren vorläufigen Abschluß gefunden hat, so gewahren wir ein
stetiges Anwachsen der republikanischen Kräfte trotz aller Anstrengungen der


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[0129] Die neue Lage in Frankreich. Vor einigen Tagen haben die gesetzgebenden Körperschaften in Paris ihre Arbeiten wieder begonnen und zwar unter wesentlich veränderten Verhältnissen. Mit den letzten Senatswahlen ist die französische Republik in ein neues Lebens¬ stadium getreten, in welchem eine ernste Gefährdung derselben durch die monar¬ chischen Parteien nicht mehr möglich ist. Der Bestand der Republik ist jetzt auf so lange gesichert, als die Sieger, die von Jahr zu Jahr stärker geworden sind, sich mit der durch die Umstände gebotenen Mäßigung vor Ueberspannung ihrer Ansprüche und vor Uebereilung bei der Verwirklichung ihrer Ideale hüten. Wenn wir wünschen und im Hinblick auf den Einfluß und das bisherige Ver¬ halten Gambetta's hoffen, daß dies geschehe, so leitet uns dazu nicht sowohl Sympathie mit Frankreich oder Vorliebe für republikanische Einrichtungen als vielmehr unser eignes Interesse, das bei der Beurtheilung ausländischer Ereig¬ nisse und Zustünde immer das entscheidende sein sollte. Die neue Lage in Frankreich bedeutet, so lange sie ungestört bleibt, Stär¬ kung der Friedenshoffnungen in Europa. Auch eine gemäßigte republikanische Regierung würde aus leichtbegreiflichen Gründen zu einem Kriege mit Deutsch¬ land keinen Verbündeten finden, und ohne Allianz werden die Franzosen uns schwerlich anzugreifen wagen. Auch eine gemäßigte französische Republik muß andererseits eine ähnliche Stellung zu den Ansprüchen des Vatikans auf Neben¬ regierung neben den staatlichen Gewalten einnehmen, wie das deutsche Reich sie seit dem Beginn des „Kulturkampfs" einnimmt, und so werden wir die jetzt zur Herrschaft gelangte große Partei in Frankreich, so wenig sie uns auch sonst wohlwollen mag, in dieser Beziehung als stille Alliirte betrachten dürfen Der Papst wird sich im Hinblick hierauf über kurz oder lang zu Zugeständ¬ nissen herbeilassen müssen, die uns genügen. Blicken wir auf die Entwickelung der Dinge zurück, die mit den letzten Senatswahlen ihren vorläufigen Abschluß gefunden hat, so gewahren wir ein stetiges Anwachsen der republikanischen Kräfte trotz aller Anstrengungen der Grenzboten I. 1879. 16

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/129>, abgerufen am 23.07.2024.