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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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Der deutsche Kaiser und das Keich sonst und jetzt.

An der Spitze der "erlauchten Fürstenrepublik des deutschen Reichs", wie
man Deutschland im vorigen Jahrhundert wohl nannte, stand der erwählte
römische Kaiser. Konzentrirte sich in ihm auch die Reichssouveränität, so war er
jedoch keineswegs alleiniger Inhaber der Reichsstaatsgewalt, vielmehr nahmen
daran die Reichsversammlungen, deren Mitglieder Reichsstände hießen, den
wesentlichsten Antheil. Nichts destoweniger blieb jedoch, wenigstens in der
Theorie, jeder einzelne Reichsstand Unterthan des Kaisers.

Die Gesammtheit der Reichsstünde, der Reichstag, auf dessen Wirksamkeit
wir später noch einmal zurückkommen werden, theilte sich seit dem späteren
Mittelalter in drei Kollegia oder Räthe und zwar in die der Kurfürsten, Fürsten
und Städte. Jedes der drei Kollegien hatte seine abgesonderten Versammlungen,
resp. Berathungen und nnr durch freie Vereinbarung zwischen allen dreien
entstand ein Reichsgutachten, welches durch die hinzukommende kaiserliche Rati¬
fikation zu einem Reichsschluß erhoben wurde.

Das ausschließlich zur Wahl des Kaisers berechtigte Kurfiirsten-Kollegium
bestand bekanntlich bis zum dreißigjährigen Kriege aus sieben Reichsständen.
Nach dem westfälischen Frieden kam noch der Herzog von Baiern und im
Jahre 1692 der Herzog von Hannover hinzu, so daß es bis 1777 neun Kur¬
fürsten gegeben hat. Durch das Aussterben des pfälzischen Kurhauses reduzirte
sich von da ab wieder die Zahl auf acht. Der Reichsfürstenrath bestand im
Jahre 1792 aus 61 weltlichen und 33 geistlichen Reichsstandschaften mit Viril¬
stimmen, so wie aus vier Grafen- und zwei Prälateubänken, welche nnr
Curiatstimmen besaßen. Die vier Grafenbänke wurden von 144 Gliedern
eingenommen, während auf den beiden Prälatenbänken 23 Prälaten, 14 Aevti-
sinnen und 2 Komthure des deutschen Ordens stimmberechtigt waren. Im
Kollegium der Reichsstädte endlich, als drittes Glied des Reichstages, waren
auf zwei Bänken 51 freie Reichsstädte vertreten.


Grenzboten II. 1873. 41
Der deutsche Kaiser und das Keich sonst und jetzt.

An der Spitze der „erlauchten Fürstenrepublik des deutschen Reichs", wie
man Deutschland im vorigen Jahrhundert wohl nannte, stand der erwählte
römische Kaiser. Konzentrirte sich in ihm auch die Reichssouveränität, so war er
jedoch keineswegs alleiniger Inhaber der Reichsstaatsgewalt, vielmehr nahmen
daran die Reichsversammlungen, deren Mitglieder Reichsstände hießen, den
wesentlichsten Antheil. Nichts destoweniger blieb jedoch, wenigstens in der
Theorie, jeder einzelne Reichsstand Unterthan des Kaisers.

Die Gesammtheit der Reichsstünde, der Reichstag, auf dessen Wirksamkeit
wir später noch einmal zurückkommen werden, theilte sich seit dem späteren
Mittelalter in drei Kollegia oder Räthe und zwar in die der Kurfürsten, Fürsten
und Städte. Jedes der drei Kollegien hatte seine abgesonderten Versammlungen,
resp. Berathungen und nnr durch freie Vereinbarung zwischen allen dreien
entstand ein Reichsgutachten, welches durch die hinzukommende kaiserliche Rati¬
fikation zu einem Reichsschluß erhoben wurde.

Das ausschließlich zur Wahl des Kaisers berechtigte Kurfiirsten-Kollegium
bestand bekanntlich bis zum dreißigjährigen Kriege aus sieben Reichsständen.
Nach dem westfälischen Frieden kam noch der Herzog von Baiern und im
Jahre 1692 der Herzog von Hannover hinzu, so daß es bis 1777 neun Kur¬
fürsten gegeben hat. Durch das Aussterben des pfälzischen Kurhauses reduzirte
sich von da ab wieder die Zahl auf acht. Der Reichsfürstenrath bestand im
Jahre 1792 aus 61 weltlichen und 33 geistlichen Reichsstandschaften mit Viril¬
stimmen, so wie aus vier Grafen- und zwei Prälateubänken, welche nnr
Curiatstimmen besaßen. Die vier Grafenbänke wurden von 144 Gliedern
eingenommen, während auf den beiden Prälatenbänken 23 Prälaten, 14 Aevti-
sinnen und 2 Komthure des deutschen Ordens stimmberechtigt waren. Im
Kollegium der Reichsstädte endlich, als drittes Glied des Reichstages, waren
auf zwei Bänken 51 freie Reichsstädte vertreten.


Grenzboten II. 1873. 41
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[0325] Der deutsche Kaiser und das Keich sonst und jetzt. An der Spitze der „erlauchten Fürstenrepublik des deutschen Reichs", wie man Deutschland im vorigen Jahrhundert wohl nannte, stand der erwählte römische Kaiser. Konzentrirte sich in ihm auch die Reichssouveränität, so war er jedoch keineswegs alleiniger Inhaber der Reichsstaatsgewalt, vielmehr nahmen daran die Reichsversammlungen, deren Mitglieder Reichsstände hießen, den wesentlichsten Antheil. Nichts destoweniger blieb jedoch, wenigstens in der Theorie, jeder einzelne Reichsstand Unterthan des Kaisers. Die Gesammtheit der Reichsstünde, der Reichstag, auf dessen Wirksamkeit wir später noch einmal zurückkommen werden, theilte sich seit dem späteren Mittelalter in drei Kollegia oder Räthe und zwar in die der Kurfürsten, Fürsten und Städte. Jedes der drei Kollegien hatte seine abgesonderten Versammlungen, resp. Berathungen und nnr durch freie Vereinbarung zwischen allen dreien entstand ein Reichsgutachten, welches durch die hinzukommende kaiserliche Rati¬ fikation zu einem Reichsschluß erhoben wurde. Das ausschließlich zur Wahl des Kaisers berechtigte Kurfiirsten-Kollegium bestand bekanntlich bis zum dreißigjährigen Kriege aus sieben Reichsständen. Nach dem westfälischen Frieden kam noch der Herzog von Baiern und im Jahre 1692 der Herzog von Hannover hinzu, so daß es bis 1777 neun Kur¬ fürsten gegeben hat. Durch das Aussterben des pfälzischen Kurhauses reduzirte sich von da ab wieder die Zahl auf acht. Der Reichsfürstenrath bestand im Jahre 1792 aus 61 weltlichen und 33 geistlichen Reichsstandschaften mit Viril¬ stimmen, so wie aus vier Grafen- und zwei Prälateubänken, welche nnr Curiatstimmen besaßen. Die vier Grafenbänke wurden von 144 Gliedern eingenommen, während auf den beiden Prälatenbänken 23 Prälaten, 14 Aevti- sinnen und 2 Komthure des deutschen Ordens stimmberechtigt waren. Im Kollegium der Reichsstädte endlich, als drittes Glied des Reichstages, waren auf zwei Bänken 51 freie Reichsstädte vertreten. Grenzboten II. 1873. 41

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/325>, abgerufen am 28.12.2024.