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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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Die Tabaksfrage.
Eine stacits- und volkswirtschaftliche Studie.

Wer sich mit Hörern oder Lesern über ein schwieriges und verwickeltes
Problem verständigen will, hat zunächst die Pflicht, sein Thema genan und
scharf abzugrenzen. Sollen nicht falsche Erwartungen erweckt werden, bedarf
die Ueberschrift dieser Zeilen einer näheren Erläuterung, einer schärferen Fassung.
Die Tabaksfrage im allgemeinen Sinne des Wortes auch nur mit annähernder
Gründlichkeit zu erörtern, würde mehr Bände erfordern, als hier Seiten be¬
ansprucht werden dürfen; selbst nur die geschichtliche Bedeutung des Tabaks
für das deutsche Volk schildern, hieße die deutsche Geschichte seit dem dreißig¬
jährigen Kriege schreiben. "Tabak, so wie sie ihn einmal sahen," schreibt
Carlyle, selbst ein leidenschaftlicher Raucher, "ward von den deutschen Völker¬
schaften, denen lange ein solcher Artikel mangelte, enthusiastisch angeeignet und
hat von der Zeit an wichtige, mannigfaltige Funktionen in dem Lande aus¬
geübt. Denn wohl lassen sich, in politischen, in sittlichen, in allen Bereichen
ihrer praktischen und spekulativen Dinge, seine Einflüsse, gut oder schlimm, bis
zum heutigen Tage spüren." Solche geschichtsphilvsophischen Gesichtspunkte
bleiben hier außer Betracht.

Denn es ist ein ungleich aktuelleres und brcnneuderes Interesse, welches
sich heute für jeden deutschen Patrioten an das vielgelobte und vielgescholtene
Kraut heftet. Seitdem der Reichskanzler vor zwei Monaten in der deutschen
Volksvertretung das Monopol als das letzte ideale Ziel bezeichnete, welches er
in feinem Leben noch für das Reich zu erreichen wünsche, ist die Tabaksfrage
im eminentester Sinne des Wortes eine vaterländische Frage geworden, welche
weit über den Horizont der Partei- und Tagespolitik greift und sich unlöslich
mit dein Probleme des gewaltigsten, nationalen Fortschritts seit 1870 und 1871
verflicht. Es handelt sich um nicht mehr und nicht weniger, als um die innere
Konsolidirung und Konstitnirnng des deutsche" Reichs auf dauernden und


Grenzboten II. 1373. 36
Die Tabaksfrage.
Eine stacits- und volkswirtschaftliche Studie.

Wer sich mit Hörern oder Lesern über ein schwieriges und verwickeltes
Problem verständigen will, hat zunächst die Pflicht, sein Thema genan und
scharf abzugrenzen. Sollen nicht falsche Erwartungen erweckt werden, bedarf
die Ueberschrift dieser Zeilen einer näheren Erläuterung, einer schärferen Fassung.
Die Tabaksfrage im allgemeinen Sinne des Wortes auch nur mit annähernder
Gründlichkeit zu erörtern, würde mehr Bände erfordern, als hier Seiten be¬
ansprucht werden dürfen; selbst nur die geschichtliche Bedeutung des Tabaks
für das deutsche Volk schildern, hieße die deutsche Geschichte seit dem dreißig¬
jährigen Kriege schreiben. „Tabak, so wie sie ihn einmal sahen," schreibt
Carlyle, selbst ein leidenschaftlicher Raucher, „ward von den deutschen Völker¬
schaften, denen lange ein solcher Artikel mangelte, enthusiastisch angeeignet und
hat von der Zeit an wichtige, mannigfaltige Funktionen in dem Lande aus¬
geübt. Denn wohl lassen sich, in politischen, in sittlichen, in allen Bereichen
ihrer praktischen und spekulativen Dinge, seine Einflüsse, gut oder schlimm, bis
zum heutigen Tage spüren." Solche geschichtsphilvsophischen Gesichtspunkte
bleiben hier außer Betracht.

Denn es ist ein ungleich aktuelleres und brcnneuderes Interesse, welches
sich heute für jeden deutschen Patrioten an das vielgelobte und vielgescholtene
Kraut heftet. Seitdem der Reichskanzler vor zwei Monaten in der deutschen
Volksvertretung das Monopol als das letzte ideale Ziel bezeichnete, welches er
in feinem Leben noch für das Reich zu erreichen wünsche, ist die Tabaksfrage
im eminentester Sinne des Wortes eine vaterländische Frage geworden, welche
weit über den Horizont der Partei- und Tagespolitik greift und sich unlöslich
mit dein Probleme des gewaltigsten, nationalen Fortschritts seit 1870 und 1871
verflicht. Es handelt sich um nicht mehr und nicht weniger, als um die innere
Konsolidirung und Konstitnirnng des deutsche» Reichs auf dauernden und


Grenzboten II. 1373. 36
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[0285] Die Tabaksfrage. Eine stacits- und volkswirtschaftliche Studie. Wer sich mit Hörern oder Lesern über ein schwieriges und verwickeltes Problem verständigen will, hat zunächst die Pflicht, sein Thema genan und scharf abzugrenzen. Sollen nicht falsche Erwartungen erweckt werden, bedarf die Ueberschrift dieser Zeilen einer näheren Erläuterung, einer schärferen Fassung. Die Tabaksfrage im allgemeinen Sinne des Wortes auch nur mit annähernder Gründlichkeit zu erörtern, würde mehr Bände erfordern, als hier Seiten be¬ ansprucht werden dürfen; selbst nur die geschichtliche Bedeutung des Tabaks für das deutsche Volk schildern, hieße die deutsche Geschichte seit dem dreißig¬ jährigen Kriege schreiben. „Tabak, so wie sie ihn einmal sahen," schreibt Carlyle, selbst ein leidenschaftlicher Raucher, „ward von den deutschen Völker¬ schaften, denen lange ein solcher Artikel mangelte, enthusiastisch angeeignet und hat von der Zeit an wichtige, mannigfaltige Funktionen in dem Lande aus¬ geübt. Denn wohl lassen sich, in politischen, in sittlichen, in allen Bereichen ihrer praktischen und spekulativen Dinge, seine Einflüsse, gut oder schlimm, bis zum heutigen Tage spüren." Solche geschichtsphilvsophischen Gesichtspunkte bleiben hier außer Betracht. Denn es ist ein ungleich aktuelleres und brcnneuderes Interesse, welches sich heute für jeden deutschen Patrioten an das vielgelobte und vielgescholtene Kraut heftet. Seitdem der Reichskanzler vor zwei Monaten in der deutschen Volksvertretung das Monopol als das letzte ideale Ziel bezeichnete, welches er in feinem Leben noch für das Reich zu erreichen wünsche, ist die Tabaksfrage im eminentester Sinne des Wortes eine vaterländische Frage geworden, welche weit über den Horizont der Partei- und Tagespolitik greift und sich unlöslich mit dein Probleme des gewaltigsten, nationalen Fortschritts seit 1870 und 1871 verflicht. Es handelt sich um nicht mehr und nicht weniger, als um die innere Konsolidirung und Konstitnirnng des deutsche» Reichs auf dauernden und Grenzboten II. 1373. 36

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/285>, abgerufen am 27.07.2024.