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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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Klosterleben zur Zeit der Uuflilärung.
(Aus dem Tagebuche eines Mönches.) Von Adolf Buff. II.

Die oppositionellen Patres von Neresheim beschäftigten sich mit deut¬
schen und französischen Philosophen, auch mit der neueren schönen Literatur.
Französische Schriftsteller *) müssen vielfach in das Kloster gedrungen sein, ob¬
gleich von vornherein jedes in einer modernen Sprache geschriebene Buch
etwas Anrüchiges hatte. "Deutsche Bücher" wurden in einem Kapitel von dem
?. Prior "für durchaus schlechte Bücher" erklärt -- heißt es 1779 -- und
"aus einem französischen Autor zu meditieren" war ganz verboten. "Bei diesem
gelehrten Manne", bemerkt ein andermal unser ?. Karolus bissig, "sind über¬
haupt alle Bücher verboten, ärgerlich, schädlich...., welche in Berlin oder
Leipzig gedruckt sind." Der I>. Placidus Calligari erzählt im Juli 1780:
"Heute kam ich auch von ungefähr ins Priorat; ich bat mir aufs höflichste
den mir vom ?. Prior unlängst weggenommenem ersten Theil des Eduard
Joung aus, weil ?. Prior neulich sagte, er wollte ihn lesen." -- "O ja!"
sprach er heute, "ich habe ihn gelesen." "Doch", versetzt' ich, "nichts verfäng¬
liches darin gefunden?" "Das eben nicht", antwortete er, "aber eine Moral
von einem Lutheraner, wenn sie auch gleich geistreiche Dinge enthält, soll nie
ein Religiös lesen." Darauf hielt er tüchtig Musterung über uns Kavitularen,
die das einem Religiösen allein zustehende Studium der Theologie vernach-
läßigten und sich mit den schönen Wißenschaften abgaben, die er eitle Poßeu,
Kindereien und dem einst am Altare abgelegten Gelübdsschwure entgegen
stehende Aergernisse nannte. Ich sagte lachend: "Haben wir denn nicht zu¬
gleich vitam activen? Wir sind Professores, wir kommen oder wir sind in
Aemtern, wo wir mit Weltlenker oft zu thun haben; wenn wir dann nicht
von den itzigen, so sehr von jedem Stande gefoderteu schönen Wißenschaften
zu sprechen wißen, welch' eine Prostitution wäre dies?" Augenblicklich wurde
mir die Prioratsthüre gewiesen, mit dem Beisatze, meinen Aoung sollte ich
nimmer sehen, er wüßte, daß ich noch mehrere Bände davon hätte, und anch



*) Meistens wohl in Ueversetzung, denn die seltsame Schreibung französischer Worte in
den im Kloster verfaßten Schriften läßt gerade nicht auf intime Bekanntschaft mit dieser
Sprache schließen. Doch hielt schon der Abt Benedikt Maria einen französischen Sprach¬
lehrer für die Klosterschule. Später gaben die Siege der französischen Truppen neuen Anstoß
zu französischen Sprachstudien. Auch hatte man häufig ans französischen Klöstern vertriebene
Mönche zu Besuch, von denen man sich ebenfalls zu lernen bestrebte.
Klosterleben zur Zeit der Uuflilärung.
(Aus dem Tagebuche eines Mönches.) Von Adolf Buff. II.

Die oppositionellen Patres von Neresheim beschäftigten sich mit deut¬
schen und französischen Philosophen, auch mit der neueren schönen Literatur.
Französische Schriftsteller *) müssen vielfach in das Kloster gedrungen sein, ob¬
gleich von vornherein jedes in einer modernen Sprache geschriebene Buch
etwas Anrüchiges hatte. „Deutsche Bücher" wurden in einem Kapitel von dem
?. Prior „für durchaus schlechte Bücher" erklärt — heißt es 1779 — und
„aus einem französischen Autor zu meditieren" war ganz verboten. „Bei diesem
gelehrten Manne", bemerkt ein andermal unser ?. Karolus bissig, „sind über¬
haupt alle Bücher verboten, ärgerlich, schädlich...., welche in Berlin oder
Leipzig gedruckt sind." Der I>. Placidus Calligari erzählt im Juli 1780:
„Heute kam ich auch von ungefähr ins Priorat; ich bat mir aufs höflichste
den mir vom ?. Prior unlängst weggenommenem ersten Theil des Eduard
Joung aus, weil ?. Prior neulich sagte, er wollte ihn lesen." — „O ja!"
sprach er heute, „ich habe ihn gelesen." „Doch", versetzt' ich, „nichts verfäng¬
liches darin gefunden?" „Das eben nicht", antwortete er, „aber eine Moral
von einem Lutheraner, wenn sie auch gleich geistreiche Dinge enthält, soll nie
ein Religiös lesen." Darauf hielt er tüchtig Musterung über uns Kavitularen,
die das einem Religiösen allein zustehende Studium der Theologie vernach-
läßigten und sich mit den schönen Wißenschaften abgaben, die er eitle Poßeu,
Kindereien und dem einst am Altare abgelegten Gelübdsschwure entgegen
stehende Aergernisse nannte. Ich sagte lachend: „Haben wir denn nicht zu¬
gleich vitam activen? Wir sind Professores, wir kommen oder wir sind in
Aemtern, wo wir mit Weltlenker oft zu thun haben; wenn wir dann nicht
von den itzigen, so sehr von jedem Stande gefoderteu schönen Wißenschaften
zu sprechen wißen, welch' eine Prostitution wäre dies?" Augenblicklich wurde
mir die Prioratsthüre gewiesen, mit dem Beisatze, meinen Aoung sollte ich
nimmer sehen, er wüßte, daß ich noch mehrere Bände davon hätte, und anch



*) Meistens wohl in Ueversetzung, denn die seltsame Schreibung französischer Worte in
den im Kloster verfaßten Schriften läßt gerade nicht auf intime Bekanntschaft mit dieser
Sprache schließen. Doch hielt schon der Abt Benedikt Maria einen französischen Sprach¬
lehrer für die Klosterschule. Später gaben die Siege der französischen Truppen neuen Anstoß
zu französischen Sprachstudien. Auch hatte man häufig ans französischen Klöstern vertriebene
Mönche zu Besuch, von denen man sich ebenfalls zu lernen bestrebte.
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[0458] Klosterleben zur Zeit der Uuflilärung. (Aus dem Tagebuche eines Mönches.) Von Adolf Buff. II. Die oppositionellen Patres von Neresheim beschäftigten sich mit deut¬ schen und französischen Philosophen, auch mit der neueren schönen Literatur. Französische Schriftsteller *) müssen vielfach in das Kloster gedrungen sein, ob¬ gleich von vornherein jedes in einer modernen Sprache geschriebene Buch etwas Anrüchiges hatte. „Deutsche Bücher" wurden in einem Kapitel von dem ?. Prior „für durchaus schlechte Bücher" erklärt — heißt es 1779 — und „aus einem französischen Autor zu meditieren" war ganz verboten. „Bei diesem gelehrten Manne", bemerkt ein andermal unser ?. Karolus bissig, „sind über¬ haupt alle Bücher verboten, ärgerlich, schädlich...., welche in Berlin oder Leipzig gedruckt sind." Der I>. Placidus Calligari erzählt im Juli 1780: „Heute kam ich auch von ungefähr ins Priorat; ich bat mir aufs höflichste den mir vom ?. Prior unlängst weggenommenem ersten Theil des Eduard Joung aus, weil ?. Prior neulich sagte, er wollte ihn lesen." — „O ja!" sprach er heute, „ich habe ihn gelesen." „Doch", versetzt' ich, „nichts verfäng¬ liches darin gefunden?" „Das eben nicht", antwortete er, „aber eine Moral von einem Lutheraner, wenn sie auch gleich geistreiche Dinge enthält, soll nie ein Religiös lesen." Darauf hielt er tüchtig Musterung über uns Kavitularen, die das einem Religiösen allein zustehende Studium der Theologie vernach- läßigten und sich mit den schönen Wißenschaften abgaben, die er eitle Poßeu, Kindereien und dem einst am Altare abgelegten Gelübdsschwure entgegen stehende Aergernisse nannte. Ich sagte lachend: „Haben wir denn nicht zu¬ gleich vitam activen? Wir sind Professores, wir kommen oder wir sind in Aemtern, wo wir mit Weltlenker oft zu thun haben; wenn wir dann nicht von den itzigen, so sehr von jedem Stande gefoderteu schönen Wißenschaften zu sprechen wißen, welch' eine Prostitution wäre dies?" Augenblicklich wurde mir die Prioratsthüre gewiesen, mit dem Beisatze, meinen Aoung sollte ich nimmer sehen, er wüßte, daß ich noch mehrere Bände davon hätte, und anch *) Meistens wohl in Ueversetzung, denn die seltsame Schreibung französischer Worte in den im Kloster verfaßten Schriften läßt gerade nicht auf intime Bekanntschaft mit dieser Sprache schließen. Doch hielt schon der Abt Benedikt Maria einen französischen Sprach¬ lehrer für die Klosterschule. Später gaben die Siege der französischen Truppen neuen Anstoß zu französischen Sprachstudien. Auch hatte man häufig ans französischen Klöstern vertriebene Mönche zu Besuch, von denen man sich ebenfalls zu lernen bestrebte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/458>, abgerufen am 21.10.2024.