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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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Jas geistige Leben Königsbergs in der Zeit des
dreißigjährigen Krieges.
Von H. Jacoby.

Während das deutsche Reich von tausend Wunden blutete, die Fremde
und die eigenen Söhne in gleichem Maße ihm geschlagen hatten; in der
furchtbarsten Zeit, die je über unser geliebtes Vaterland gekommen ist; der
Zeit jener langen dreißig Jahre des siebenzehnten Jahrhunderts, die, erfüllt
von unsagbaren Jammer und unmenschlichem Gräuel, mit herzerschütternden
Tönen zu uns reden, war Ostpreußen und besonders Königsberg, in einzig
glücklicher Lage. Wie eine abgeschlossene Insel blieben sie vor den Verwüstungen,
unter denen ganz Deutschland seufzte, verschont. Und so konnte hier das ans
Deutschlands Gauen flüchtende Kulturleben eine gesicherte Freistatt finden.
Freilich völlig vor kriegerischen Stürmen geschützt war Ostpreußen nicht. Der
schwedisch-polnische Krieg zog sich auch bis hierher, wenn auch Königsberg
wenig davon berührt wurde. Im Krieg von 1626 hatte es sich durch einen
Neutralitätsvertrag mit Gustav Adolf gesichert und blieb so, wenn auch nicht
vor drückenden finanziellen Verlusten, so doch vor den unmittelbaren Drangsalen
des Krieges bewahrt. Näher rückte die Kriegsgefahr für Königsberg im
Jahre 1655. Schon lagerten die Schweden vor den Thoren Königsbergs, zu
Wasser und zu Lande war der Verkehr aufgehoben, die Theuerung der Lebens¬
mittel nahm in bedrohlicher Weise zu, in jedem Augenblick befürchtete man
das Bombardement der Stadt, alles war in den Waffen, um den Angriff der
Feinde abzuwehren, als die Vereinigung des großen Churfürsten mit den
Schweden rettend dazwischen trat. Und noch von anderer Seite her hatte
Königsberg in jener Zeit zu leiden; verheerende Epidemien wütheten mehrfach
und forderten zahlreiche Opfer. Von Anfang bis Mitte des Jahrhunderts
herrschte die Pest viermal in den Mauern der Stadt, die ersten Male 1602
und l620 mit unwiderstehlicher Gewalt, mag anch die Ueberlieferung welche


Grenzboton III. 1677. Ill
Jas geistige Leben Königsbergs in der Zeit des
dreißigjährigen Krieges.
Von H. Jacoby.

Während das deutsche Reich von tausend Wunden blutete, die Fremde
und die eigenen Söhne in gleichem Maße ihm geschlagen hatten; in der
furchtbarsten Zeit, die je über unser geliebtes Vaterland gekommen ist; der
Zeit jener langen dreißig Jahre des siebenzehnten Jahrhunderts, die, erfüllt
von unsagbaren Jammer und unmenschlichem Gräuel, mit herzerschütternden
Tönen zu uns reden, war Ostpreußen und besonders Königsberg, in einzig
glücklicher Lage. Wie eine abgeschlossene Insel blieben sie vor den Verwüstungen,
unter denen ganz Deutschland seufzte, verschont. Und so konnte hier das ans
Deutschlands Gauen flüchtende Kulturleben eine gesicherte Freistatt finden.
Freilich völlig vor kriegerischen Stürmen geschützt war Ostpreußen nicht. Der
schwedisch-polnische Krieg zog sich auch bis hierher, wenn auch Königsberg
wenig davon berührt wurde. Im Krieg von 1626 hatte es sich durch einen
Neutralitätsvertrag mit Gustav Adolf gesichert und blieb so, wenn auch nicht
vor drückenden finanziellen Verlusten, so doch vor den unmittelbaren Drangsalen
des Krieges bewahrt. Näher rückte die Kriegsgefahr für Königsberg im
Jahre 1655. Schon lagerten die Schweden vor den Thoren Königsbergs, zu
Wasser und zu Lande war der Verkehr aufgehoben, die Theuerung der Lebens¬
mittel nahm in bedrohlicher Weise zu, in jedem Augenblick befürchtete man
das Bombardement der Stadt, alles war in den Waffen, um den Angriff der
Feinde abzuwehren, als die Vereinigung des großen Churfürsten mit den
Schweden rettend dazwischen trat. Und noch von anderer Seite her hatte
Königsberg in jener Zeit zu leiden; verheerende Epidemien wütheten mehrfach
und forderten zahlreiche Opfer. Von Anfang bis Mitte des Jahrhunderts
herrschte die Pest viermal in den Mauern der Stadt, die ersten Male 1602
und l620 mit unwiderstehlicher Gewalt, mag anch die Ueberlieferung welche


Grenzboton III. 1677. Ill
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[0129] Jas geistige Leben Königsbergs in der Zeit des dreißigjährigen Krieges. Von H. Jacoby. Während das deutsche Reich von tausend Wunden blutete, die Fremde und die eigenen Söhne in gleichem Maße ihm geschlagen hatten; in der furchtbarsten Zeit, die je über unser geliebtes Vaterland gekommen ist; der Zeit jener langen dreißig Jahre des siebenzehnten Jahrhunderts, die, erfüllt von unsagbaren Jammer und unmenschlichem Gräuel, mit herzerschütternden Tönen zu uns reden, war Ostpreußen und besonders Königsberg, in einzig glücklicher Lage. Wie eine abgeschlossene Insel blieben sie vor den Verwüstungen, unter denen ganz Deutschland seufzte, verschont. Und so konnte hier das ans Deutschlands Gauen flüchtende Kulturleben eine gesicherte Freistatt finden. Freilich völlig vor kriegerischen Stürmen geschützt war Ostpreußen nicht. Der schwedisch-polnische Krieg zog sich auch bis hierher, wenn auch Königsberg wenig davon berührt wurde. Im Krieg von 1626 hatte es sich durch einen Neutralitätsvertrag mit Gustav Adolf gesichert und blieb so, wenn auch nicht vor drückenden finanziellen Verlusten, so doch vor den unmittelbaren Drangsalen des Krieges bewahrt. Näher rückte die Kriegsgefahr für Königsberg im Jahre 1655. Schon lagerten die Schweden vor den Thoren Königsbergs, zu Wasser und zu Lande war der Verkehr aufgehoben, die Theuerung der Lebens¬ mittel nahm in bedrohlicher Weise zu, in jedem Augenblick befürchtete man das Bombardement der Stadt, alles war in den Waffen, um den Angriff der Feinde abzuwehren, als die Vereinigung des großen Churfürsten mit den Schweden rettend dazwischen trat. Und noch von anderer Seite her hatte Königsberg in jener Zeit zu leiden; verheerende Epidemien wütheten mehrfach und forderten zahlreiche Opfer. Von Anfang bis Mitte des Jahrhunderts herrschte die Pest viermal in den Mauern der Stadt, die ersten Male 1602 und l620 mit unwiderstehlicher Gewalt, mag anch die Ueberlieferung welche Grenzboton III. 1677. Ill

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/129>, abgerufen am 28.09.2024.