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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Dom preußischen Landtag.

Am 10. März hatte das Centrum, wie bereits im vorigen Brief erwähnt,
die Bewilligung des Gehaltes für den Kultusminister benutzt, um seine --
des Centrums -- Stellung zur evangelischen Kirchenverfassung zur Sprache
zu bringen. Die Herren fanden plötzlich, durch das dem König in seiner
Verfassung bestätigte Regiment der evangelischen Kirche sei derselbe nicht mehr
ein König für alle Confessionen im preußischen Staat, und der Unterrichts¬
minister kein Unterrichtsminister für alle Confessionen und ebensowenig ein
Minister für die interconfessionellen Verhältnisse. Man muß wohl fragen,
wie die Herren sich die Stellung des Königs und des Kultusministers zur
Religion denken, so lange sie an ihrer Forderung des sogenannten paritäti¬
schen Staates festhalten. Erwünscht wäre ihnen sicherlich ein katholischer
König, der jede andere Confession ausschlösse. Man kann ja auch gegen
Wünsche nichts haben. Da die Dinge aber einmal nicht so sind und auch
nicht so gemacht werden können, so scheint es beinahe, die Herren vom Cen¬
trum verlangen einen König und einen Kultusminister, die gar keine Religion
haben. Denn nur eine solche Regierung würde allen religiösen Richtungen
gleich fern und gleich nahe stehen. Es ist dies aber ein Gedanke, der zwar
in der Consequenz der vom Centrum aufgestellten Behauptungen liegt, den
jedoch Niemand leicht aussprechen wird. So wird es auch wohl in Preußen
bei dem sein Bewenden haben, was in allen modernen Staaten gilt: daß
Regierung und Staat einer bestimmten Confession angehören ohne dadurch
verhindert zu werden, den andern Confessionen und Religionen alle Gerechtig¬
keit und Duldung zu gewähren, die sich mit dem Staatsinteresse verträgt.

Am 13. März gelangten die Ausgaben für die unter dem Kultus¬
ministerium stehenden Unterrichtsbehörden und weiterhin für die Unterrichts¬
anstalten zur Berathung. Das Centrum fand hier einen neuen Anlaß zur
Klage über die Handhabung der Schulausstcht, seitdem dieselbe für die katho¬
lischen wie für alle Schulen der Kirche als solcher entzogen ist und lediglich
geübt wird im Auftrag des Staates, sei es durch Geistliche, sei es durch
nichtgeistliche. Die Redner des Centrums behaupteten, durch diese Schulauf¬
sicht werde der confessionelle Charakter des Religionsunterrichts abgeschwächt.
Das mag bis zu einem gewissen Grade richtig sein. Aber es ist die glor¬
reiche Praxis der preußischen Regenten seit dem großen Kurfürsten, eine
Praxis, ohne welche der Friede im Staat von confessionell gemischter Bevöl¬
kerung nicht aufrecht zu halten ist. Soll etwa die katholische Jugend im
Schulunterricht gelehrt werden, von den Lutheranern nur Uebles zu denken,


GrmMen I, 187V. 64
Dom preußischen Landtag.

Am 10. März hatte das Centrum, wie bereits im vorigen Brief erwähnt,
die Bewilligung des Gehaltes für den Kultusminister benutzt, um seine —
des Centrums — Stellung zur evangelischen Kirchenverfassung zur Sprache
zu bringen. Die Herren fanden plötzlich, durch das dem König in seiner
Verfassung bestätigte Regiment der evangelischen Kirche sei derselbe nicht mehr
ein König für alle Confessionen im preußischen Staat, und der Unterrichts¬
minister kein Unterrichtsminister für alle Confessionen und ebensowenig ein
Minister für die interconfessionellen Verhältnisse. Man muß wohl fragen,
wie die Herren sich die Stellung des Königs und des Kultusministers zur
Religion denken, so lange sie an ihrer Forderung des sogenannten paritäti¬
schen Staates festhalten. Erwünscht wäre ihnen sicherlich ein katholischer
König, der jede andere Confession ausschlösse. Man kann ja auch gegen
Wünsche nichts haben. Da die Dinge aber einmal nicht so sind und auch
nicht so gemacht werden können, so scheint es beinahe, die Herren vom Cen¬
trum verlangen einen König und einen Kultusminister, die gar keine Religion
haben. Denn nur eine solche Regierung würde allen religiösen Richtungen
gleich fern und gleich nahe stehen. Es ist dies aber ein Gedanke, der zwar
in der Consequenz der vom Centrum aufgestellten Behauptungen liegt, den
jedoch Niemand leicht aussprechen wird. So wird es auch wohl in Preußen
bei dem sein Bewenden haben, was in allen modernen Staaten gilt: daß
Regierung und Staat einer bestimmten Confession angehören ohne dadurch
verhindert zu werden, den andern Confessionen und Religionen alle Gerechtig¬
keit und Duldung zu gewähren, die sich mit dem Staatsinteresse verträgt.

Am 13. März gelangten die Ausgaben für die unter dem Kultus¬
ministerium stehenden Unterrichtsbehörden und weiterhin für die Unterrichts¬
anstalten zur Berathung. Das Centrum fand hier einen neuen Anlaß zur
Klage über die Handhabung der Schulausstcht, seitdem dieselbe für die katho¬
lischen wie für alle Schulen der Kirche als solcher entzogen ist und lediglich
geübt wird im Auftrag des Staates, sei es durch Geistliche, sei es durch
nichtgeistliche. Die Redner des Centrums behaupteten, durch diese Schulauf¬
sicht werde der confessionelle Charakter des Religionsunterrichts abgeschwächt.
Das mag bis zu einem gewissen Grade richtig sein. Aber es ist die glor¬
reiche Praxis der preußischen Regenten seit dem großen Kurfürsten, eine
Praxis, ohne welche der Friede im Staat von confessionell gemischter Bevöl¬
kerung nicht aufrecht zu halten ist. Soll etwa die katholische Jugend im
Schulunterricht gelehrt werden, von den Lutheranern nur Uebles zu denken,


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[0513] Dom preußischen Landtag. Am 10. März hatte das Centrum, wie bereits im vorigen Brief erwähnt, die Bewilligung des Gehaltes für den Kultusminister benutzt, um seine — des Centrums — Stellung zur evangelischen Kirchenverfassung zur Sprache zu bringen. Die Herren fanden plötzlich, durch das dem König in seiner Verfassung bestätigte Regiment der evangelischen Kirche sei derselbe nicht mehr ein König für alle Confessionen im preußischen Staat, und der Unterrichts¬ minister kein Unterrichtsminister für alle Confessionen und ebensowenig ein Minister für die interconfessionellen Verhältnisse. Man muß wohl fragen, wie die Herren sich die Stellung des Königs und des Kultusministers zur Religion denken, so lange sie an ihrer Forderung des sogenannten paritäti¬ schen Staates festhalten. Erwünscht wäre ihnen sicherlich ein katholischer König, der jede andere Confession ausschlösse. Man kann ja auch gegen Wünsche nichts haben. Da die Dinge aber einmal nicht so sind und auch nicht so gemacht werden können, so scheint es beinahe, die Herren vom Cen¬ trum verlangen einen König und einen Kultusminister, die gar keine Religion haben. Denn nur eine solche Regierung würde allen religiösen Richtungen gleich fern und gleich nahe stehen. Es ist dies aber ein Gedanke, der zwar in der Consequenz der vom Centrum aufgestellten Behauptungen liegt, den jedoch Niemand leicht aussprechen wird. So wird es auch wohl in Preußen bei dem sein Bewenden haben, was in allen modernen Staaten gilt: daß Regierung und Staat einer bestimmten Confession angehören ohne dadurch verhindert zu werden, den andern Confessionen und Religionen alle Gerechtig¬ keit und Duldung zu gewähren, die sich mit dem Staatsinteresse verträgt. Am 13. März gelangten die Ausgaben für die unter dem Kultus¬ ministerium stehenden Unterrichtsbehörden und weiterhin für die Unterrichts¬ anstalten zur Berathung. Das Centrum fand hier einen neuen Anlaß zur Klage über die Handhabung der Schulausstcht, seitdem dieselbe für die katho¬ lischen wie für alle Schulen der Kirche als solcher entzogen ist und lediglich geübt wird im Auftrag des Staates, sei es durch Geistliche, sei es durch nichtgeistliche. Die Redner des Centrums behaupteten, durch diese Schulauf¬ sicht werde der confessionelle Charakter des Religionsunterrichts abgeschwächt. Das mag bis zu einem gewissen Grade richtig sein. Aber es ist die glor¬ reiche Praxis der preußischen Regenten seit dem großen Kurfürsten, eine Praxis, ohne welche der Friede im Staat von confessionell gemischter Bevöl¬ kerung nicht aufrecht zu halten ist. Soll etwa die katholische Jugend im Schulunterricht gelehrt werden, von den Lutheranern nur Uebles zu denken, GrmMen I, 187V. 64

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/513>, abgerufen am 22.07.2024.