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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Gberst Kellers.^)

Wir haben neulich in Tillier's "Onkel Benjamin" einen sehr komischen
Franzosen kennen gelernt. Die neuesten beiden Bände der "Amerikanischen
H u in o rise e n" stellen demselben einen nichr weniger komischen Uankee an die
Seite. Wie jener, so hat auch dieser entschiedenen Anspruch auf einen Platz in
der Tafelrunde, an der sich, ein Schauspiel für Götter und Menschen, der unsterb¬
liche Spanier, der Ritter von der traurigen Gestalt und sein Knappe an den un¬
sterblichen Briten Falstaff, und an diese weiter unten Mr. Pickwick und Sam
BZeller, der Onkel Bräfig, Spindler's Meister Kleiderleib und andere närrische
Käuze und lustige Gesellen kleineren Kalibers reihen. Das "Vergoldete
Zeitalter" ist als Ganzes nicht eigentlich ein Werk reinen Humors, der keine
andere Absicht hat, als die, komisch zu sein oder doch komisch zu scheinen, der
also immer naiv ist und handelt. Es ist eine Satire, die den Zweck ver¬
folgt, am Schicksal einer Familie, deren Glieder und Bekannte in verschiedene
Situationen gebracht werden, eine Anzahl der Hauptgebrechen, an denen das
öffentliche Leben in der Union leidet, aufzuzeigen und zu geißeln. An einer
Dampferfahrt auf dem Mississippi wird uns die unverantwortliche Tollkühn¬
heit vorgeführt, mit welcher hier die Kapitäne einander an Schnelligkeit zu
überbieten suchen. Der Vater jener Familie und mehrere seiner Freunde re-
Prcisentiren die Speculationssucht, welche selbst die untern Schichten der
amerikanischen Gesellschaft durchdringt. Wir sehen, wie der Schwindelgeist
der Unternehmer Eisenbahnen und Städte baut oder wenigstens projectirt.
Wir blicken in die Geheimnisse der Gründer auf der neuyorker Wallstreet und
begegnen dem geldmachenden Humbug noch auf zahlreichen andern Gebieten.
Nir lächeln verächtlich über den Dünkel und die albernen Manieren der
Glückspilze, welche einen guten Theil der vornehmen Welt in Washington
ausmachen. Den Hauptaccent ^aber legt die Satire auf die Corruption der
Rehrzahl der Congreßmitglieder, die uns namentlich im Senator Dilworthy
gezeichnet werden, aus die Intriguen der "Lobbyisten", welche bei vielen Ge¬
setzen dem Egoismus Einzelner zum Siege über das allgemeine Wohl ver¬
helfen , und auf die Bestechlichkeit der Gerichte, die in den letzten Jahren in
Mehrern Fällen geradezu gen Himmel schrie. Daß dabei einige Uebertreibungen
vorkommen, ist dem satirischen Dichter erlaubt, er schreibt ja nicht Geschichte,
sondern zeichnet Carricaturen, und so wäre das Ganze, -- abgesehen von einigen
Mängeln in der Composition, die durch eine neben der Haupterzählung her¬
laufende und sich nicht immer geschickt mit ihr verschlingende Nebengeschichte



*) Das vergoldete Zeitalter von Mark Twain und Ch, D. Warner, übersetzt von Moritz
Busch. Leipzig, 1870. Verlag von W. Gnmow.
Gberst Kellers.^)

Wir haben neulich in Tillier's „Onkel Benjamin" einen sehr komischen
Franzosen kennen gelernt. Die neuesten beiden Bände der „Amerikanischen
H u in o rise e n" stellen demselben einen nichr weniger komischen Uankee an die
Seite. Wie jener, so hat auch dieser entschiedenen Anspruch auf einen Platz in
der Tafelrunde, an der sich, ein Schauspiel für Götter und Menschen, der unsterb¬
liche Spanier, der Ritter von der traurigen Gestalt und sein Knappe an den un¬
sterblichen Briten Falstaff, und an diese weiter unten Mr. Pickwick und Sam
BZeller, der Onkel Bräfig, Spindler's Meister Kleiderleib und andere närrische
Käuze und lustige Gesellen kleineren Kalibers reihen. Das „Vergoldete
Zeitalter" ist als Ganzes nicht eigentlich ein Werk reinen Humors, der keine
andere Absicht hat, als die, komisch zu sein oder doch komisch zu scheinen, der
also immer naiv ist und handelt. Es ist eine Satire, die den Zweck ver¬
folgt, am Schicksal einer Familie, deren Glieder und Bekannte in verschiedene
Situationen gebracht werden, eine Anzahl der Hauptgebrechen, an denen das
öffentliche Leben in der Union leidet, aufzuzeigen und zu geißeln. An einer
Dampferfahrt auf dem Mississippi wird uns die unverantwortliche Tollkühn¬
heit vorgeführt, mit welcher hier die Kapitäne einander an Schnelligkeit zu
überbieten suchen. Der Vater jener Familie und mehrere seiner Freunde re-
Prcisentiren die Speculationssucht, welche selbst die untern Schichten der
amerikanischen Gesellschaft durchdringt. Wir sehen, wie der Schwindelgeist
der Unternehmer Eisenbahnen und Städte baut oder wenigstens projectirt.
Wir blicken in die Geheimnisse der Gründer auf der neuyorker Wallstreet und
begegnen dem geldmachenden Humbug noch auf zahlreichen andern Gebieten.
Nir lächeln verächtlich über den Dünkel und die albernen Manieren der
Glückspilze, welche einen guten Theil der vornehmen Welt in Washington
ausmachen. Den Hauptaccent ^aber legt die Satire auf die Corruption der
Rehrzahl der Congreßmitglieder, die uns namentlich im Senator Dilworthy
gezeichnet werden, aus die Intriguen der „Lobbyisten", welche bei vielen Ge¬
setzen dem Egoismus Einzelner zum Siege über das allgemeine Wohl ver¬
helfen , und auf die Bestechlichkeit der Gerichte, die in den letzten Jahren in
Mehrern Fällen geradezu gen Himmel schrie. Daß dabei einige Uebertreibungen
vorkommen, ist dem satirischen Dichter erlaubt, er schreibt ja nicht Geschichte,
sondern zeichnet Carricaturen, und so wäre das Ganze, — abgesehen von einigen
Mängeln in der Composition, die durch eine neben der Haupterzählung her¬
laufende und sich nicht immer geschickt mit ihr verschlingende Nebengeschichte



*) Das vergoldete Zeitalter von Mark Twain und Ch, D. Warner, übersetzt von Moritz
Busch. Leipzig, 1870. Verlag von W. Gnmow.
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[0339] Gberst Kellers.^) Wir haben neulich in Tillier's „Onkel Benjamin" einen sehr komischen Franzosen kennen gelernt. Die neuesten beiden Bände der „Amerikanischen H u in o rise e n" stellen demselben einen nichr weniger komischen Uankee an die Seite. Wie jener, so hat auch dieser entschiedenen Anspruch auf einen Platz in der Tafelrunde, an der sich, ein Schauspiel für Götter und Menschen, der unsterb¬ liche Spanier, der Ritter von der traurigen Gestalt und sein Knappe an den un¬ sterblichen Briten Falstaff, und an diese weiter unten Mr. Pickwick und Sam BZeller, der Onkel Bräfig, Spindler's Meister Kleiderleib und andere närrische Käuze und lustige Gesellen kleineren Kalibers reihen. Das „Vergoldete Zeitalter" ist als Ganzes nicht eigentlich ein Werk reinen Humors, der keine andere Absicht hat, als die, komisch zu sein oder doch komisch zu scheinen, der also immer naiv ist und handelt. Es ist eine Satire, die den Zweck ver¬ folgt, am Schicksal einer Familie, deren Glieder und Bekannte in verschiedene Situationen gebracht werden, eine Anzahl der Hauptgebrechen, an denen das öffentliche Leben in der Union leidet, aufzuzeigen und zu geißeln. An einer Dampferfahrt auf dem Mississippi wird uns die unverantwortliche Tollkühn¬ heit vorgeführt, mit welcher hier die Kapitäne einander an Schnelligkeit zu überbieten suchen. Der Vater jener Familie und mehrere seiner Freunde re- Prcisentiren die Speculationssucht, welche selbst die untern Schichten der amerikanischen Gesellschaft durchdringt. Wir sehen, wie der Schwindelgeist der Unternehmer Eisenbahnen und Städte baut oder wenigstens projectirt. Wir blicken in die Geheimnisse der Gründer auf der neuyorker Wallstreet und begegnen dem geldmachenden Humbug noch auf zahlreichen andern Gebieten. Nir lächeln verächtlich über den Dünkel und die albernen Manieren der Glückspilze, welche einen guten Theil der vornehmen Welt in Washington ausmachen. Den Hauptaccent ^aber legt die Satire auf die Corruption der Rehrzahl der Congreßmitglieder, die uns namentlich im Senator Dilworthy gezeichnet werden, aus die Intriguen der „Lobbyisten", welche bei vielen Ge¬ setzen dem Egoismus Einzelner zum Siege über das allgemeine Wohl ver¬ helfen , und auf die Bestechlichkeit der Gerichte, die in den letzten Jahren in Mehrern Fällen geradezu gen Himmel schrie. Daß dabei einige Uebertreibungen vorkommen, ist dem satirischen Dichter erlaubt, er schreibt ja nicht Geschichte, sondern zeichnet Carricaturen, und so wäre das Ganze, — abgesehen von einigen Mängeln in der Composition, die durch eine neben der Haupterzählung her¬ laufende und sich nicht immer geschickt mit ihr verschlingende Nebengeschichte *) Das vergoldete Zeitalter von Mark Twain und Ch, D. Warner, übersetzt von Moritz Busch. Leipzig, 1870. Verlag von W. Gnmow.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/339>, abgerufen am 22.07.2024.