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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Herrschaft unmittelbar gegenüber. Dazwischen deutscher und französischer Macht
von altersher bestehende Gegensatz wird unmittelbar nach Karl's Fall dadurch ver¬
schärft, daß Oesterreich großenteils das von Frankreich umworbene Burgun¬
dische Erbe antritt, und zumal aus diesem Grunde ist das Doppelkreuz vor
den Thoren Nancys ein weltgeschichtlicher Markstein.




Landeskirche und Landtag in ^reichen.
ii.

Wenn wir das Werk der neuen Verfassung für die evangelische Landes¬
kirche Preußens, welches durch die General-Synodalordnung zum Abschluß,
kommen soll, auf seinen unterscheidenden Charakter ansehen, so gewahren wir
zunächst, daß diese Verfassung auf nichts weniger ausgeht, als aus die soge¬
nannte Trennung der Kirche vom Staat. Was wir hier vor uns haben, ist
vielmehr eine eigenthümliche Gestaltung der Staatskirche. Nach dem Zustand,
wie er bis 1848 in Preußen bestand, war die evangelische Kirche die Landes¬
kirche und das letztere Wort konnte und sollte gar nichts Anderes bedeuten,
als die Staatskirche. Die evangelische Kirche stand unter dem landesherrlichen
Kirchenregiment und die Organe dieses Regimentes waren die weltlichen Staatsbe¬
hörden. Ein Theil der Kirchensachen wurde bei der zweiten Abtheilung der Bezirks¬
regierungen, bei der Abtheilung für Kirchen und Schulen bearbeitet. Als Provin-
zialinstanz fungirten die Consistorien. Aber auch diese waren nicht rein kirchliche
Behörden, sie waren mit den Provinzialschulcollegien verbunden und waren in ihrer
kirchlichen Thätigkeit das technische Organ des Oberpräsidenten. Die Centralinstanz
für das gesammte evangelische Kirchenwesen bildete der Cultusminister, der in
den vorgeschriebenen Fällen die Entscheidung des Königs einholen mußte. Dies
war der Unterschied der evangelischen von der katholischen Kirche in ihrer
Beziehung zum Staat in dem Preußen vor 1848: Der Staat übte gegen¬
über der katholischen Kirche nur das sogenannte Ms circa saers,: gegenüber
der evangelischen Kirche übte er das ^jus in saerg,. Die herrschend kirchen¬
rechtliche Theorie des sogenannten Territorialsystems schrieb zwar dem Staat
nur die äußere Kirchenhoheit, nicht aber das eigentliche ,sus in saerg, zu. Da
aber die evangelische Kirche keine kirchenregimentlichen Organe außer den


Herrschaft unmittelbar gegenüber. Dazwischen deutscher und französischer Macht
von altersher bestehende Gegensatz wird unmittelbar nach Karl's Fall dadurch ver¬
schärft, daß Oesterreich großenteils das von Frankreich umworbene Burgun¬
dische Erbe antritt, und zumal aus diesem Grunde ist das Doppelkreuz vor
den Thoren Nancys ein weltgeschichtlicher Markstein.




Landeskirche und Landtag in ^reichen.
ii.

Wenn wir das Werk der neuen Verfassung für die evangelische Landes¬
kirche Preußens, welches durch die General-Synodalordnung zum Abschluß,
kommen soll, auf seinen unterscheidenden Charakter ansehen, so gewahren wir
zunächst, daß diese Verfassung auf nichts weniger ausgeht, als aus die soge¬
nannte Trennung der Kirche vom Staat. Was wir hier vor uns haben, ist
vielmehr eine eigenthümliche Gestaltung der Staatskirche. Nach dem Zustand,
wie er bis 1848 in Preußen bestand, war die evangelische Kirche die Landes¬
kirche und das letztere Wort konnte und sollte gar nichts Anderes bedeuten,
als die Staatskirche. Die evangelische Kirche stand unter dem landesherrlichen
Kirchenregiment und die Organe dieses Regimentes waren die weltlichen Staatsbe¬
hörden. Ein Theil der Kirchensachen wurde bei der zweiten Abtheilung der Bezirks¬
regierungen, bei der Abtheilung für Kirchen und Schulen bearbeitet. Als Provin-
zialinstanz fungirten die Consistorien. Aber auch diese waren nicht rein kirchliche
Behörden, sie waren mit den Provinzialschulcollegien verbunden und waren in ihrer
kirchlichen Thätigkeit das technische Organ des Oberpräsidenten. Die Centralinstanz
für das gesammte evangelische Kirchenwesen bildete der Cultusminister, der in
den vorgeschriebenen Fällen die Entscheidung des Königs einholen mußte. Dies
war der Unterschied der evangelischen von der katholischen Kirche in ihrer
Beziehung zum Staat in dem Preußen vor 1848: Der Staat übte gegen¬
über der katholischen Kirche nur das sogenannte Ms circa saers,: gegenüber
der evangelischen Kirche übte er das ^jus in saerg,. Die herrschend kirchen¬
rechtliche Theorie des sogenannten Territorialsystems schrieb zwar dem Staat
nur die äußere Kirchenhoheit, nicht aber das eigentliche ,sus in saerg, zu. Da
aber die evangelische Kirche keine kirchenregimentlichen Organe außer den


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[0147] Herrschaft unmittelbar gegenüber. Dazwischen deutscher und französischer Macht von altersher bestehende Gegensatz wird unmittelbar nach Karl's Fall dadurch ver¬ schärft, daß Oesterreich großenteils das von Frankreich umworbene Burgun¬ dische Erbe antritt, und zumal aus diesem Grunde ist das Doppelkreuz vor den Thoren Nancys ein weltgeschichtlicher Markstein. Landeskirche und Landtag in ^reichen. ii. Wenn wir das Werk der neuen Verfassung für die evangelische Landes¬ kirche Preußens, welches durch die General-Synodalordnung zum Abschluß, kommen soll, auf seinen unterscheidenden Charakter ansehen, so gewahren wir zunächst, daß diese Verfassung auf nichts weniger ausgeht, als aus die soge¬ nannte Trennung der Kirche vom Staat. Was wir hier vor uns haben, ist vielmehr eine eigenthümliche Gestaltung der Staatskirche. Nach dem Zustand, wie er bis 1848 in Preußen bestand, war die evangelische Kirche die Landes¬ kirche und das letztere Wort konnte und sollte gar nichts Anderes bedeuten, als die Staatskirche. Die evangelische Kirche stand unter dem landesherrlichen Kirchenregiment und die Organe dieses Regimentes waren die weltlichen Staatsbe¬ hörden. Ein Theil der Kirchensachen wurde bei der zweiten Abtheilung der Bezirks¬ regierungen, bei der Abtheilung für Kirchen und Schulen bearbeitet. Als Provin- zialinstanz fungirten die Consistorien. Aber auch diese waren nicht rein kirchliche Behörden, sie waren mit den Provinzialschulcollegien verbunden und waren in ihrer kirchlichen Thätigkeit das technische Organ des Oberpräsidenten. Die Centralinstanz für das gesammte evangelische Kirchenwesen bildete der Cultusminister, der in den vorgeschriebenen Fällen die Entscheidung des Königs einholen mußte. Dies war der Unterschied der evangelischen von der katholischen Kirche in ihrer Beziehung zum Staat in dem Preußen vor 1848: Der Staat übte gegen¬ über der katholischen Kirche nur das sogenannte Ms circa saers,: gegenüber der evangelischen Kirche übte er das ^jus in saerg,. Die herrschend kirchen¬ rechtliche Theorie des sogenannten Territorialsystems schrieb zwar dem Staat nur die äußere Kirchenhoheit, nicht aber das eigentliche ,sus in saerg, zu. Da aber die evangelische Kirche keine kirchenregimentlichen Organe außer den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/147>, abgerufen am 22.07.2024.