Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
?om deutschen Aeichstag.

Am 7. Dezember wurde über die Petitionen berathen, welche die auf
den 1. Januar 1877 festgesetzte Aufhebung der Eisenzölle theils hinausschieben
wollen, theils aber für die Beibehaltung dieses Termines eintreten. Man
weiß. welche Beunruhigung sich an die sogenannte Schutzzollagitation in den
letzten Monaten geknüpft hatte. Dadurch, daß der Reichstag über sämmt¬
liche Petitionen mit großer Majorität zur Tagesordnung überging, sind alle
Zweifel wenigstens an der Aufhebung der Eisenzölle zu dem früher beschlossenen
Termin beseitigt. Diese Gewißheit ist jedenfalls eine Wohlthat. Was die
Verhandlung selbst anlangt, so sprach Löwe-Calbe für die Hinausschiebung
der Aufhebung im Interesse der Arbeiter. Er sprach vortrefflich, mit Anfüh¬
rung erheblicher Thatsachen, durchaus den Gesichtspunkt der Humanität fest¬
haltend, nirgend den Boden willkürlicher Jnteressenvertheidigung betretend.
Ihm folgte Bamberger, wie immer höchst witzig und vielseitig, siegreich in
allen Nebenpunkten, aber, wie dem Redner auch schon zuweilen begegnet, den
Hauptpunkt überspringend*). Hierauf sprach v. Kardorff als Befürworter
einer consequenten Schutzpolitik, ohne Theilnahme und sogar mit Ungeduld
angehört, was nicht der Fall sein sollte. Denn man mag die Schutzzoll-
Politik bekämpfen -- wir bekämpfen sie an unserm Theil ebenfalls -- geist¬
reichen und durchdachten, auf sorgfältiges Studium der faktischen Verhältnisse
gestützten**) Argumenten sollte man immer Aufmerksamkeit schenken. Die
wirthschaftliche Lage Deutschlands ist der Art. daß sie allen, die sich bestim¬
mend oder theilnehmend damit zu beschäftigen haben, in den nächsten zehn
Jahren noch recht harte Nüsse zu knacken geben wird. Da sollte man keine
Discussion verschmähen, die zur gründlicheren Einsicht führen kann. Was
war das z. B. für ein Wort von Bamberger: Die deutschen Schutzzöllner
hätten sich ihre Autorität von Amerika holen müssen? Das sollte sich auf
Carey beziehen. Aber Carey ist eine Autorität nicht nur in den Ver¬
einigten Staaten, wo er mit derselben dem deutschen Handel die Thür zuge¬
macht hat, sondern nicht minder in Petersburg, wo er mit derselben nicht
wenig beiträgt, dem deutschen Handel das Thor nach Osten zu verschließen.
Von Carey holen sich Argumente die Anwälte des Schutzzolls in Wien und
in Rom. Der Mann ist eine überseeische Autorität, die man nicht erst her¬
zuholen braucht, sondern deren Einfluß längst das Meer überschritten hat
und eine große, für Deutschland verderbliche Wirkung ausübt. Carey räth uns




") Wir halten die Bamberqer'sche Rede durchaus für die beste und treffendste des Tages.
D. Red. "
) Wi D. Red. r können auch diese Auffassung unsres Herrn Berichterstatters nicht theilen.
?om deutschen Aeichstag.

Am 7. Dezember wurde über die Petitionen berathen, welche die auf
den 1. Januar 1877 festgesetzte Aufhebung der Eisenzölle theils hinausschieben
wollen, theils aber für die Beibehaltung dieses Termines eintreten. Man
weiß. welche Beunruhigung sich an die sogenannte Schutzzollagitation in den
letzten Monaten geknüpft hatte. Dadurch, daß der Reichstag über sämmt¬
liche Petitionen mit großer Majorität zur Tagesordnung überging, sind alle
Zweifel wenigstens an der Aufhebung der Eisenzölle zu dem früher beschlossenen
Termin beseitigt. Diese Gewißheit ist jedenfalls eine Wohlthat. Was die
Verhandlung selbst anlangt, so sprach Löwe-Calbe für die Hinausschiebung
der Aufhebung im Interesse der Arbeiter. Er sprach vortrefflich, mit Anfüh¬
rung erheblicher Thatsachen, durchaus den Gesichtspunkt der Humanität fest¬
haltend, nirgend den Boden willkürlicher Jnteressenvertheidigung betretend.
Ihm folgte Bamberger, wie immer höchst witzig und vielseitig, siegreich in
allen Nebenpunkten, aber, wie dem Redner auch schon zuweilen begegnet, den
Hauptpunkt überspringend*). Hierauf sprach v. Kardorff als Befürworter
einer consequenten Schutzpolitik, ohne Theilnahme und sogar mit Ungeduld
angehört, was nicht der Fall sein sollte. Denn man mag die Schutzzoll-
Politik bekämpfen — wir bekämpfen sie an unserm Theil ebenfalls — geist¬
reichen und durchdachten, auf sorgfältiges Studium der faktischen Verhältnisse
gestützten**) Argumenten sollte man immer Aufmerksamkeit schenken. Die
wirthschaftliche Lage Deutschlands ist der Art. daß sie allen, die sich bestim¬
mend oder theilnehmend damit zu beschäftigen haben, in den nächsten zehn
Jahren noch recht harte Nüsse zu knacken geben wird. Da sollte man keine
Discussion verschmähen, die zur gründlicheren Einsicht führen kann. Was
war das z. B. für ein Wort von Bamberger: Die deutschen Schutzzöllner
hätten sich ihre Autorität von Amerika holen müssen? Das sollte sich auf
Carey beziehen. Aber Carey ist eine Autorität nicht nur in den Ver¬
einigten Staaten, wo er mit derselben dem deutschen Handel die Thür zuge¬
macht hat, sondern nicht minder in Petersburg, wo er mit derselben nicht
wenig beiträgt, dem deutschen Handel das Thor nach Osten zu verschließen.
Von Carey holen sich Argumente die Anwälte des Schutzzolls in Wien und
in Rom. Der Mann ist eine überseeische Autorität, die man nicht erst her¬
zuholen braucht, sondern deren Einfluß längst das Meer überschritten hat
und eine große, für Deutschland verderbliche Wirkung ausübt. Carey räth uns




") Wir halten die Bamberqer'sche Rede durchaus für die beste und treffendste des Tages.
D. Red. "
) Wi D. Red. r können auch diese Auffassung unsres Herrn Berichterstatters nicht theilen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0479" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/134825"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> ?om deutschen Aeichstag.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1477" next="#ID_1478"> Am 7. Dezember wurde über die Petitionen berathen, welche die auf<lb/>
den 1. Januar 1877 festgesetzte Aufhebung der Eisenzölle theils hinausschieben<lb/>
wollen, theils aber für die Beibehaltung dieses Termines eintreten. Man<lb/>
weiß. welche Beunruhigung sich an die sogenannte Schutzzollagitation in den<lb/>
letzten Monaten geknüpft hatte. Dadurch, daß der Reichstag über sämmt¬<lb/>
liche Petitionen mit großer Majorität zur Tagesordnung überging, sind alle<lb/>
Zweifel wenigstens an der Aufhebung der Eisenzölle zu dem früher beschlossenen<lb/>
Termin beseitigt. Diese Gewißheit ist jedenfalls eine Wohlthat. Was die<lb/>
Verhandlung selbst anlangt, so sprach Löwe-Calbe für die Hinausschiebung<lb/>
der Aufhebung im Interesse der Arbeiter. Er sprach vortrefflich, mit Anfüh¬<lb/>
rung erheblicher Thatsachen, durchaus den Gesichtspunkt der Humanität fest¬<lb/>
haltend, nirgend den Boden willkürlicher Jnteressenvertheidigung betretend.<lb/>
Ihm folgte Bamberger, wie immer höchst witzig und vielseitig, siegreich in<lb/>
allen Nebenpunkten, aber, wie dem Redner auch schon zuweilen begegnet, den<lb/>
Hauptpunkt überspringend*). Hierauf sprach v. Kardorff als Befürworter<lb/>
einer consequenten Schutzpolitik, ohne Theilnahme und sogar mit Ungeduld<lb/>
angehört, was nicht der Fall sein sollte. Denn man mag die Schutzzoll-<lb/>
Politik bekämpfen &#x2014; wir bekämpfen sie an unserm Theil ebenfalls &#x2014; geist¬<lb/>
reichen und durchdachten, auf sorgfältiges Studium der faktischen Verhältnisse<lb/>
gestützten**) Argumenten sollte man immer Aufmerksamkeit schenken. Die<lb/>
wirthschaftliche Lage Deutschlands ist der Art. daß sie allen, die sich bestim¬<lb/>
mend oder theilnehmend damit zu beschäftigen haben, in den nächsten zehn<lb/>
Jahren noch recht harte Nüsse zu knacken geben wird. Da sollte man keine<lb/>
Discussion verschmähen, die zur gründlicheren Einsicht führen kann. Was<lb/>
war das z. B. für ein Wort von Bamberger: Die deutschen Schutzzöllner<lb/>
hätten sich ihre Autorität von Amerika holen müssen? Das sollte sich auf<lb/>
Carey beziehen. Aber Carey ist eine Autorität nicht nur in den Ver¬<lb/>
einigten Staaten, wo er mit derselben dem deutschen Handel die Thür zuge¬<lb/>
macht hat, sondern nicht minder in Petersburg, wo er mit derselben nicht<lb/>
wenig beiträgt, dem deutschen Handel das Thor nach Osten zu verschließen.<lb/>
Von Carey holen sich Argumente die Anwälte des Schutzzolls in Wien und<lb/>
in Rom. Der Mann ist eine überseeische Autorität, die man nicht erst her¬<lb/>
zuholen braucht, sondern deren Einfluß längst das Meer überschritten hat<lb/>
und eine große, für Deutschland verderbliche Wirkung ausübt. Carey räth uns</p><lb/>
          <note xml:id="FID_134" place="foot"> ") Wir halten die Bamberqer'sche Rede durchaus für die beste und treffendste des Tages.<lb/><note type="byline"> D. Red.</note> "</note><lb/>
          <note xml:id="FID_135" place="foot"> ) Wi<note type="byline"> D. Red.</note> r können auch diese Auffassung unsres Herrn Berichterstatters nicht theilen. </note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0479] ?om deutschen Aeichstag. Am 7. Dezember wurde über die Petitionen berathen, welche die auf den 1. Januar 1877 festgesetzte Aufhebung der Eisenzölle theils hinausschieben wollen, theils aber für die Beibehaltung dieses Termines eintreten. Man weiß. welche Beunruhigung sich an die sogenannte Schutzzollagitation in den letzten Monaten geknüpft hatte. Dadurch, daß der Reichstag über sämmt¬ liche Petitionen mit großer Majorität zur Tagesordnung überging, sind alle Zweifel wenigstens an der Aufhebung der Eisenzölle zu dem früher beschlossenen Termin beseitigt. Diese Gewißheit ist jedenfalls eine Wohlthat. Was die Verhandlung selbst anlangt, so sprach Löwe-Calbe für die Hinausschiebung der Aufhebung im Interesse der Arbeiter. Er sprach vortrefflich, mit Anfüh¬ rung erheblicher Thatsachen, durchaus den Gesichtspunkt der Humanität fest¬ haltend, nirgend den Boden willkürlicher Jnteressenvertheidigung betretend. Ihm folgte Bamberger, wie immer höchst witzig und vielseitig, siegreich in allen Nebenpunkten, aber, wie dem Redner auch schon zuweilen begegnet, den Hauptpunkt überspringend*). Hierauf sprach v. Kardorff als Befürworter einer consequenten Schutzpolitik, ohne Theilnahme und sogar mit Ungeduld angehört, was nicht der Fall sein sollte. Denn man mag die Schutzzoll- Politik bekämpfen — wir bekämpfen sie an unserm Theil ebenfalls — geist¬ reichen und durchdachten, auf sorgfältiges Studium der faktischen Verhältnisse gestützten**) Argumenten sollte man immer Aufmerksamkeit schenken. Die wirthschaftliche Lage Deutschlands ist der Art. daß sie allen, die sich bestim¬ mend oder theilnehmend damit zu beschäftigen haben, in den nächsten zehn Jahren noch recht harte Nüsse zu knacken geben wird. Da sollte man keine Discussion verschmähen, die zur gründlicheren Einsicht führen kann. Was war das z. B. für ein Wort von Bamberger: Die deutschen Schutzzöllner hätten sich ihre Autorität von Amerika holen müssen? Das sollte sich auf Carey beziehen. Aber Carey ist eine Autorität nicht nur in den Ver¬ einigten Staaten, wo er mit derselben dem deutschen Handel die Thür zuge¬ macht hat, sondern nicht minder in Petersburg, wo er mit derselben nicht wenig beiträgt, dem deutschen Handel das Thor nach Osten zu verschließen. Von Carey holen sich Argumente die Anwälte des Schutzzolls in Wien und in Rom. Der Mann ist eine überseeische Autorität, die man nicht erst her¬ zuholen braucht, sondern deren Einfluß längst das Meer überschritten hat und eine große, für Deutschland verderbliche Wirkung ausübt. Carey räth uns ") Wir halten die Bamberqer'sche Rede durchaus für die beste und treffendste des Tages. D. Red. " ) Wi D. Red. r können auch diese Auffassung unsres Herrn Berichterstatters nicht theilen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/479
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/479>, abgerufen am 22.07.2024.